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Politik: "Wir wollen ein Teil des Westens werden"

TIRANA .Über Tirana liegt eine Dunstglocke, ununterbrochen.

Von Caroline Fetscher

TIRANA .Über Tirana liegt eine Dunstglocke, ununterbrochen.Jeder, der etwas auf sich hält, braust mit glänzender Mercedes-Karosse oder wenigstens mit einem Lieferwagen über die staubigen Straßen der Hauptstadt.Aber die Tage werden milder, die Nächte, wenn die Autos stillstehen, beginnen nach Frühling zu riechen.Ab und zu hört man das Dröhnen der Kampfjets, gelegentlich Schüsse aus einer Kalaschnikow, der ständigen Begleiterin vieler Einheimischer."Ach, die erschießen nachts Hunde", beruhigt Brikena Kadzadej, Dozentin an der Universität Tirana Besucher, die sich in der Stadt noch nicht so auskennen.

Die ruhige Stimmung im Land, in das langsam und stetig die Katastrophe einsickert, kommt nicht von ungefähr.Daß das Leben unauffällig weitergeht, die bewaffneten Wachen, die nachts vor den Ministerien postiert sind, vor sich hinsummen und die Tiraner sogar Ostern an die dreckigen Strandstreifen von Durres fahren, hat einen Grund.Alle im Land teilen eine kaum verhehlte Hoffnung: Die NATO hilft wirklich, die UCK macht mobil.

"Freiwillige Kämpfer bekommen wir von überall", sagt lächelnd der Rekrutierungschef der UCK, Visar Reka.Im bürgerlichen Leben ist der 36jährige Dokumentarfilmer, aber jetzt, sagt er, "sehe ich mich lieber mit einem Gewehr in der Hand als mit einer Kamera." Mindestens zehntausend Kosovo-Albaner stehen schon unter Waffen, verrät er mit Genugtuung, "wir können gar nicht soviele Rekrutierungsformulare drucken, wie die Männer und Frauen ausfüllen wollen."

Sein Mitstreiter, der Kopf der UCK-Logistik, Dr.Shaip Muja, blickt hinter blauen Sonnengläsern auf den Gesprächspartner aus "dem Westen".Muja, von Beruf Arzt, fügt die Bemerkung hinzu: "Auch Nichtalbaner melden sich bei uns und wollen der UCK helfen - Professoren, Ärzte - Sie verstehen, daß ich keine Namen nenne."

Auf der sonnigen Terrasse eines Hotels in Tirana wirken die beiden Herren ausgesprochen zivil.Muja im eleganten, dunklen Anzug und Reka mit guter, sportlicher Kleidung.Alles, erklärt er, was die Soldaten brauchen, sei ein Gewehr.Mehr bekämen sie nicht zur Verfügung gestellt.Uniformen, Schweizermesser, Socken, Unterwäsche, das besorgten sie sich irgendwo selbst.Auch Ferngläser oder Tarnfarbe fürs Gesicht kaufen die Männer und Frauen ein."Wir wissen doch Bescheid, wo es welche Kleider gibt", sagt Visar Reka."Sehen Sie." Er tippt an seine Schuhe: "Timberlands!" Nicht nur äußerlich erwecken die Herren einen zivilen Eindruck.Ihre politischen Ausführungen haben sie wohl durchdacht.

"Auf keinen Fall wollen wir, daß im Kampf um das Kosovo Amerikaner oder andere NATO-Angehörige zu Schaden kommen", erklärt Reka mit Bestimmtheit.Dankbar ist er den Amerikanern, der NATO für ihren Einsatz: "Psychologisch ist das für uns ein ganz neues Element, daß wir zum ersten Mal in unserer Geschichte Unterstützung bekommen und nicht allein sind.Das gibt uns den Impetus loszulegen."

Im Norden des Landes, zwischen den zerklüfteten Gebirgen, unterhält die UCK Trainingslager für ihre halblegalen Streitkräfte.In Durres, am Hafen, der eine Stunde von der Hauptstadt entfernt liegt, eilen Rekruteure den Kosovo-Albanern entgegen, die aus dem Exil zurückkehren, um sich ihr Heimatland zu erkämpfen."Das geht ganz schnell", erzählt Visar Reka, "unsere Männer teilen die Bögen aus, und schon fahren die Rekruten mit einem Wagen los."

Wie Reka und Muja arbeiten viele der Vertriebenen und Geflüchteten mit unbeirrbarem Eifer an der kleinen Mobilmachung, der sie die große gern folgen sähen."Wir wollen ein Teil des Westens werden, wir wollen Demokratie", sagt Reka mit Emphase."Darum waren wir für den Rambouillet-Vertrag, nicht, weil wir Nationalisten sind." Jedes Wort, das Reka sagt, sitzt.Er verschwendet kaum Zeit durch Pausen oder Grübeln, wenn die Rede auf die politischen Ziele der UCK kommt."Wir wollen dem Westen zuhören, vom Westen lernen.Die UCK würde ohne Probleme unter NATO-Kommando kämpfen."

Wie das Zusammenleben mit den heute feindlichen, unversöhnten Nachbarn aussehen soll, darüber machen sich diese Kosovo-Albaner ebenfalls ihre Gedanken."Leider sind die Serben Nationalisten, ihnen geht es nicht um westliche Werte." Mit einem demokratischen Nachbarn wünschen sie zusammenzuleben."Serben tun mir leid, wir wollen im Kampf nicht sein wie sie.In deren Haut", sagt Visar Reka bewegt, "will ich nicht stecken.Ohne Probleme könnten wir in Belgrad eine 5-Tonnen-Bombe plazieren, aber wir wollen keinen Terror.Wir wollen den Aggressoren nicht ähneln.Es gibt keine Heilung für Serien- und Massenmörder.Wie soll man solche Menschen jemals resozialisieren?" Auch wo "Arkans" Leute gewütet haben, soll es weder Lynchjustiz noch Rache geben."Das ist gegen unseren Ehren-Kodex und unsere Überzeugung.Diese Leute gehören vor ein internationales Tribunal."

Nein, erklären beide, die Serben als ganzes Volk wollen sie nicht beschuldigen.Aber ihre brutale Willkür wollen sie auch nicht gelten lassen."Wir brauchen stabile, demokratische Nachbarn, mit denen wir Handel treiben können und kulturellen Austausch pflegen", sagt Reka.Ihre Hoffnung gilt den Bodentruppen."Ground troops" beherrschen ihre logistischen Erwägungen."Wir", sagt Reka mit leisem Stolz, "werden die Frontlinie sein." In seiner Vorstellung sind ground troops schon so gut wie da."Wir brauchen 12,7 Millimeter Handfeuerwaffen, weitreichende Mörsergeschütze, bunkerbrechende Waffen und Anti-Panzergerät, aber keine Panzer."

"Die beste Neuigkeit", die Visar Reka dieser Tage vernommen hat, ist die vom Einsatz der Apache-Hubschrauber durch die NATO.Als er das sagt, sieht er aus, wie jemand, der ein großes Geschenk bekommen hat: einen guten Freund.Der Freund heißt NATO - und die UCK, erklären beide, ist mit der NATO in Kontakt."Aber bitte verstehen Sie - wir können keine Details preisgeben, im Augenblick." Sie erheben sich vom Tisch und verabschieden sich mit festem Händedruck.Da wirken sie, als wollten sie dem ganzen Leid und der Traurigkeit ihrer traumatisierten Landsleute etwas zum Trost und zur Hoffnung geben: ihre Haltung.Dann gehen sie raus auf die Straßen Tiranas, wo die Wagen vorüberbrausen, in denen junge Männer sitzen, die zum Kämpfen fahren.

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