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Politik: "Wir wollen die Wahrheit"

Einen Monat nach dem Mordanschlag auf den früheren libanesischen Regierungschef Rafik Hariri haben in Beirut erneut hunderttausende Menschen demonstriert. Sie forderten die Aufklärung des Attentats und den vollständigen Abzug der syrischen Soldaten. (14.03.2005, 17:57 Uhr)

Beirut - Die Libanesin Mona schwenkt auf dem Märtyrer-Platz in Beirut mit kräftigen Zügen die Fahne ihres Staates. «Wahrheit», steht auf einem schwarzen Plakat, das ihre 22-jährige Tochter Maja einen Monat nach dem Mordanschlag auf den früheren Regierungschef Rafik Hariri fordernd in die Luft reckt. Ein Meer aus hunderttausenden Menschen mit rot-weiß-roten Flaggen erfüllt den Platz und umliegende Straßenzüge. Mit der Massendemonstration erhöht die Opposition am Montag den Druck auf die pro-syrische Staatsführung.

«Wir wollen, dass (Präsident) Émile Lahoud zurücktritt. Wir wollen, dass Syrien unser Land verlässt. Und die Wahrheit über den Mord an Hariri ist der Prüfstein für die Glaubwürdigkeit», sagt Mona. Die 51-jährige ist westlich gekleidet und sagt, sie sei sunnitische Muslimin. «Hariri hat die Muslime und die Christen geliebt. Er wollte den Fortschritt. Und wir wollen nun, dass das Land weiter vorankommt», sagt sie. Ihre in eine enge Jeans-Hose gezwängte Tochter wäre auch bereit, «Amerika hier zu haben, wenn es nicht mit Soldaten kommt».

Damit stößt sie aber in der Gruppe der Protestierenden auf Widerspruch. Einmischung des Auslands ist für viele tabu. Der Abzug der syrischen Armee, der inzwischen als beschlossene Sache gilt, und die Aufklärung des Mordes an Hariri sind dagegen der gemeinsame Nenner der Demonstranten, die eine Vielfalt der Meinungen vertreten. Wohl keiner der Politiker und Oppositionsführer in Libanon, die diese Massen nur zu gern für sich beanspruchen, kann hier auf sichere Unterstützung zählen.

Denn im Zentrum Beiruts marschiert an diesem Montag kein geknechtetes Volks zum demokratischen Befreiungsschlag auf. Die Syrer werden zwar als Geheimpolizisten gefürchtet, als Nachbarn dagegen wie arme Schlucker belächelt. Viele der Demonstranten können dagegen nach europäischen Maßstäben als wohlhabend gelten. Sie können sich aus einer lebhaften Medienlandschaft informieren und verstecken ihre Meinung nicht. Viele sind gegen einen Kompromiss mit der Führung unter Präsident Lahoud.

Ihr Ruf nach Freiheit und Demokratie stößt allerdings schnell im eigenen Land an die Grenzen der politischen Spielregeln. Die Macht ist nach einem konfessionellen Proporzsystem verteilt, um eine Balance der Religionsgruppen zu sichern. Danach muss der Staatspräsident christlicher Maronit, der Präsident der Parlamentes Schiit und der Regierungschef Sunnit sein. Zudem sind Interessen der Regionen und der Familien im Spiel. «Wegen der engen Vorgaben könnten die geplanten Wahlen die gleichen Spieler an die Macht bringen», sagte ein politischer Beobachter. Ein neuer Hariri sei darunter noch nicht auszumachen. Ein genaueres Programm habe die Oppositionsbewegung bisher nicht.

«An dem politischen Fundament können wir nicht rühren, das wäre zu gefährlich», sagt der Student Mohammed (23), ein mit Fahne gerüsteter Pharmaziestudent aus den Reihen der Schiiten. Opposition und Regierungskräfte seien letztlich gar nicht soweit von einander entfernt, meint der Druse Schadi (27), ein Mitstudent. Und alle sind sich einig: «Libanon ist für alle da.» (Von Carsten Hoffmann, dpa) ()

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