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Viele Sudanesinnen und Sudanesen hoffen auf demokratische Reformen.

© Foto: AFP/Ashraf Shazly

Wohin steuert der Sudan?: Ein Kompromiss für Frieden und Freiheit

Vor gut einem Jahr putschte das Militär im Sudan. Damit endete auch die Zeit einer zivilen Übergangsregierung. Wie könnte mehr Demokratie erreicht werden? Ein Gastbeitrag.

Am 25. Oktober 2021 beendete ein Militärputsch vorerst den politischen Transitionsprozess im Sudan, der 2019 nach der Revolution gegen eine 30-jährige islamistische Militärherrschaft begonnen hatte. In den zwei Jahren vor dem Coup hatte eine zivile Übergangsregierung Frieden mit mehreren Rebellengruppen geschlossen, Wirtschafts- und Rechtsreformen auf den Weg gebracht und die Beziehungen zu anderen Staaten verbessert. Die Partnerschaft zwischen zivilen Parteien und Militär, die den Übergang zur Demokratie ermöglichen sollte, zerbrach an politischen Konflikten.

Den Militärs ist es aufgrund des anhaltenden Widerstands gegen den Putsch bislang nicht gelungen, eine funktionsfähige Regierung zu bilden. Mehr als 120 junge Leute wurden bei Protesten gegen das Militär getötet. Die Wirtschaft stagniert. 15 Millionen der 45 Millionen Einwohner des Sudan gelten als „nahrungsmittelunsicher“. Das heißt: Menschen haben nur eingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln.

Internationale humanitäre Hilfe wird zwar weiter geleistet, die meisten Geberländer, darunter auch Deutschland, setzten aber ihre nach der Revolution zugesagte Entwicklungshilfe aus. Private Investoren meiden das Land wegen der instabilen Militärherrschaft. Die Sicherheitslage im ganzen Land hat sich verschlechtert.

In diesem Jahr sind mehr Menschen zu Binnenvertriebenen geworden als in den Jahren zuvor, meist durch im Zuge des Machtkonflikts zusätzlich politisierte Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen tribalen Gruppen. Insgesamt sind heute mehr als drei Millionen Sudanesen auf der Flucht im eigenen Land.

Seit dem Staatstreich sind die Vereinten Nationen zusammen mit der Afrikanischen Union (AU) und der ostafrikanischen Regionalorganisation IGAD kontinuierlich mit allen Seiten im Gespräch gewesen, nicht zuletzt mit dem Militär und den wichtigsten politischen Parteien, um eine Wiederherstellung ziviler Regierungsführung zu ermöglichen.

Das war und ist mühsam. Aber vor vier Wochen übergab die militärische Führung mir und meinen Partnern von AU und IGAD ein Dokument mit einem Verfassungsentwurf, auf den sie sich im Grundsatz mit Vertretern der im Oktober 2021 gestürzten Parteienkoalition geeinigt hatten.

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Millionen Sudanesen sind heute auf der Flucht im eigenen Land.

Dieser Entwurf entspricht nicht in allen Punkten den internationalen Standards für Rechenschaftspflicht und demokratische Regierungsführung. Das Dokument trägt aber den Prioritäten der wichtigsten Konfliktparteien Rechnung: Die Opposition will eine Rückkehr zu ziviler Herrschaft. Die Militärs wollen bestimmte institutionelle und persönliche Garantien, bevor sie die Macht an – vorerst – nicht gewählte Zivilisten übergeben.

Das Volk im Allgemeinen will eine funktionierende Regierung, die „liefern“ kann: eine Regierung, die die katastrophalen Lebensbedingungen verbessert und fähig und willens ist, die eigene Bevölkerung vor organisierter Gewalt zu schützen, auch solcher, die von Teilen der Sicherheitskräfte oder von ehemaligen Rebellengruppen ausgeht.

Als nächstes sollen diese Übereinkünfte in ein Rahmenabkommen gefügt werden, das innerhalb der nächsten Tage unterzeichnet werden könnte. Dies würde es leichter machen, Lösungen für schwierige, bisher ungeklärte Fragen wie die der Übergangsjustiz und der Reform des Sicherheitssektors zu finden.

Die sudanesische Bevölkerung sehnt sich nach einer Beilegung der Konflikte im Land.

© Foto: AFP/Ashraf Shazly

Auf der Grundlage eines solchen Abkommens muss dann eine neue, zivile Übergangsregierung gebildet werden. Diese wird nicht nur die drängenden sozioökonomischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen angehen müssen.

Wahlen sollten spätestens in zwei Jahren stattfinden

Sie muss auch einen breit angelegten Verfassungsdialog beginnen, der Parteien und gesellschaftliche Akteure aus allen Regionen, religiösen Gemeinschaften und ethnischen Gruppen beteiligt. Die Regierung muss zudem Wahlen vorbereiten, die - soweit besteht Einigkeit - in spätestens zwei Jahren stattfinden sollen.

Eine zivile Übergangsregierung ist zudem Voraussetzung für die Wiederaufnahme internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Die internationale Gemeinschaft hat die Rückkehr zu ziviler Herrschaft gefordert und muss nun zeigen, dass sie die Wiederherstellung wirtschaftlicher und politischer Stabilität im Sudan unterstützt.

Materielle und politische Unterstützung muss schnell erfolgen, um sicherzustellen, dass der immer noch brüchige Frieden im Sudan erhalten bleibt.

Volker Perthes, UNITAMS

UNITAMS, die UN-Mission im Sudan, die ich leite, hilft bei der Koordination der wichtigsten Geberländer in der sogenannten Friends-of-Sudan-Gruppe. Deutschland ist ein Schlüsselmitglied dieser Gruppe. Es hat sich nach der Revolution stark im Sudan engagiert und genießt in der sudanesischen Bevölkerung mehr Vertrauen als einige andere, geopolitisch aggressivere Akteure.

Hilfe für den Sudan sollte nicht nur karitativen Motiven entspringen, sondern unserem gemeinsamen Interesse an Stabilität und guter Regierungsführung in Afrika. Das gibt es nicht umsonst.

Materielle und politische Unterstützung muss schnell erfolgen, um sicherzustellen, dass der immer noch brüchige Frieden im Sudan erhalten bleibt, Gewaltopfer Gerechtigkeit erhalten, freie und faire Wahlen vorbereitet werden. Oder anders gesagt: um zu verhindern, dass dem Sudan der Weg zu Wahlen und einer legitimen Regierung durch gewaltsame Auseinandersetzungen oder gar einen weiteren Putsch versperrt wird.

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