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Truppenbesuch. Hans-Peter Bartels darf als Wehrbeauftragter auch unangemeldet kommen.

© picture alliance / dpa

Der Wehrbeauftragte des Bundestages: Zivile Kontrolle für die Bundeswehr

Er kümmert sich um Schutzbrillen für Soldaten genauso wie um Ersatzteile von Tornados: Der Wehrbeauftragte ist eine Institution mit weitreichenden Befugnissen. Eine Erfolgsgeschichte.

Es gibt eine ganze Reihe politischer Beauftragter in Berlin. Manche sind in der Öffentlichkeit präsenter als andere, manche haben großen Einfluss, andere werden kaum wahrgenommen. Doch nur einer ist so etwas wie eine Institution: der Wehrbeauftragte. Karl Wilhelm Berkhan (SPD), Willi Weiskirch (CDU), Willfried Penner (SPD) und Alfred Biehle (CSU) verliehen dem Amt in der Vergangenheit Gewicht, und noch vor der Öffnung der Streitkräfte für Frauen gab es Mitte der 1990er Jahre mit Claire Marienfeld-Czesla (CDU) eine weibliche Wehrbeauftragte.

Auch Hellmut Königshaus dürfte in die Geschichte eingehen. Dank der fünfjährigen Amtszeit des Wehrbeauftragten blieb er 2013 der einzige FPD-Politiker im Bundestag, wenn auch nicht als Abgeordneter. Das Bundestagsmandat muss der Wehrbeauftragte traditionell aufgeben. Im Mai 2015 folgte Königshaus schließlich der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels. Bartels verzichtete für den neuen Job nicht nur auf sein Abgeordnetenmandat, sondern auch den Vorsitz des Verteidigungsausschusses. Er ist nicht der erste Wehrbeauftragte, der diesen Weg ging. Aus seiner Sicht ein lohnenswerter Tausch: „Ich muss jetzt keine politischen Kompromisse mehr machen und habe ganz andere Möglichkeiten, Druck auszuüben“, sagt er. Ganz nebenbei macht das Amt den 54-jährigen SPD-Politiker unabhängig von kommenden Wahlergebnissen seiner Partei.

Hilfsorgan des Parlaments

Die Sonderstellung des Wehrbeauftragten wird allein durch seine institutionelle Anbindung deutlich. Bartels ist Beauftragter des Bundestages und steht damit über den Parteien. Seine Position ist sogar im Grundgesetz verankert. Die ebenfalls nicht zahnlose Menschenrechtsbeauftragte, derzeit Bärbel Kofler, ist dagegen eine Beauftragte der Bundesregierung. Die beruft sie und kann sie folglich auch wieder abberufen. Ohnehin übt Kofler ihre Tätigkeit nur im Nebenjob aus. Im Hauptberuf ist sie weiter Bundestagsabgeordnete der SPD, mit allem, was dazugehört. Der Afrikabeauftragte Günter Nooke mit Sitz im Entwicklungsministerium firmiert als persönlicher Beauftragter der Bundeskanzlerin. Welche Aufgaben er für Angela Merkel wahrnimmt, ist allerdings kaum bekannt. Sein Wirken vollzieht sich weitgehend jenseits der Öffentlichkeit.

Hans-Peter Bartels ist geradezu verpflichtet, sich zu Wort zu melden, denn er ist eine Art Anwalt der deutschen Soldatinnen und Soldaten. Jeder aus der Truppe, egal ob freiwillig Wehrdienstleistender oder hoher Offizier, kann sich mit Beschwerden, aber auch mit Verbesserungsvorschlägen direkt an ihn wenden. Das macht den Wehrbeauftragten zum Garanten des Prinzips der Inneren Führung – einem wichtigen Baustein der demokratisch verankerten Streitkräfte im Nachkriegsdeutschland. Praktisch besagt es nichts anderes als: In der Bundeswehr geht Recht vor Gehorsam. Doch nicht nur das. Als weitere Lehre aus dem „Dritten Reich“ wurde die Kontrolle über die Armee nach der Wiederbewaffnung Deutschlands beim Bundestag angesiedelt. Stichwort: Parlamentsarmee. Der Wehrbeauftragte soll diese Kontrolle sicherstellen. Im Grundgesetz wird er als Hilfsorgan des Parlaments bezeichnet, weitreichende Befugnisse inklusive. Das ist weltweit einzigartig. Der Wehrbeauftragte darf jederzeit ungemeldet Kasernen besuchen und alle Akten des Verteidigungsministeriums einsehen.

Der Wehrbericht wird gefürchtet

Und er hat ein wirkungsvolles Machtinstrument: den Wehrbericht. „Niemand will in dem Bericht vorkommen“, sagt Bartels auf der Ledercouch in seinem Büro und lacht. Einmal im Jahr legt der Wehrbeauftragte in diesem Bericht Missstände in der Truppe schonungslos offen. 101 Seiten umfasste der letzte Wehrbericht, der gleichzeitig Bartels erster ist. Darin geht es um scheinbar profane Probleme aus dem Dienstalltag ebenso wie um die Einsatzbereitschaft der Truppe. Um marode Kasernen etwa oder darum, dass die Bundeswehr auch im Jahr 15 nach der Öffnung aller Truppenteile für Frauen noch keine Uniformen für schwangere Soldatinnen in ihren Kleiderkammern hat.

Doch auch bei der Einsatzbereitschaft geht es nicht selten um vermeintliche Details. So berichtete Bartels bei der Vorstellung des Berichts, dass Bundeswehreinheiten schon Übungen absagen mussten, weil sie ihre Schutzbrillen an andere Einheiten verliehen hatten. Hintergrund ist das unter dem früheren Verteidigungsminister Thomas de Maizière unter Spardruck eingeführte „dynamische Verfügbarkeitsmanagement der Bundeswehr“. Danach muss die Truppe mit 70 Prozent der eigentlich erforderlichen Ausrüstung auskommen – und sich diese im Zweifel halt zusammenleihen. Für Bartels ein bürokratisches Unding, das mit den realen Anforderungen an eine Einsatzarmee nicht in Einklang zu bringen ist. „Darunter leidet aber nicht nur die Einsatzbereitschaft, sondern auch die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber.“ Die Forderung nach der Rückkehr zur Vollausstattung war das zentrale Thema des ersten Bartels-Berichts. Denn neben Schutzbrillen fehlt es auch an Großgerät. Vor dem Einsatz im Kampf gegen den IS in Syrien stellte sich beispielsweise heraus, dass nicht einmal die Hälfte der Bundeswehr-Tornados einsatzbereit ist. Schon bei seinem ersten Truppenbesuch sei ihm eine lange Mängelliste übergeben worden, berichtet Bartels. „Die Ausstattungsprobleme sind zu lange verdrängt worden.“ Zufall oder nicht, als der Wehrbeauftragte Ende Januar seinen Bericht vorstellte, wurden noch am selben Tag Pläne aus dem Verteidigungsministerium für ein Investitionsprogramm öffentlich.

Doch nicht jeder Mangel kann bis zum nächsten Wehrbericht in der Wiedervorlage warten. Im Zweifel ruft Bartels auch schon mal bei der Ministerin persönlich an, um für schnelle Abhilfe zu sorgen. Meist reicht aber auch ein Hinweis auf Arbeitsebene. Das Zusammenspiel zwischen Ministerium und Wehrbeauftragtem bezeichnet Bartels als kooperativ. „Probleme werden offen angesprochen, auch von Vorgesetzten.“ Frühere Wehrbeauftragte erlebten das noch anders. Zuletzt nutzte Bartels seinen kurzen Draht zum Ministerium bei einem Truppenbesuch in Erbil im Irak. Deutsche Soldaten bilden dort kurdische Peschmerga aus. Das Feldlager der Deutschen glich allerdings eher einer Baustelle denn einer Truppenunterkunft. „Da habe ich direkt das Ministerium aufgescheucht.“

Bartels macht keinen Hehl daraus, dass er sich nicht darauf beschränken will, der Sorgenonkel der Truppe zu sein. „Ich habe mir vorgenommen, größere Themen in den Vordergrund zu stellen“, erklärt er. Die Ausstattung der Bundeswehr ist eines davon. Als Rüstungsexperte kann Bartels detailreich über Waffensysteme sprechen. Und tut das auch. Als Kieler hat er zudem ein Faible für die Marine. Strategische Debatten liegen ihm ebenfalls. Das unterscheidet Bartels von vielen seiner Vorgänger.

4300 Eingaben von Soldatinnen und Soldaten

Für die Soldatinnen und Soldaten bleibt er dennoch vor allem eines: ein Ventil für Frust und Sorgen. 4300 wandten sich allein im vergangen Jahr mit persönlichen Anliegen an den Wehrbeauftragten. Nur wenige der Eingaben landen allerdings tatsächlich auf dem Tisch des Chefs. Die meisten werden von seinen 50 Mitarbeitern bearbeitet. Der Schwerpunkt der Beschwerden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verlagert. Ging es in der Anfangszeit noch um die Durchsetzung grundlegender Menschenrechte vor allem für Wehrpflichtige im Truppenalltag, sind es heute eher ungerechte Besoldungs- oder Beförderungsentscheidungen. Selbstverständlich schlägt sich auch die Öffnung der Bundeswehr für Frauen inzwischen im Wehrbericht nieder. „Das ist ein Thema, bei dem der Wehrbeauftragte noch gefragt ist“, sagt Bartels. Zum Beispiel, um mit Vorbehalten aufzuräumen, „die mangelnde körperliche Leistungsfähigkeit von Frauen führe zum Verlust der Kampfkraft der Armee“, wie es im aktuellen Wehrbericht heißt. Im militärischen Dienst, so stellt der Wehrbeauftragte darin klar, sei „nicht allein physische Stärke ausschlaggebend, sondern auch die psychische Verfassung, Führungsstärke und nicht zuletzt technische Fähigkeiten“. Erkenntnisse wie diese müssen in der Truppe offenbar noch sacken, weshalb sich derzeit viele Frauen beschweren, weil sie sich beispielsweise bei Beförderungen benachteiligt fühlen. Viele verlassen die Bundeswehr daher wieder. Zu viele, wie Bartels sagt. Mit den Frauen rücken auch Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärker in den Fokus der Bundeswehr, und nicht zuletzt muss sich die Armee auch Problemen wie sexuellen Belästigungen stellen. Immerhin, berichtet Bartels, seien diese dort aber nicht ausgeprägter als in anderen Berufsfeldern.

Im Vergleich zu den Anfangsjahren der Bundeswehr, als es auch schon mal Todesfälle gab, weil Ausbilder junge Rekruten unmenschlich schindeten, scheint die Bundeswehr heute in vieler Hinsicht eher einem großen Unternehmen zu gleichen. Mit dem Kampfeinsatz in Afghanistan rückten aber auch existenzielle Nöte wieder in den Fokus des Wehrbeauftragten. Traumatisierte Soldaten fühlten sich von der Bundeswehr im Stich gelassen, Witwen mussten um ihre Versorgung kämpfen. Es dauerte Jahre, bis die neue Einsatzrealität in die Bundeswehrbürokratie durchgedrungen war. Bartels Fazit: „Auch wenn die Bundeswehr heute in unserer Demokratie fest verankert ist, bleibt für den Wehrbeauftragten genug zu tun.“

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