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Politik: „Wir sitzen auf einem Pulverfass“

Der scheidende Generalbundesanwalt Kay Nehm über die terroristische Bedrohung in Deutschland und gescheiterte Gerichtsverfahren

Deutschland blieb bislang von Attentaten verschont. Wie gefährlich ist der islamistische Terror für die Bundesrepublik?

Die Beurteilung der Sicherheitslage gehört nicht zu den Aufgaben des Generalbundesanwalts. Ich habe jedoch den Eindruck, wir sitzen auf einem Pulverfass. Die Anschläge von Madrid und London haben gezeigt, dass im Land lebende, unzufriedene Migranten sich radikalisieren können, ohne dass die von ihnen ausgehende Bedrohung rechtzeitig erkannt wird. Dabei zeichnet sich ein Trend zum Einzeltäter ab, der noch schwieriger zu fassen ist als eine Vereinigung.

Warum tut sich die Justiz mit der Bekämpfung des islamistischen Terrors so schwer?

Tut sie das?

Nur in drei großen Verfahren hat die Bundesanwaltschaft harte Strafen gegen islamistische Terroristen erreicht. In Hamburg hingegen endeten die Prozesse gegen zwei Freunde der Attentäter des 11. September mit einem Freispruch und einer nur teilweisen Verurteilung. Und in Berlin sah sich das Kammergericht nicht in der Lage, einem Tunesier die versuchte Gründung einer Terrorgruppe nachzuweisen.

Man kann die Verfahren nicht miteinander vergleichen. Bei dem Münchner Prozess gegen Lokman Mohammed, einem Unterstützer der Ansar al Islam, ist erstmals ein Urteil wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ergangen. Die drei Hamburger Verfahren gegen Mounir al Motassadeq und Abdelghani Mzoudi haben aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Im Fall Motassadeq ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Wir werden im Revisionsverfahren versuchen, eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord zu erreichen.

Aber Mzoudi befindet sich trotz ähnlicher Vorwürfe wie gegen Motassadeq auf freiem Fuß in Marokko.

Im Mzoudi-Verfahren ist manches nicht so gelaufen, wie es nach den Ermittlungen, den Haftentscheidungen des Bundesgerichtshofs und der Zulassung unserer Anklage durch das Hamburger Oberlandesgericht vorgezeichnet war. Bezüglich der Beweislage habe ich beim Besuch in den USA im April 2004 viel Zeit und Schweiß aufgebracht, um zu verdeutlichen, dass es nach deutschem Recht Vernehmungssurrogate gibt, falls die im Gewahrsam der USA befindlichen Zeugen für eine Vernehmung vor dem Gericht in Hamburg nicht zur Verfügung stünden. Dies hätte sogar so weit gehen können, dass jede Frage durch einen amerikanischen Filter gelaufen wäre. Die US-Justiz war auch bereit zu kooperieren – offenbar gingen aber Interessen der amerikanischen Geheimdienste vor. So haben wir nur schriftliche Zusammenfassungen von Aussagen gefangener Al-Qaida-Männer bekommen. Dieses Material war widersprüchlich und für eine Verurteilung Mzoudis und Motassadeqs unbrauchbar.

Im Berliner Verfahren gegen den Tunesier Ihsan Garnaoui gab es Probleme mit deutschem Geheimmaterial. Die nur schriftlich vorhandenen Aussagen zweiter V-Männer der Berliner Polizei hielt das Kammergericht für wenig beweiskräftig.

Die Angaben der V-Leute hatten es ermöglicht, drohende Anschläge auf Einrichtungen abzuwehren. Es ist das Geschäft der Nachrichtendienste und der Polizei, bei drohenden Gefahren präventiv tätig zu werden. Dabei kann nur am Rande von Bedeutung sein, ob die Erkenntnisse später für ein Strafverfahren ausreichen. Das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und die Einschränkungen, die aus Sicherheitsgründen mit der Führung von V-Leuten für die Ermittlungen verbunden sind, sind manchen Richtern nicht ausreichend bewusst.

Im Fall des deutschen Terrorverdächtigen Christian Ganczarski, der womöglich in den Anschlag auf der Insel Djerba verwickelt war, konnten Sie keinen Haftbefehl erwirken. Inzwischen sitzt Ganczarski in französischer Haft. Warum war der Mann nicht in Deutschland zu belangen?

Zum Zeitpunkt des Anschlags auf Djerba galt noch nicht der Paragraf 129b, der seit August 2002 die Mitgliedschaft in einer auswärtigen terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt. Ansonsten wäre Ganczarski mit dem, was er uns über seine Al-Qaida-Aktivitäten erzählt hat, eine mehrjährige Haft sicher gewesen.

Auch der in Hamburg lebende Syrer Mamoun Darkazanli, ein mutmaßlicher Al- Qaida-Unterstützer, musste sich nicht verantworten. Und die Auslieferung nach Spanien scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl verwarf.

Darkazanli hat Geschäfte für Al Qaida gemacht, bis hin zu einem ominösen Schiffskauf. An dem Fall zeigten auch die USA großes Interesse – aber es ist bislang weder ihnen noch uns gelungen, Darkazanli terroristische Aktivitäten nachzuweisen.

Beamte des BND und anderer Behörden haben Terrorverdächtige befragt, die in Syrien und Guantanamo einsitzen. Hat die Bundesanwaltschaft davon profitiert?

Es ist niemand in unserem Auftrag nach Damaskus und Guantanamo gereist. Mit den genannten Fällen wird sich der „BND-Untersuchungsausschuss“ befassen. Auch wir werden unter Umständen Rede und Antwort stehen müssen. Dem möchte ich nicht vorgreifen.

Haben Sie in Verfahren Informationen verwendet, die unter Folter zustande gekommen waren?

Bei der internationalen Zusammenarbeit in Sicherheits- und Rechtshilfefragen muss man in Kauf nehmen, dass nicht alles nach Maßstäben läuft, die uns Strafprozessordnung und Bundesverfassungsgericht vorgeben. Jede Information, die unter dem Verdacht steht, auf unrechtmäßige Weise zustande gekommen zu sein, muss überprüft werden. Dazu ist es aber erforderlich, zunächst den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen.

Werden die Probleme unserer Justiz von der Öffentlichkeit genügend gewürdigt?

Dazu müsste sie diese Arbeit erst einmal verstehen. Leider gibt es bei uns zu wenig Grundwissen über das Recht: Was macht ein Staatsanwalt, was ein Richter? Ich erinnere mich an meine Anfangszeit als Staatsanwalt. Ich hielt ein Plädoyer, setzte mich hin, darauf sagte der Angeklagte zum Richter: Ich nehme das Urteil an. Viel mehr als dieser Angeklagte wissen auch viele andere nicht von der Justiz. Wir brauchen anstelle oberflächlicher Gerichtsshows einen fundierten Rechtskundeunterricht an Schulen.

Das Gespräch führten Frank Jansen und Hans Monath.

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