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Politik: „Zurück zur kollektiven Führung“

Der Grünen-Politiker Werner Schulz über die Herausforderungen seiner Partei in der Opposition

Herr Schulz, seit einem Jahr sind Sie nicht mehr im Bundestag. Was fehlt denn den Grünen?

Offensichtlich ist es schwer, nach dem abrupten Rauswurf aus der Regierung wieder Tritt zu fassen, weiterzudenken und das zu tun, was wir uns vorgenommen haben – konstruktive Oppositionspolitik zu leisten. Nötig wäre auch Aufarbeitung, denn wer die Fehler verdrängt, läuft Gefahr, dass sie einen später und unerwartet wieder einholen. Andererseits müssen die Bündnisgrünen durch eigene Angebote deutlich machen, dass die große Koalition im gegenseitigen Argwohn nur wenig auf die Reihe bekommt.

Wie stellen Sie sich das vor, Aufarbeitung der Regierungszeit? Wollen Sie die Debatte über Hartz IV und Auslandseinsätze der Bundeswehr noch mal aufrollen?

Zunächst sollten wir eine Debatte über den demokratischen Zustand der Partei führen. Nach sieben Jahren Außenministerwahlverein muss der neue Vorstand – der ja weitgehend der alte sein wird – dafür sorgen, dass die Partei ihren Kurs über demokratische statt informelle Strukturen bestimmt, dass die Basis wieder mehr Gewicht bekommt. Die Partei wollte ja nie den Ausstieg aus der rot-grünen Koalition, sondern nur vielfach eine andere Politik. Sie hat sich aber nicht durchsetzen können, zum Beispiel bei Hartz IV, der Vermögensteuer und so weiter. In der Regierungszeit hatte die Partei nicht mehr viel zu sagen und wurde, wie das so schön heißt, zugetextet.

Macht es die große Koalition für die Opposition generell schwer, oder tun sich die Grünen besonders schwer?

Die Bündnisgrünen tun sich schwer, weil sie sich in den kleinen Schritten der großen Koalition wiedererkennen. Wenn heute gesagt wird, die große Koalition erntet die Früchte von Rot-Grün, dann attestiert man indirekt dem Bündnis von Union und SPD, unsere Politik bruchlos fortzusetzen. Und das ist das Problem. FDP und Linkspartei/PDS können leichter angreifen. Es ist ein Jammer, dass wir einem Murks wie Hartz IV das Siegel Grundsicherung verpasst haben und nun in den Sog von Nachbesserungen geraten. Wir sollten stattdessen eine soziale Grundsicherung vorlegen, die diesen Namen verdient. Rot-Grün hat ein durchgängiges Konzept gefehlt und war deswegen anfällig für die spontanen Einfälle Schröders. Jetzt gilt es, einen neuen Politikentwurf vorzulegen.

Vielleicht fällt es den Grünen auch schwer, ohne Joschka Fischer zurechtzukommen?

Das geht ja auch nicht von heute auf morgen. Joschka Fischer hat die Partei über viele Jahre geprägt und beherrscht. Viele Kämpfe und Verluste säumen seinen Egotrip. Dass er sich zurückgezogen hat, mag gut sein. Nun müssen die Bündnisgrünen zur kollektiven Führung zurückfinden.

Ist eine neue Koalitionsdebatte angesagt, um den Machtanspruch der Grünen zu unterstreichen?

Die Spitze sucht nach der Machtoption, die Basis ist an den Inhalten interessiert. Man muss beides zusammenbringen. Zunächst muss die programmatische Aufstellung stimmen, die Optionen ergeben sich dann. Ich war nie davon überzeugt, dass Union und Grüne wie Feuer und Wasser sind. Doch selbst wenn beides zusammenkommt, entsteht bekanntlich Dampf, und das ist eine ökologische Antriebskraft. Aber womöglich führt die Schwäche der Volksparteien zu Dreierkonstellationen. Käme dann noch die FDP dazu, wäre Jamaika ein sehr euphemistisch klingender Begriff für Zumutung.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

Werner Schulz (56) war von 1990 bis zum vergangenen Herbst Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Der gebürtige Zwickauer lebt in Berlin und der Uckermark.

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