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ZUR PERSON: „Angela Merkel drückt sich nicht“

Ruprecht Polenz über US-Drohungen gegen Teheran, Afghanistan – und die Außenpolitik der Kanzlerin

Herr Polenz, welcher Konflikt treibt den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag momentan am meisten um?

Die Krise um das Atomprogramm des Iran ist der Konflikt mit dem größten Gefährdungspotenzial, nicht nur für die Sicherheit und Stabilität in der Region des Nahen und Mittleren Ostens, sondern für die der ganzen Welt.

US-Präsident George W. Bush hat im Zusammenhang mit dem Iran vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt. Bereitet er rhetorisch einen Militärschlag vor?

Ich halte von solchen rhetorischen Eskalationen überhaupt nichts. Verantwortliche Politiker sollten auch in ihrer Sprache erkennen lassen, dass sie nach einer Lösung suchen. Die kann im Atomstreit mit dem Iran nur auf dem Verhandlungsweg erfolgen. Allerdings haben die nun schon lange andauernden Verhandlungen gezeigt, dass sich Teheran ohne internationalen Druck nicht bewegt.

Nach Recherchen amerikanischer Journalisten will die US-Regierung dem Iran gezielt die Schuld am Tod von US-Soldaten im Irak zuschieben, um so die Amerikaner für Militärschläge zu gewinnen. Ist das plausibel?

Tatsächlich berichten amerikanische Militärs im Irak in jüngster Zeit auffällig häufig, dass Waffen aus dem Iran in den Irak geliefert werden und aus dem Land Aufständische unterstützt werden, die US-Soldaten angreifen. Selbstverständlich haben die Amerikaner im Irak jedes Recht, sich gegen Angriffe zu wehren. Es kommt aber entscheidend darauf an, wo die Amerikaner reagieren. Wenn sie das auf irakischem Territorium tun, ist das etwas ganz anderes, als wenn das US-Militär die iranische Grenze überschreitet – und sei es nur für sogenannte „chirurgische Operationen“ gegen die Revolutionsgarden.

Was bedeutet die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrorhelfer durch die US-Regierung?

Soweit ich weiß, folgen daraus bestimmte inneramerikanische Verbote, etwa, mit ihnen geschäftlich zusammenzuarbeiten. Politisch ist es ein scharfes Warnsignal an den Iran, sich im Irak friedlich zu verhalten. Ich hoffe, dass das seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Was wären die Folgen von Militärschlägen der USA gegen den Iran?

Das würde zu einer nicht mehr kontrollierbaren Kettenreaktion führen und die Gewalt dramatisch eskalieren lassen. Deshalb muss man vor solchen Überlegungen energisch warnen.

Würde die Macht des amerikanischen Militärs die Iraner nicht beeindrucken?

Jede militärische Aktion der USA innerhalb der Grenzen des Iran würde dort die gegenwärtige Regierung stärken. Sogar viele Oppositionelle würden sich dann gegen den Angreifer wenden. Ich kann nur warnen: Diese Strategie hätte schlimme Folgen.

Was meinen Sie konkret?

Der Iran hätte die Möglichkeit asymmetrischer Vergeltungsschläge, das heißt, er würde nicht nur militärischen Widerstand leisten, sondern Terrorgruppen in anderen Ländern zu Unterstützungsaktionen aufrufen, etwa in Israel oder im Irak gegen die amerikanischen Truppen. Deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer könnten unmittelbar bedroht sein, wenn der Iran mit Terroristen in Afghanistan zusammenarbeiten würde.

Was würde eine Eskalation für das ohnehin problematische Verhältnis von Islam und westlicher Welt bedeuten?

Der Irakkrieg und die Intervention in Afghanistan werden in der Propaganda der Islamisten so dargestellt, als führe der Westen einen Krieg gegen den Islam. Diese Sichtweise würde neue Nahrung bekommen, wenn es zu militärischen Aktionen gegen den Iran käme. Das würde die Spannungen zwischen islamischen Ländern und dem Westen vertiefen.

Gehen wir einen Schritt zurück: Täuscht der Eindruck, dass der deutsche Einfluss bei den Atomgesprächen mit dem Iran abgenommen hat? Die Franzosen bestimmen nun den Ton mit harschen Drohungen und der Forderung nach Sanktionen.

Der Eindruck täuscht. Wir hatten im ersten Halbjahr 2007 die EU-Ratspräsidentschaft inne, waren auf andere Weise gefordert als nun. Zudem sind die Franzosen auch schon wieder zurückgerudert. Diese Form der Aufmerksamkeit muss die deutsche Außenpolitik nicht suchen. Sie ist nicht sehr hilfreich.

Könnten nicht auch Sanktionen außerhalb des UN-Rahmens Teheran beeindrucken?

Sanktionen brauchen eine Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat. Ohne diese Grundlage würde die Gefahr steigen, dass sich viele Länder nicht an die Sanktionen halten und sie deshalb unwirksam sind. Sanktionen haben oft unerwünschte Nebenwirkungen: Sie treffen die Bevölkerung, sie verfestigen Schwarzmarkt- und Mafiastrukturen. Deshalb müssen Sanktionen wie bisher gezielt gegen das iranische Atomprogramm und Personen gerichtet werden, die Aktivitäten entwickeln, die nach dem Willen der internationalen Staatengemeinschaft unterbleiben sollen.

Praktisch heißt das: Nicht allgemeiner Wirtschaftsboykott, sondern Reiseverbote und Kontensperrungen für bestimmte Funktionsträger?

Richtig. Mit breiten Sanktionen erreicht man das Gegenteil dessen, was man will. Besonders stark zugenommen hat in jüngster Zeit der Handelstaustausch zwischen dem Iran und China sowie zwischen dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Vieles spricht dafür, dass die Emirate als Drehscheibe zur Umgehung von Sanktionen, etwa auch solchen der USA, genutzt werden.

Halten sich denn die Amerikaner, die am heftigsten Sanktionen fordern, selbst an die Auflagen?

Amerikanische Firmen treiben über Tochtergesellschaften oder über Drittländer durchaus weiter Handel mit dem Iran. Ein Beispiel sind die Lizenzgebühren für Coca- Cola und Pepsi-Cola, die weiter aus dem Iran fließen, obwohl die USA für ihre Firmen Handelssanktionen verhängt haben. Von Halliburton ganz zu schweigen.

Hat Europa noch Handlungsmöglichkeiten – über die zweigleisige Politik hinaus, die Sicherheit in der Frage der Atomwaffen verlangt und dafür Kooperation auf dem Feld Wirtschaft, Technologie und Energie anbietet?

Wir sollten Teheran davon überzeugen, dass es seine eigenen Interessen durch Zusammenarbeit besser voranbringt als durch Konfrontation. Zum Beispiel bei der Drogenbekämpfung in Afghanistan. Unter dem Drogenanbau im Nachbarland leidet der Iran sehr und in zunehmendem Maß. Wir sollten die Iraner einladen, sich bei der Entwicklung von alternativen Einkommensquellen für afghanische Drogenbauern zu beteiligen. Das würde jene Politiker in Teheran stärken, die auf Kooperation setzen.

Die USA bereiten eine Nahostkonferenz vor. Sollte der Iran Ihrer Meinung nach dazu eingeladen werden?

Im Konflikt um den Irak gibt es schon Kontakte von Amerikanern und Iranern. Man sollte im weiteren Verlauf der Nahostkonferenz durchaus überlegen, ob nicht auch der Iran mit am Tisch sitzen sollte. Spätestens dann muss man die Iraner dabeihaben, wenn sich die Konferenz mit der ganzen Region beschäftigt und damit, welche Rollen die einzelnen Länder dort einnehmen sollen.

Herr Polenz, es ist ungewöhnlich, wenn sich ein Unionspolitiker mit wichtiger Funktion öffentlich so kritisch mit der US-Regierung auseinandersetzt. Was wollen Sie damit bewirken?

Ich will die Politiker in den USA unterstützen, die eine Eskalation ebenso ablehnen wie ich. Und ich will zu direkteren Kontakten von Amerikanern und Iranern ermutigen. Da gibt es auf beiden Seiten aus der Geschichte viele Vorbehalte und Verhärtungen. Miteinander zu sprechen heißt nicht, gleicher Meinung sein zu müssen, aber es wäre ein Schritt aufeinander zu.

Sie haben Afghanistan erwähnt: In der SPD ist seit dem Frühsommer der Widerstand gegen den Antiterroreinsatz „Operation Enduring Freedom“ (OEF) abgeschmolzen. Wie bewerten Sie das?

Das ist eine wichtige Entwicklung. Es ist entscheidend, dass unsere Soldaten eine möglichst große Mehrheit des Bundestages hinter sich wissen. Je mehr SPD-Abgeordnete dafür stimmen, umso besser. Das Mandat der „Operation Enduring Freedom“ hat sich beim Kampf gegen Terroristen in Afghanistan als richtig erwiesen. Ich halte nicht viel von den Vorschlägen, den Kampf gegen den Terror zur Aufgabe der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) zu machen. Es ist sinnvoll, dass die beiden Mandate getrennt bleiben.

Kann es auf Dauer gut gehen, wenn zwar der Bundestag für die Afghanistanmission stimmt, die Bevölkerung die Einsätze aber mehrheitlich ablehnt?

Das ist in der Tat eine bemerkenswerte Diskrepanz: In Umfragen sagen 60 Prozent der Deutschen, sie wollten die Bundeswehr lieber zurückholen. 80 Prozent der Afghanen dagegen sagen, wir brauchen die Deutschen und die internationalen Soldaten in unserem Land, weil sonst der Aufbau keine Sicherheit hat. Wir müssen der deutschen Bevölkerung besser erklären, dass die deutschen Soldaten auch wegen der Sicherheit in Berlin und München in Afghanistan sind. Ohne Frieden in Afghanistan gibt es dauerhaft auch keine Sicherheit in Deutschland.

Wie geht das zusammen, dass eine Mehrheit der Deutschen zwar mehr Einfluss und auch einen Sitz im UN-Sicherheitsrat befürwortet, Auslandseinsätze des Militärs aber auf so viel Skepsis stoßen?

Wir müssen vielleicht noch deutlicher machen, dass wir mit einem Abzug unsere Solidarität innerhalb des Bündnisses aufkündigen würden. Wir müssten damit rechnen, dass uns unsere Partner genau daran erinnern und sich ebenso verhalten würden, wenn wir einmal in Nöte kämen.

Wenn Afghanistan für uns so existenziell ist: Warum war die Kanzlerin dann noch nicht dort?

Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin in absehbarer Zeit nach Afghanistan fahren wird. Sie hat das auch schon angekündigt.

Beobachter klagen, die Kanzlerin setze in der Außenpolitik auf sympathische Symbolhandlungen wie das Treffen mit dem Dalai Lama oder mit Al Gore, meide aber ein starkes persönliches Engagement bei strittigen außenpolitischen Themen.

Das sehe ich anders. Es war diese Bundesregierung, die den Einsatz der Bundeswehr vor der Küste des Libanon im Rahmen der UN-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands beschlossen hat. Keiner konnte sich vor Jahren vorstellen, dass Israel und der Libanon den Einsatz der Bundeswehr begrüßen würden. Das war keine einfache Debatte.

Haben nicht sowohl in der Libanonfrage als auch in der Kongofrage SPD-Minister die Initiative ergriffen, lange bevor die Kanzlerin handelte?

Es ist einfach, eine Forderung aufzustellen. Es ist viel schwieriger, als Regierungschefin umstrittene Entscheidungen durchzusetzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht gerade auch für die neuen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der EU-Einsatz zum Schutz der Wahlen im Kongo war in der Öffentlichkeit nicht weniger umstritten als der vor der Küste des Libanon. Man würde Angela Merkel sehr unterschätzen, wenn man sie für eine Persönlichkeit hielte, die sich vor schwierigen Aufgaben drückt. Wer genau hinsieht, wird gerechterweise zu dem Urteil kommen: Die Kanzlerin bohrt in der Außenpolitik sehr dicke Bretter.

Die Fragen stellten Ruth Ciesinger und Hans Monath. Das Foto machte Thilo Rückeis.

UNABHÄNGIGER

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses gehört dem Parlament seit 13 Jahren an. Durch seine Eigenständigkeit eckte der Politiker oft in den eigenen Reihen an.

BRÜCKENBAUER

Als CDU-Generalsekretär fasste Polenz im Jahr 2000 nicht Tritt. Nach einem halben Jahr trat er zurück. Begründung: Er baue lieber Brücken, als hart zu polarisieren.

IRANKENNER

Seit zehn Jahren fährt Polenz fast jedes Jahr in den Iran. Der Außenpolitiker glaubt, dass das Land mit seiner großen Kulturtradition nach einer Lösung der Atomkrise sein gewaltiges Potenzial zum Nutzen seiner Menschen und der Region entfalten könnte.

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