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Politik: Zwangsarbeiter: Von Strippenziehern und Winkeladvokaten

Die Welt muss umlernen, in Sachen Zwangsarbeiterentschädigung. Seit Monaten sieht es so aus, als ob die deutsche Wirtschaft keine juristische Finesse, keinen noch so gemeinen Winkelzug auslässt, um den Beginn der Auszahlungen immer weiter hinauszuzögern.

Die Welt muss umlernen, in Sachen Zwangsarbeiterentschädigung. Seit Monaten sieht es so aus, als ob die deutsche Wirtschaft keine juristische Finesse, keinen noch so gemeinen Winkelzug auslässt, um den Beginn der Auszahlungen immer weiter hinauszuzögern. Als ob die New Yorker Richterin Shirley Kram einen aussichtslosen Kampf für die Interessen der NS-Opfer führt. So steht es in den Zeitungen. So klingt es im Fernsehen. Aber in Wirklichkeit ist alles ganz anders.

In Wirklichkeit, sagt der Rechtsberater der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Michael Kohler am Mittwoch, also einen Tag vor der USA-Reise von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sind es die Unternehmen, "die sich für eine unbürokratische, faire, schnelle Hilfe stark machen". In Wirklichkeit ist es Richterin Kram, "die sich gerade nicht um die Interessen der ehemaligen Zwangsarbeiter kümmert". Und deshalb nach dem Willen von Kohler und der Stiftungsinitiative künftig schweigen soll. "Wir haben lange mit uns gerungen", sagt Kohler. "Aber es geht ihr nicht um die Opfer, es geht ihr um etwas anderes." Deshalb hat die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft am Mittwoch in New York den Antrag gestellt, die Richterin wegen Befangenheit vom Verfahren auszuschließen.

Ein Richter, so heißt es, ist befangen, "wenn er hinsichtlich des zu behandelnden Themas voreingenommen ist". Als Indiz für diese "Voreingenommenheit" dient Kohler Krams Begründung für ihre wiederholte Weigerung, Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen nicht abzuweisen. Diese gehören zu dem Komplex von Klagen, die im Sinne der Wirtschaft entschieden sein müssen, damit der deutsche Bundestag Rechtssicherheit feststellen kann, und die Wirtschaft mit der Auszahlung der Entschädigung beginnen muss. Kram hatte in der Vergangenheit erkennen lassen, dass sie diese Klagen erst ablehnen würde, wenn zuvor Ansprüche von österreichischen Opfern und Geldinstituten gegen deutsche Banken erfüllt würden. Die Stiftungsinitiative bezeichnet diese nicht nur für "durch völkerrechtliche Verträge aus der Nachkriegszeit erledigt". Sprecher Wolfgang Gibowski zufolge sind sie möglicherweise sogar "frei erfunden". Da sich Richterin Kram jedoch hartnäckig weigere, auf die Argumente der Stiftungsinitiative einzugehen, müsse man sich fragen, "um was es ihr tatsächlich geht". Er, Gibowski, könne da nicht konkreter werden, verweise jedoch auf die "sehr guten" Recherchen des "Aufbau", einer deutsch-jüdischen Wochenzeitung mit Sitz in New York.

In einem dort erschienenen Artikel geht es nicht nur um die angeblichen Beziehungen Krams zu dem New Yorker "Winkeladvokaten" Jack Dweck, der die österreichischen Interessen gegen deutsche Banken vertritt. Die Rede ist auch von seinem Kollegen Charles G. Moerdeler, "dem großen Strippenzieher im Hintergrund", der den deutschen Fonds "mit Hilfe von Richterin Kram" so lange blockieren wolle, bis die österreichischen Interessen befriedigt seien, sowie von dessen Klienten Ariel Muzicant,dem Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Wiens und "dessen Wiener Bauvorhaben", an denen auch die betroffenen österreichischen Geldinstitute beteiligt seien. "Fast schon ein Kriminalfall, der dahinter steckt", findet Wolfgang Gibowski.

Für ihn jedenfalls ist Shirley Kram "nicht die große Heldin ist, als die sie scheint", und deshalb müssten die Ansprüche "weg von ihr". Außerdem hat die Stiftungsinitiative angekündigt, weitere Rechtsmittel beim Appellationsgericht in New York einzulegen, unter anderem eine außerordentliche Berufung gegen das Urteil Shirley Krams, die Klagen von NS-Opfern nicht abzuweisen.

Die ehemaligen Zwangsarbeiter, die sich am Mittwoch in Berlin zu einer Protestaktion versammelten, schienen von dieser Argumentation der Wirtschaft noch nichts gehört zu haben. Nach dem Appell an Bundeskanzler Schröder, sich bei seinen Gesprächen mit Präsident Bush für ihre Interessen einzusetzen, wollten sie noch bis Donnerstag 0 Uhr 5 mit einer Mahnwache unter dem Titel "Fünf nach Zwölf" gegen die andauernde Verzögerung der Entschädigungszahlungen demonstrieren. Vor dem provisorischen Kanzleramt und dem Haus der Wirtschaft, dem Sitz der Stiftungsinitiative.

Rico Czerwinski

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