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Politik: "Wir sind nicht Befehlsempfänger"

TAGESSPIEGEL: Herr Ministerpräsident, CDU-Chef Wolfgang Schäuble hat mit Blick auf den CDU-Parteitag in der kommenden Woche in Erfurt gesagt, wegen des Kosovo-Krieges müsse der Ablauf des Parteitages, auf dem es um Programmatisches gehen soll, in allen seinen Elementen verändert werden.Deuten Sie uns doch mal Ihren Vorsitzenden.

TAGESSPIEGEL: Herr Ministerpräsident, CDU-Chef Wolfgang Schäuble hat mit Blick auf den CDU-Parteitag in der kommenden Woche in Erfurt gesagt, wegen des Kosovo-Krieges müsse der Ablauf des Parteitages, auf dem es um Programmatisches gehen soll, in allen seinen Elementen verändert werden.Deuten Sie uns doch mal Ihren Vorsitzenden.

KOCH: Ein Parteitag hat immer etwas mit der Stimmung in der Bevölkerung zu tun.Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir würden vergleichsweise kleinkarierte Diskussionen führen, während die Bundesrepublik Deutschland erstmals in eine militärische Auseinandersetzung verwickelt ist.Und das wird sicher die Tonlage und das Klima des Parteitages verändern.Aber es wird uns auch die Chance geben, stärker auf einige grundsätzliche Elemente in der Politik einzugehen.Die Frage, warum wir als Christdemokraten uns besonders für das vereinte Europa engagieren, ist eng verbunden mit der Frage der künftigen Friedensordnung in diesem Europa.Es hat damit zu tun, ob Europa zu gemeinsamen Entscheidungen fähig ist und was passiert, wenn es erst spät dazu fähig ist, wie im Kosovo-Konflikt zu sehen.

TAGESSPIEGEL: Heißt das, auch von Ihrer Seite die Bevölkerung auf einen längeren und härteren Konflikt einzustimmen?

KOCH: Ich denke, die Bürger haben schon ein Gefühl dafür, wie ernst die Situation ist.Es wird aber sicherlich von dem Parteitag kein Signal an die Bundesregierung ausgehen, den Schritt zum Einsatz von Bodentruppen zu tun.Ich sehe in der Union eine sehr feste Ablehnung des Einsatzes von Bodentruppen unter den gegenwärtigen Bedingungen.Sie sind zweifellos zum Schutz der Rückkehr der Flüchtlinge nötig.Aber eine militärische Intervention auf dem Landweg in die Republik Jugoslawien hätte Folgen auch für die Situation in Rußland, die wir so wenig kalkulieren können, daß an dieser Stelle klar bleiben muß: Es gilt das Primat der Politik und nicht die Automatik der Eskalationsregeln des Militärs.Grauzonen darf es nicht geben.Zum Beispiel bei der Frage, wer geht wie lange wohin in Albanien.

TAGESSPIEGEL: Der Fehler lag doch aber wohl eher bei der Politik, die zunächst die Option für den Einsatz von Bodentruppen gegen den Rat der Militärs abgelehnt hat und nun im Zwang steht, sie doch wahrnehmen zu müssen.

KOCH: Es war die Fragestellung der Politik an das Militär, ob mit den Instrumenten von Luftschlägen letztlich eine so starke Schwächung des Militärapparates von Milosevic möglich ist, daß er zum Einlenken gezwungen werden kann.Und die Militärs haben geantwortet: Ja, wenn wir es mit hinreichender Geduld, Ausdauer und Nachdrücklichkeit machen.Ich glaube, daß der Parteitag der CDU gut beraten ist, diese Geduld und Nachdrücklichkeit aufzubringen.Mit neuen Debatten über den Einsatz von Bodentruppen, der keine Aussicht auf eine Mehrheit im Bundestag hat, helfen wir eher der Gegenseite, als daß wir die Absicht, unser Ziel auf dem Weg der Luftangriffe zu erreichen, unterstreichen.

TAGESSPIEGEL: Nun wird die Diskussion ja nicht nur in Deutschland geführt.

KOCH: Die Bundesregierung hat eine zentrale Rolle im Bündnis.Und die muß sie wahrnehmen.Wir sind nicht der Befehlsempfänger von anderen, sondern Partner.In Amerika haben wir gelegentlich das Problem, daß die emotionalen Stimmungen je nach den gesendeten Fernsehbildern schnell wechseln.Wir müssen darauf hinweisen, daß wir die Entwicklung der Krise inklusive der Folgen, die eine Nichtbeteiligung Rußlands bedeutet, sehr viel hautnäher erfahren und zu beobachten haben.Es muß in all diesen Phasen klar sein: Es gibt ein Primat der Politik, und das heißt im Bündnis Einigung.Die Bundesregierung ist gut beraten, mit Selbstbewußtsein und mit Unterstützung aller großen Parteien in Deutschland klar zu machen, was die deutsche Position ist.

TAGESSPIEGEL: Sie haben die Hessen-Wahl nicht zuletzt dank der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen.Warum ist die Union jetzt nicht großmütig, da Rot-Grün deutlich eingelenkt hat, freut sich an ihrem Erfolg und legt das Thema ad acta?

KOCH: Es besteht nach wie vor ein Grundsatzstreit darüber, daß nach unserer Auffassung der Gesetzentwurf dauerhaft zu einer regelmäßigen Hinnahme von Doppelstaatsbürgerschaften führt, auch wenn man das dann Beibehaltung nennt und es zeitlich etwas später kommt.Dazu kommt, daß ein solches Gesetz verwaltungstechnisch genauso undurchführbar sein wird wie andere Gesetze bei den 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit.

TAGESSPIEGEL: Ihr Koalitionspartner, die FDP, ist mit im Regierungsboot bei der Regelung des Doppel-Passes.Wollen Sie dennoch - wie angekündigt - in Karlsruhe klagen, wenn das Gesetz kommt?

KOCH: Da fallen die Positionen des CDU-Vorsitzenden und des Ministerpräsidenten in Hessen eindeutig auseinander.Wenn beide Partner bei ihrer Position bleiben, wird es keine eindeutige Stellungnahme des Landes Hessen und damit auch keine Klage geben.Als CDU-Landesvorsitzender empfehle ich der Union dennoch, diesen Gesetzentwurf verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.

TAGESSPIEGEL: Sie haben mit ihrer Forderung, eine aus Ihrer Sicht verschwenderische Politik rot-roter Regierungen in Ostdeutschland dürfe nicht über den Finanzausgleich mitfinanziert werden, für Aufregung gesorgt.Schäuble hat Ihnen entgegengehalten, sie hätten damit einen mißverständlichen Eindruck verursacht.

KOCH: Mir tut leid, wenn dadurch eine Debatte entstanden ist, bei der auch in Sachsen oder Thüringen der eine oder andere gedacht hat, diese Länder seien davon betroffen.An der Sache selbst kann und will ich keine Abstriche machen: Wir bekommen ein zusätzliches Problem dadurch, daß die PDS in den Ländern, in denen sie mitregiert, brutal in die Kasse greift.In Sachsen und Thüringen ist die Staatsverschuldung geringer als etwa in Sachsen-Anhalt, die wirtschaftliche Situation aber besser.

TAGESSPIEGEL: Was haben Sie denn von Helmut Kohl gelernt, der ja auch einmal in jungen Jahren Ministerpräsident geworden ist?

KOCH: An Helmut Kohl hat mich immer am meisten seine Fähigkeit beeindruckt, Streitigkeiten des Tages und Dinge, die die langfristigen Ziele beeinflussen, zu unterscheiden.Erstere hat er gelassen betrachtet, letztere beharrlich verfolgt.Das versuche ich mir auch anzugewöhnen.

TAGESSPIEGEL: Und was kann man von einem erfolgreichen Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber lernen?

KOCH: Stoiber hat es geschafft, Veränderungen in seinem Land mit Durchsetzungswillen zu beschleunigen und Tradition und Moderne zu verbinden.Er ist einer der Ministerpräsidenten, an denen man sich messen lassen muß, so wie sich Hessen an Bayern messen lassen muß.

TAGESSPIEGEL: In der CDU galt bisher der Grundsatz, daß ein CSU-Politiker es als Unions-Kanzlerkandidat nicht schaffen kann.Gilt das immer noch?

KOCH: Es hat ja auch schon Nicht-Bayern gegeben, die es in ganz Deutschland nicht geschafft haben.Ich glaube, daß es keine prinzipielle Frage ist.Natürlich kann ein Vertreter der CSU genauso Kanzlerkandidat sein wie einer der CDU.Es ist wichtig, daß Schäuble und Stoiber es geschafft haben, äußerst gelassen mit dieser Frage umzugehen.Sie wird sich der CDU irgendwann stellen ...

TAGESSPIEGEL: Wann denn?

KOCH: In angemessenem Abstand zur Bundestagswahl.Wir haben nicht den geringsten Grund anzunehmen, daß die rot-grüne Regierung nicht ihre vier Jahre durchhält.

TAGESSPIEGEL: Was ist, wenn die Grünen wegen des Kosovo-Krieges als Regierungspartner ausfielen? Könnte sich die Union in dieser Situation entziehen?

KOCH: Ich habe hinreichend Erfahrung mit der Beobachtung der Grünen und auch von Joschka Fischer, und ich habe deshalb keinen Grund, darüber nachzudenken, ob die Regierung zerbricht.Ich bleibe unabhängig von der Situation gegenüber großen Koalitionen skeptisch.Sie sind eine Sache nationalen Notstandes.Davon sind wir weit entfernt und ich hoffe, daß das so bleibt.Es würde keinen Sinn machen, das verfehlte wirtschaftspolitische Konzept der SPD mit einer großen Koalition abzusichern.CDU und SPD müssen die Antipoden der politischen Debatte bleiben und dürfen sich nicht in österreichische Verhältnisse begeben.Es muß schon außenpolitisch Ungewöhnliches geschehen oder ein zweites Godesberg der SPD passieren, bevor eine Änderung dieser Position vernünftig wäre.

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