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Politik: Ziemliche Pleite

Wenn Krankenkassen zahlungsunfähig werden – Ministerium gibt Probleme mit Insolvenzregelung zu

Berlin - Für Hans Jürgen Ahrens wäre es der „größte anzunehmende Unfall in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Eindringlich warnt der AOK-Chef davor, das Insolvenzrecht künftig einfach auf die Krankenkassen zu übertragen. wie es im Entwurf der Gesundheitsreform noch vorgesehen ist. Würde das so umgesetzt, ist laut Ahrens, der „Untergang“ zahlreicher Versorgerkassen in den Ländern zu befürchten.

Die Insolvenzregelung ist eines der Reformdetails, das mit der Einigung in der Nacht vom Freitag noch nicht vom Tisch ist, sondern mit den Ländern noch besprochen werden muss. Die Sorge des AOK- Chefs ist nicht unberechtigt. Mit Ausnahme der AOK Baden-Württemberg haben es laut Gesundheitsministerium alle Ortskrankenkassen versäumt, für ihre Mitarbeiter Altersrückstellungen aufzubauen. Ministeriumssprecher Klaus Vater nennt das „fehlendes Pflichtbewusstsein den eigenen Leuten gegenüber“. Erklärt man die Krankenkassen aber für insolvenzfähig, müssten sie den Barwert ihrer Versorgungsanwartschaften als Verbindlichkeiten ausweisen. Wären diese Rückstellungen – wie bei den Ortskrankenkassen – gar nicht vorhanden, gerieten viele Kassen in Überschuldung, müssten also sofort Insolvenz anmelden.

Dieser Umstand könne Millionen von Versicherten schlagartig um ihren Versicherungsschutz bringen, warnen die Kassen. Sie verweisen auf das Sozialstaatsprinzip, das den Bund verpflichte, seine Bürger im Falle von Krankheiten zu schützen. Auch Verdi-Chef Frank Bsirske sieht „jede Menge Sprengstoff“: Die Ärzte, die solche Kassen-Insolvenzen fürchten müssten, würden womöglich nur noch gegen Vorkasse behandeln. Innen- und Justizministerium haben keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie argumentieren, jeder Versicherte könne seine Kasse wechseln, und zwar bereits dann, wenn diese in einer wirtschaftlichen Krise stecke und Beitragserhöhungen ankündige. Werde eine Kasse aufgelöst, könne jedes Mitglied sofort einer anderen beitreten. „Das Risiko der Insolvenz liegt daher nicht bei den Versicherten, sondern bei den Gläubigern der überschuldeten Krankenkassen.“ Selbst die wären aber „vor Forderungsausfällen geschützt“, weil die Aufsichtsbehörden im Verdachtsfall Schließungsverfahren einleiten müssten. Bedenklich wären die Insolvenzregelungen nur, wenn dadurch das ganze System der gesetzlichen Krankenkassen gefährdet wäre. Es sei aber „sichergestellt, dass die Funktion der Krankenversorgung in jeder Phase gewährleistet ist“ und könne „nicht behauptet werden, dass die Funktionsfähigkeit des Systems der GKV den Fortbestand jeder einzelnen bestehenden Krankenkasse erfordere“.

Im Gegenteil. Experten meinen, dass es weder Sinn macht noch wahrscheinlich ist, dass jede der derzeit 252 gesetzlichen Krankenkassen bestehen bleibt. Gleichwohl sieht man im Gesundheitsministerium das Problem der AOKen – und signalisiert Kompromissbereitschaft. Übergangszeiten seien nötig, sagt Ministerin Ulla Schmidt (SPD), deshalb werde man die Insolvenzfrage in einem gesonderten Gesetz regeln. Die Ortskrankenkassen, so stellt Ahrens klar, bräuchten zum Aufbau der fehlenden Altersrückstellungen „mindestens eine Verschiebung von 25 Jahren“. Ministeriumssprecher Vater hingegen stellt für jede erwogene Streckung eine klare Bedingung: „Die Kassen müssen zuvor klar gemacht haben, dass sie tatsächlich mit dem Aufbau eigener Alterungsrückstellungen beginnen.“

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