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Politik: Wort der Jahre

Von Ursula Weidenfeld

Es sind nur noch wenige Stunden, dann startet in Deutschland ein sozialpolitischer Großversuch, den manche für das größte Reformwerk seit der Einführung der dynamischen Rente halten. Arbeitslosen und Sozialhilfe werden zusammengelegt. Das werde, so versprechen die Reformer, den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen, die Beschäftigungschancen der Menschen verbessern, den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger machen. Das ist natürlich Unsinn: Hartz IV allein wird nicht viel verändern, außer dass viele Menschen weniger Geld bekommen und ein paar mehr. Wenn aber das Versprechen eingelöst wird, daraus eine bessere Arbeitsmarktpolitik zu machen, dann kann viel erreicht werden, in ein paar Jahren vielleicht sogar die Halbierung der Arbeitslosigkeit, wie sie Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement verspricht. Wenn tatsächlich Wiedereingliederungspläne für jeden Langzeitarbeitslosen erarbeitet und auch umgesetzt werden. Und wenn wirklich dafür gesorgt wird, dass viele, die arbeitslos werden, nicht arbeitslos bleiben müssen.

Viel wichtiger aber sind die Sekundäreigenschaften der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Es ist zum ersten Mal gelungen, ein Reformprojekt durchzusetzen, das Ansprüche an den Staat offensiv reduziert, Zumutungen offen legt, Unbequemlichkeiten verlangt. Im Lauf des Jahres haben viele Gegner der Reform gelernt, sie zu akzeptieren. Manche von denen, die im Sommer dagegen auf die Straße gingen, sind heute vielleicht sogar überzeugt, dass es richtiger ist, die Energie darauf zu richten, Menschen in Arbeit zu bringen, anstatt sie materiell ruhig zu stellen. Es ist, als habe das Land einen kleinen Kurs in Volkswirtschaftslehre besucht – und als habe es die Zwischenprüfung bestanden. Hartz IV ist der Beweis dafür, dass Deutschland reformfähig ist und Reformen aushält. Es ist, nebenbei bemerkt, auch der Nachweis, dass sich Durchhalten für eine Bundesregierung auszahlen kann.

Hartz IV, das klingt aber außerdem so, als lauere da noch ein Hartz V, als drohe Hartz VI und als gäbe es schon einen Entwurf für Hartz VII in den Schubladen der Referenten. So ist es, im Prinzip. Wenn auch die Bundesregierung vor dem Herbst 2006 nichts mehr anfassen will, was den Namen Reform trägt, so ist schon klar, was sich hinter den Hartz-Chiffren für die kommenden Jahre verbirgt: Das Gesundheitswesen wird auf Bürger- oder Kopfpauschalen umgestellt, eine neue Finanzierung für die Pflegeversicherung muss her, das Lohnfindungssystem muss flexibler werden, die Arbeitsplatz-Verantwortung muss stärker auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Betrieben verlagert werden. Wahrscheinlich kommt in naher Zukunft auch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre. Das sind, gemessen an den Anstrengungen, die für Hartz IV unternommen wurden, noch dickere Reformbrocken, die die Politik schultern und die Bevölkerung akzeptieren muss.

Hartz IV hat gezeigt, dass die „German Angst“ vor Veränderungen immer noch lebt. Aber das vergangene Jahr hat auch bewiesen, dass diese Angst sich nicht zur Lähmung ausgewachsen hat. Hartz V, VI und VII werden zeigen, ob die alten Reflexe intakt sind – oder ob es eine neue, mutigere Begegnung mit der Realität geben wird. Immerhin: Zum Wort des Jahres hat es Hartz IV schon gebracht. Viel spricht viel dafür, dass dieses Wort einen Bann gebrochen hat. Das wäre gut. Für die Arbeitslosen. Für den Kanzler. Und, das ganz besonders, für Deutschland.

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