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Polizisten bei einer Razzia des Futtermittelherstellers Harles und Jentzsch in Uetersen.

© dapd

Zutaten zum Dioxin-Skandal: Streit um Kontrollen von Futtermittelherstellern

Von Tag zu Tag nimmt der Dioxin-Skandal größere Ausmaße an – doch seine genaue Ursache ist noch immer nicht gefunden.

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Wie und wo die schädliche Substanz ins Futtermittel der Tiere geraten konnte, ist weiterhin unklar. Sicher ist jedoch, dass nicht etwa eine Behörde auf die Verunreinigung aufmerksam wurde, sondern ein Unternehmen. Ungewöhnlich ist das nicht, denn die Bundesländer kontrollieren nur stichprobenartig. Die Hauptverantwortung für die Überwachung der Futtermittel tragen die Unternehmen selbst; sie sind verpflichtet, regelmäßig Eigenkontrollen durchzuführen. Der Vizepräsident des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves), Konrad Scholz, hält dieses System für richtig: „Die staatliche Überwachung genügt“, sagt er .

Scholz’ Behörde beaufsichtigt die Futtermittelbetriebe in ganz Niedersachsen – und damit rund 40 Prozent der bundesweiten Produktion. Insgesamt 14 staatliche Prüfer kontrollieren in Niedersachsen 3600 Futtermittelbetriebe. Große Betriebe bekommen bis zu vier Mal im Jahr Besuch vom Amt. Kleinere Firmen werden nicht zwingend in jedem Jahr geprüft. Außerdem überwacht die Behörde die Futtermittelverwendung in 55 000 landwirtschaftlichen Betrieben, also dort, wo Tiere gehalten werden. Von diesen 55 000 werden pro Jahr 600 tatsächlich kontrolliert. „Grundsätzlich halten wir das System für ausreichend“, sagt Laves-Vizepräsident Scholz.

Die Opposition in Niedersachsen sieht das anders. Christian Meyer, Sprecher der Grünen für Landwirtschaftspolitik in Hannover, sagt: „Die staatlichen Kontrollen sind mangelhaft, es gibt zu wenig Kontrolleure.“ Genau so sieht es Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure: Bundesweit seien 2500 Kontrolleure für gut eine Million Betriebe zuständig, in manchen Regionen gebe es nur einen Mitarbeiter für 1200 Firmen. Lebensmittelsicherheit in Deutschland sei deshalb eine Mogelpackung, befindet Müller.

Von Bundesland zu Bundesland sind Kontrolldichte und die Art der Kontrolle höchst unterschiedlich geregelt. Nach den Gammelfleischskandalen 2005 und 2006 wurden zwar Verbesserungen eingeführt. Aber vielen Ländern und Kommunen fehlt schlicht das Geld, um mehr Prüfer in die Betriebe zu schicken. In Niedersachsen ist ausschließlich das Land zuständig, andere Länder jedoch geben ihre Zuständigkeit an die Kommunen ab. Ein weiteres Problem ist die unübersichtliche Herstellung von Futtermitteln, die es schwierig macht, einen Fehler in der Produktionskette zu finden. Der Weg zum Futtertrog ist weit.

Im jüngsten Dioxin-Skandal zum Beispiel waren allein vor der eigentlichen Tierfutterherstellung vier verschiedene Firmen beteiligt: ein Händler in den Niederlanden, ein Biodiesel-Hersteller, eine Futterfettfirma und eine Mischstation. Wo und auf welche Weise das Dioxin in die Kette gelangt ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Zwar wird von allen Stationen eine sogenannte Rückstellprobe verlangt, doch Christian Meyer hält es für problematisch, dass nur das Endprodukt, und nicht etwa auch die Fettmischung routinemäßig überprüft wird.

Im aktuellen Fall scheint es jedoch auch möglich zu sein, dass kriminell gehandelt wurde – dann wären die verunreinigten Fette nicht unabsichtlich in die Produktion gelangt, wie es zunächst angenommen wurde. „In dieser Größenordnung kann es eigentlich kein Versehen mehr sein“, sagt Konrad Scholz, Vizepräsident der Aufsichtsbehörde Laves. Dazu muss man wissen, dass technische Fettsäure billiger ist als Nahrungsmittelfette.

Auch deshalb wird über mögliche Entschädigungszahlungen diskutiert. Ob und wie betroffene Betriebe entschädigt werden, ist noch schwer abzusehen – und angesichts der enormen Zahl derzeit geschlossener Bauernhöfe werden einzelne Verursacher wohl nicht für die finanziellen Verluste aufkommen können. Immer noch sind mehr als 1000 Höfe gesperrt, und Bauernvertreter gehen von einem Schaden pro Hof und Woche von 10 000 bis 30 000 Euro aus.

Gabi von der Brelie, Sprecherin des Landvolks Niedersachsen, der einflussreichsten Interessenvertretung für die niedersächsischen Bauern, sagt: „Die Landwirte müssen sich darauf verlassen, dass das gelieferte Futter dioxinfrei ist.“ Kontrollen auf den Bauernhöfen selbst gebe es nicht. Das könne von den Bauern auch nicht geleistet werden, sagt Brelie.

Bauernvertreter fordern mittlerweile, dass die Futtermittelindustrie einen Entschädigungsfonds einrichtet. Peter Radewahn, Geschäftsführer beim Deutschen Verband Tiernahrung, wehrt sich dagegen, dass seine Industrie sich von vornherein in der Rolle des Schuldigen wiederfindet – zumal auch Futtermittelproduzenten, die verunreinigte Fette erhalten haben, Geschädigte seien. Er sagt: „Es kann nicht sein, dass irgendeine der Stufen von vornherein freigehalten wird von Verantwortung.“

In jedem Fall stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber die Futtermittelüberwachung verschärfen muss. Der Landwirtschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Johannes Remmel (Grüne) legte dazu am Donnerstag einen Zehn-Punkte-Plan vor. Dieser beinhaltet unter anderem, eine Positivliste einzuführen, die vorschreibt, welche Stoffe bei der Tierfütterung eingesetzt werden dürfen. Ein weiterer Punkt sieht vor, eine Haftpflichtversicherung für Futtermittelhersteller einzuführen. Zudem sollen die Produktströme strikt voneinander getrennt werden, so dass technische Fette nicht mehr in die Lebensmittelkette gelangen können. „Jede einzelne Zutat muss routinemäßig verpflichtend auf Dioxin getestet werden“, fordert Christiane Groß, die Sprecherin der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.

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