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Politik: „Wir verschleudern riesige Ressourcen“

Familienministerin Schmidt und DGB-Chef Sommer erklären, warum Kinder der Wirtschaft gut tun

Frau Ministerin, die Union will Ihr zentrales Projekt – das Tagesbetreuungsausbaugesetz – im Bundesrat ablehnen, auch die kommunalen Spitzenverbände blockieren. Drohen Sie nicht zur Ankündigungskönigin der Familienpolitik zu werden?

Schmidt: Ich bin sicher, dass dieses Gesetz am Ende Realität wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union die Familien und die Kinder im Stich lässt. Das kann sie politisch nicht durchhalten, weil die Kinderbetreuung ein Projekt ist, das von der gesamten Gesellschaft gestützt wird, von den Gewerkschaften, von den Arbeitgebern, von Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen. Und es kommen ja auch schon Signale der Gesprächsbereitschaft. Das Gesetz wird mit leichten Änderungen zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten.

Herr Sommer, was steht für Sie hinter dem Widerstand der Union?

Sommer: Das sind Relikte einer überkommenen Familienideologie, die die Frauen als Heimchen am Herd sieht. Auch in der Union muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass wir ohne gesellschaftliche Kinderförderung niemals aus der Bildungsmisere herauskommen und Frauen einen Anspruch auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben. Sollte sich die Union dieser Erkenntnis widersetzen, wird sie den Weg einer altkonservativen Restvolkspartei gehen, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.

Werden die Gewerkschaften sich engagieren, damit das Ausbaugesetz von den Kommunen akzeptiert wird?

Sommer: Trotz leerer Kassen ist in die Debatte jetzt neuer Schwung gekommen. Das verdanken wir auch Renate Schmidt. Wir werden uns engagieren, wir werden Aktionen machen und genau darauf achten, dass das Geld, das der Bund aufbringt, auch bei den Kommunen ankommt und nicht von denLändern einbehalten wird. Ich stehe auch mit meiner Person für dieses Ziel ein. Ich mache den positiven Cicero: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Familienfreundlichkeit in diesem Land erhöht werden muss.“ Das ist kein so genanntes weiches Thema. Es ist ein hartes…

Schmidt: …ein hartes ökonomisches…

Sommer: …Zukunftsthema. Es ist ein ökonomisches, ein gesellschaftliches und es ist ein moralisches Thema. Ich bin nicht bereit, die eine Hälfte der Menschen schlechter zu behandeln als die andere.

Schmidt: Wir haben ein gutes Konzept: Die lokalen Bündnisse für Familien setzen mehr Familienfreundlichkeit um. Die Gewerkschaften wirken dabei mit und platzieren sich so in der Mitte der Gesellschaft.

Das Betreuungsangebot ist das eine, das andere ist die Familienfreundlichkeit von Betrieben. Warum machen Sie kein Gesetz, das jeden Betrieb verpflichtet, einen Kindergarten einzurichten?

Schmidt: Jeder Betrieb ist anders. Das wäre absoluter Krampf. Das passiert nur über meine Leiche. Grundsätzlich ist der Staat für eine gute Kinderbetreuung verantwortlich. Ergänzende Projekte müssen vor Ort am konkreten Bedarf ausgerichtet werden.

Sommer: Es gibt zwei große Probleme. Erstens: Wohin mit meinem Kind während der Arbeitszeit? Zweitens: Was mache ich, wenn das Kind krank ist? Flexible Arbeitszeiten, die die Arbeitgeber fordern, und zuverlässige Planbarkeit für die Eltern lassen sich am Besten im Betrieb umsetzen. Mit einem Gesetz kann dieser Zielkonflikt in einer Marktwirtschaft nicht gelöst werden.

Dafür müssen Sie die Mentalität in der Gesellschaft auf den Kopf stellen.

Schmidt: Ich will die Unternehmen gar nicht bei ihrer Wohltätigkeit packen. Ich versuche den Unternehmern deutlich zu machen, dass sie ökonomisch profitieren, wenn sie unterschiedliche Möglichkeiten zur Kinderbetreuung anbieten.

Sommer: Wir müssen das Gleichstellungsbewusstsein fördern und nicht das Paschabewusstsein. Wir haben die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten. Wir verschleudern riesige Ressourcen, wenn wir das Potenzial von Frauen und Familien nicht nutzen. Wir müssen es ihnen ermöglichen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren..

Herr Sommer, die Ministerin will nach 2006 das Erziehungsgeld in ein Elterngeld umwandeln. Dann würden besser verdienende Eltern in der Erziehungszeit mehr Geld bekommen als solche, die ein geringeres Einkommen haben. Ist das gerecht?

Sommer: Sie können doch die Einkommensunterschiede nicht übers Elterngeld ausgleichen. Es geht darum, ein paar Anreize zu schaffen, damit das Ja zum Kind leichter wird. Es geht um eine Kombination von besserer Infrastruktur für Familien und dem Angebot von Lohnersatzleistungen. Wenn es in Zeiten knapper Kassen um die Entscheidung geht, ob wir weiterhin vor allem in direkte Transfers investieren oder das Betreuungsangebot ausbauen wollen, sind wir dafür, die Infrastruktur zu stärken statt das Kindergeld im Wahljahr um ein paar Euro aufzustocken. Das würde gar nichts bringen.

Schmidt: Da sind wir gar nicht auseinander, das sehe ich genauso. Der Ausbau der Infrastruktur hat oberste Priorität.Übrigens: Jede Familie würde sich mit dem Elterngeld besser stellen als heute. Es geht um die Wertschätzung der Erziehung. Ich sehe nicht, dass hier eine Ungerechtigkeit sein soll. Die Dänen und die Schweden, die ja nicht für einen unsozialen Staat bekannt sind, praktizieren das Elterngeld mit gutem Erfolg und haben deutlich höhere Geburtenraten als wir. Darüber hinaus wollen wir Geldleistungen ganz gezielt einsetzen, wo sie wirklich eine Wirkung zeigen und zum Beispiel verhindern, dass Kinder in Armut geraten, oder helfen, dass junge Paare sich für Kinder entscheiden.

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