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Politik: „Wir müssen uns der Verantwortung stellen“ Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, über Heuschrecken und Kapitalisten

Herr Thumann, Sie waren Reiterpräsident. Was darf ein Pferd kosten?

Herr Thumann, Sie waren Reiterpräsident. Was darf ein Pferd kosten?

Wir sprechen bei ganz normalen Reitpferden über Preise von drei bis sechstausend, keinesfalls mehr als 10000 Euro.

Das muss man sich leisten können. Wenn man das kann, ist man Kapitalist.

Reiten ist Volkssport. Mehr als 1,5 Millionen Menschen betreiben regelmäßig Pferdesport. Für die Zucht und Aufzucht eines Pferdes in seinen ersten drei Lebensjahren entstehen nun einmal Kosten von zwei- bis dreitausend Euro. Die meisten Reiter wohnen im ländlichen Bereich und haben anschließend keine hohen Kosten, weil sie ihre Pferde günstig unterbringen können.

Sind Sie Kapitalist?

Natürlich. Ich stehe auch zum Kapitalismus. Es ist die Wirtschaftsform, die wir noch am ehesten verteidigen und vertreten können.

Was stört denn dann die Sozialdemokraten an Ihnen?

Diese Debatte wird auf einem üblen Niveau geführt. Die verschreckt nicht nur die Unternehmer in Deutschland, sondern auch ausländische Investoren.

Sie meinen den Casus Heuschrecke, mit dem Herr Müntefering das Verhalten ausländischer Investoren charakterisiert hat, die in deutsche Unternehmen investieren, sie kahl fressen und dann fallen lassen?

Ja, zum Beispiel. So zu diskutieren, bringt uns überhaupt nicht weiter.

Sind die Unternehmer vaterlandslos?

Nein, das sind sie nicht. Wir sind nicht vaterlandslos, nur weil wir es im einen oder anderen Fall für nötig halten, im Ausland zu investieren. Das gilt für die deutschen Unternehmer insgesamt, es gilt auch für mich persönlich.

Wie halten Sie es denn persönlich?

Bei uns gibt es zwei Gründe für unsere Auslandsinvestitionen. Der eine ist die Marktnähe. Wir wollen und müssen da produzieren, wo unsere Kunden sind. Außerdem aber sichern wir mit den Betrieben, die wir im Ausland zum Beispiel in Niedriglohnländern aufbauen, die Produktionsstätten im eigenen Land. Die haben wir durch die Auslandsinvestitionen nicht nur gesichert, wir haben sie sogar noch ausgebaut. Unsere Erfolge in den Niedriglohnländern haben dazu geführt, dass wir in Deutschland heute mehr Menschen beschäftigen können als vorher. Wir sind wettbewerbsfähiger geworden - global und in Deutschland.

Siemens macht in seinem Werk in Würzburg Gewinne - und wird die Fertigung ins Ausland verlagern. Ist das in Ordnung?

Zu dem Fall kann ich mich nicht äußern, weil ich ihn nicht kenne. Ich kann mir aber sehr wohl vorstellen, dass ein Unternehmer bei Investitionsentscheidungen zu dem Schluss kommt, aus Deutschland wegzugehen - auch wenn er hier jetzt noch Gewinne macht. Der Unternehmer muss sich immer fragen, wie nachhaltig die Gewinne sind, und welche Kosten er dafür in Kauf nehmen kann. Wenn ich auf einer Zeitachse sehe, wann ich nicht mehr wettbewerbsfähig bin, dann halte ich eine Verlagerung für gerechtfertigt.

Und wenn doch?

Wenn jemand auch langfristig ausreichende Gewinne erwirtschaftet und trotzdem damit beginnt, Produktion zu verlagern, kann ich das nicht nachvollziehen. Aber auch dafür mag es Gründe geben.

Was ist ausreichender Gewinn?

Das ist sehr unterschiedlich von Branche zu Branche. Die Gewinne müssen ausreichen, um das Wachstum des Unternehmens und die Investitionen zu einem angemessenen Teil selbst zu finanzieren. Dazu muss auf das eingesetzte Kapital eine angemessene Verzinsung möglich sein. Wenn ich dann sicher bin, dass ich mit meinem Unternehmen auch in den nächsten Jahren noch wettbewerbsfähig bin, ist aus meiner Sicht eine angemessene Gewinnsituation erreicht. Allerdings bin ich Familienunternehmer. In börsennotierten Aktiengesellschaften kann das anders aussehen.

Nehmen wir mal die börsennotierte Aktiengesellschaft und nehmen wir die Zahl 25. Ist eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent angemessen?

Sie sprechen die Deutsche Bank an, deren Vorstandschef Josef Ackermann ein Renditeziel von 25 Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital anstrebt. Die Deutsche Bank hat im vergangenen Jahr ein gutes Ergebnis erwirtschaftet, sie hat 4,7 Milliarden Euro vor Steuern verdient. Das entspricht einer 17prozentigen Eigenkapitalverzinsung. Aus dem Inland betrachtet ist das gut. Aber dann stelle ich die Deutsche Bank in das wettbewerbliche Umfeld der anderen international tätigen Banken wie Credit Suisse First Boston, UBS, HSBC, Citigroup. Diese Banken erwirtschaften zum Teil über 30 Prozent. In diesem Umfeld bewegt sich die Deutsche Bank. Wenn man sich fragt, ob 17 Prozent nicht reichen, kommt man aus dieser Perspektive zu anderen Schlüssen: nämlich, dass die Deutsche Bank immer noch nicht gut genug ist, um dauerhaft als eigenständiges Geldhaus bestehen zu können.

Und das rechtfertigt dann Entlassungen?

Von den 6400 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die entlassen werden sollen, arbeiten über 4500 in New York und London. Das sind im Wesentlichen hoch- und höchstbezahlte Broker und Analysten. Da wundere ich mich wirklich , wenn wir in Deutschland anfangen darüber zu jammern.

Warum ist es denn immer der erste und einfachste Weg, Menschen zu entlassen: Wo bleibt die verfassungsrechtlich geforderte Verantwortung des Eigentums?

Auch hier müssen wir differenzieren zwischen Familien- und Eigentümerunternehmen und den Getriebenen. Getriebene, das sind die Unternehmen, die an der Börse sind. Auch ich staune, wenn ich lese, dass ein Dax-Unternehmen sehr gute Umsatz- und Ergebniszuwächse hat, aber der Börsenkurs trotzdem zurückgeht - weil die Analysten enttäuscht sind, dass es nicht noch mehr geworden ist.

Wir staunen, wenn die Kurse hochgehen, weil die Leute entlassen werden.

Wenn das Unternehmen dadurch wettbewerbsfähiger wird, braucht man darüber nicht zu staunen. Aber Sie haben Recht: Es hat sich da im Lauf der Jahre eine Kultur herausgebildet, die auch ich nicht verteidigen kann. Wir sind in der Verantwortung gegenüber unseren Belegschaften. Natürlich haben es Familienunternehmen in dieser Beziehung leichter. Bei ihnen ist die Zeitachse länger. Aktiengesellschaften müssen sich quartalsweise behaupten.

Die Menschen haben Angst.

80 Prozent aller Mitarbeiter der deutschen Unternehmen vertrauen Ihren Unternehmern und Managern. Sobald die Meinungsforscher aber fragen, wie der Nachbarunternehmer beurteilt wird, sinkt die Zustimmungsquote unter 50 Prozent. Das sind die Zahlen. Wir Unternehmer haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, das akzeptiere ich.

Wie können wir das ändern?

Durch vorbildliches Verhalten. Ich meine, dass wir uns der Verantwortung, auch der sozialen Verantwortung stellen müssen, bevor wir hier Arbeitsplätze abbauen. Wir haben auch Fehler gemacht in der Vergangenheit. Da sind Unternehmer und Manager doch nicht anders als andere Menschen. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir in der Summe der Entscheidungen mehr richtige als falsche getroffen haben.

Haben Sie ein Beispiel für einen Fehler?

Ostdeutschland. Wir haben uns dort zu wenig Mühe gegeben, wir haben es versäumt, die Industriebetriebe und die wirtschaftlichen Betriebe, die es zur Wiedervereinigung in Ostdeutschland gab, zu entwickeln. Wir haben zu schnell abgebaut, wir haben nicht ernsthaft genug geprüft, ob wir sie nicht doch erhalten, sanieren und aufbauen können.

Die Treuhandanstalt hat 250 Milliarden Mark in die Ostwirtschaft gesteckt. War das wirklich zu wenig?

Das mag zu wenig gewesen sein. Ich mache mir diesen Vorwurf aber auch selbst: Ich habe mir selbst eine Reihe von Betrieben in Ostdeutschland angesehen und nicht investiert, sondern zwei Musterbetriebe auf die grüne Wiese gesetzt. Diese sind jetzt Vorzeigebetriebe. Aber ich gebe zu, dass wir im Rückblick mehr hätten retten können als wir gerettet haben. Ich glaube, dass wir Unternehmer gefordert sind, uns mehr Gedanken darüber zu machen, wie wir unserer Verantwortung gegenüber den Belegschaften im Zeichen der Massenarbeitslosigkeit noch besser gerecht werden können.

Was meinen Sie denn damit?

Ich habe da noch keine fertigen Antworten. Aber wir müssen uns mehr mit dem Thema beschäftigen, wir können nicht so tun, als ginge uns das nichts an.

Zerstört Arbeitslosigkeit die Gesellschaft?

Ja, Arbeitslosigkeit kann auf Dauer die Gesellschaft zerstören. Arbeitslosigkeit ist das Unsozialste überhaupt. Ich stelle mir das grausam vor, wenn man morgens wach wird und sich sagen muss, es ist doch egal, ob ich aufstehe oder nicht, diese Gesellschaft braucht mich nicht. Diese Perspektivlosigkeit können wir uns nicht leisten. Der Druck wird größer, auch für die Unternehmen.

Kennen Sie einen Arbeitslosen?

Ja. Wir müssen uns um die Arbeitslosen kümmern - und da vor allem um die Jungen. Wir haben mehr als 650000 junge Menschen, die arbeitslos sind, von denen mehr als ein Drittel keine Schul- und Berufsausbildung haben.

Sie sind doch der Kapitalist: Sie können die einstellen, Sie können die ausbilden, Sie können dafür sorgen, dass nicht schon Zwanzigjährige mit allem abschließen.

Das tun wir doch auch nach besten Kräften. Wir haben versprochen, dass wir den Jugendlichen helfen, und das haben wir gehalten. Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelingt, die meisten der Jugendlichen, die nun eine Arbeit, ein Praktikum oder eine Ausbildung bekommen, in eine dauerhafte Anstellung zu bringen. Aber Fehler, die im Elternhaus oder in der Schule gemacht wurden, kann die Wirtschaft nicht korrigieren. Und auch die betriebliche Ausbildung ist davon abhängig, dass das Unternehmen das dafür notwendige Geld auch verdient.

Die Unternehmer fordern und fordern, aber sie selbst liefern nicht.

Das entspricht doch nicht der Wirklichkeit. Wenn die Steuerreform umgesetzt wird, werden die Unternehmer in dem Umfang, wie sie entlastet werden, Investitionen am Standort tätigen. Wir liefern. Darauf können Sie sich verlassen. Ich werde selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Ich werde diese Vorteile und Ersparnisse eins zu eins in Deutschland investieren. Und das werden viele meiner Unternehmerkollegen auch tun.

Was muss ein Sozialdemokrat tun, damit Unternehmer ihn wählen?

Ich sehe das nicht parteipolitisch. Ich spreche auch mit der Opposition, und da gibt es auch Zusagen oder Absagen oder Debatten über Sachthemen. Wir haben den Auftrag, zum Wohle der Gesellschaft zu arbeiten. Auch wenn die Wirtschaft nicht im Zentrum des politischen Geschehens stehen muss, so muss man doch erkennen, dass mehr Wachstum und Beschäftigung nicht ohne ein gedeihliches Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren Unternehmen erreichbar sind.

Dient zum Beispiel das ständige Gemäkel am Kündigungsschutz dem Wohl der Gesellschaft?

Die Regeln zum Kündigungsschutz in Deutschland sind so komplex, dass viele Unternehmer sich nicht umfassend genug mit den gesetzlichen und tarifvertraglichen Inhalten vertraut machen können. Gerade beim Thema „Ältere Arbeitnehmer“ hat der Gesetzgeber allerdings in der Vergangenheit einiges getan. Für Menschen über Fünfzig wurden die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen deutlich ausgeweitet. Diese Regelungen sollten über 2006 hinaus gelten.

Nehmen wir das Thema Mindestlöhne. Industrie und Arbeitgeberverbände tun so, als seien die des Teufels.

Man braucht nicht zusätzlich zu den tariflich fixierten Mindestlöhnen einen gesetzlichen Mindestlohn, der noch mehr Bürokratie bringt, aber nichts rettet.

Ein gesetzlicher Mindestlohn müsste aber auch Ausländern, die in Deutschland Arbeit suchen, zugestanden werden.

Wir sind die Hauptprofiteure vom freien Güter- und Warenaustausch, wir sind doch nicht umsonst Exportweltmeister. Wir können doch nicht auf der anderen Seite für Dienstleistungen einfach andere Regeln wollen, wie das im Augenblick fälschlicherweise im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie diskutiert wird. Über Übergangsregelungen und Einzelbestimmungen kann man doch reden, wenn man sich über den Grundsatz einig ist. Als wir vor Jahren beispielsweise dasselbe Problem im Bauhaupt- und im Reinigungsgewerbe hatten, haben wir eine Entsenderichtlinie für diese Gewerbe beschlossen, die der Bauwirtschaft nicht wirklich geholfen hat.

Die dafür sorgen soll, dass auf deutschen Baustellen jeder denselben Lohn für dieselbe Arbeit bekommt.

Mir ist bisher nicht bekannt, dass weitere Gewerbe eine solche Regelung wollen.

Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff, Antje Sirleschtov und Ursula Weidenfeld. Das Foto machte Mike Wolff.

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