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Politik: Zusteigen bitte

Migration als Chance für Einwanderer und ihre neue Heimat – auch der Innenminister bekennt sich dazu

Berlin - So weit hat Deutschland es in einem halben Jahr großer Koalition gebracht: Ein (fast) rein christdemokratisch besetztes Podium diskutiert über Einwanderung und Integration und es fliegen, in artigsten Worten natürlich, die Fetzen. Nicht um den politischen Gegner geht es hier, die oft geschmähten Multikulti-Romantiker von grün und links – nein, es geht gegeneinander. Und ausgerechnet die Position, die man über Jahrzehnte zum eisernen Inventar der Christdemokratie rechnen musste, der Satz „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, wird nicht einmal erwähnt, im Gegenteil. Der Bundesinnenminister zeigt sich als vollständig Bekehrter: „Wir müssen uns klar machen, dass Migration nicht in erster Linie Bedrohung, sondern Bereicherung ist“, sagt Wolfgang Schäuble. Natürlich gebe es Risiken, aber die müsse man nicht immer so intonieren, dass die Einwanderer heraushören müssten: „Die wollen uns nicht.“ Auch in seiner Schwarzwälder Heimat, sagt Schäuble, habe man die aus dem Osten geflohenen Neubürger nach 1945 „ziemlich scheel angeguckt“. Aber am Ende klappte die Integration von Einheimischen und Zugezogenen. „Das sollte uns Mut geben. Es ist zu schaffen.“

Einer zornigen Rita Süssmuth, Mitglied der UN-Kommission über weltweite Migration, genügt das Bekenntnis des Parteifreunds Schäuble allerdings nicht. Man solle nun nicht glauben, die deutsche Politik sei von den Ankündigungen schon zur Umsetzung übergegangen, ruft die frühere Bundestagspräsidentin und Familienministerin in den Sitzungssaal des Städtetags, der zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen zu der Tagung „Globale Migration“ eingeladen hat. Deutschland, so Süssmuth, gehöre in Migrationsfragen „zu den Ländern, die nicht recht wissen, ob sie vorwärts oder rückwärts wollen“. Sie könne „das Gerede über Parallelgesellschaften nicht mehr hören“, solange Migranten ständig erfahren müssten, dass man sie nicht wolle, solange die Forderungen an sie täglich höher geschraubt würden. Die Deutschen sollten sich lieber an die eigene jüngste Geschichte erinnern, an die Bekenntnisschulen und die Religionskriege, die noch in den 60er Jahren Familien zerstörten, wenn ein Protestant eine Katholikin heiratete. Wofür man die Türken schmähe, fragte Süssmuth, „wie lange haben wir Deutschen das eigentlich hinter uns?“

Was in der Migrationspolitik alles möglich wäre, darüber klärten nach dem Auftritt der deutschen Politiker hiesige und ausländische Experten auf. Die Heidelberger Völkerrechtlerin Sabine Schlemmer-Schulte stellte Berechnungen der Weltbank vor, die annimmt, dass schon drei Prozent mehr Migranten im reichen Norden der Erde mehr Geld in deren arme Heimatländer pumpen würden als der Wegfall der Handelsschranken, die diesen Ländern die Märkte der ersten Welt verschließen. Und der New Yorker Soziologe John H. Mollenkopf, dessen Team seit Jahren den Weg von Einwanderern der zweiten Generation in New York City beobachtet, konnte seine Heimatstadt loben: Obwohl Rassismus noch immer vor allem Schwarzen und Puertorikanern den Aufstieg versperre und die Stadt bei weitem kein Multikulti-Paradies sei, könnten es Neu-New-Yorker durch Leistung schaffen. Europa dagegen verbiete seinen Migranten das Arbeiten. Das präge auch deren Bild: „New York kennt sie als harte Arbeiter, das verschafft ihnen einen guten Ruf.“ Sein Rat an Europa mit seinen hochregulierten Arbeitsmärkten: „Lasst die Leute arbeiten.“

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