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© dpa

Zwei-Klassen-Medizin: Kassenpatienten warten dreimal solange

Ein Termin beim Facharzt? Zeitnah? Als Kassenpatient? So geht das nicht. Wir sind schließlich nicht bei "Wünsch dir was" und das Gesundheitssystem ist kein Konstrukt guter Feen. Eine Studie hat die Ungleichbehandlung jetzt aus dem Gefühlt-Status geholt und bewiesen: Kassenpatienten warten im Durchschnitt dreimal so lange auf einen Termin beim Facharzt als Privatpatienten.

Lange vermutet und von Ärzteseite schulterzuckend verneint: Kassenpatienten müssen im Durchschnitt dreimal so lange auf einen Termin beim Facharzt warten wie privat Krankenversicherte. Doch genau das ergab jetzt eine Studie der Universität Köln, wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtet. "Wir können mit der Studie erstmals wissenschaftlich fundiert zeigen, was bisher nur vermutet werden konnte, von Ärzteseite aber abgestritten wird: dass Kassenpatienten sich bei der Terminvergabe in Facharztpraxen hinten anstellen müssen", sagte der kommissarische Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Markus Lüngen. So manchem Patienten ohne Privatbonus dürfte Genugtuung und erleichternde Bestätigung im Gesicht stehen angesichts dieser Ergebnisse. Die Ungleichbehandlung ist damit nicht mehr nur ein Phantom.

Für die Untersuchung hatten wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts, dessen Direktor der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist, im Frühjahr 2006 insgesamt 189 niedergelassene Facharztpraxen im Raum Köln/ Bonn/Leverkusen kontaktiert. Telefonisch gaben sich die Tester entweder als Kassen- oder als Privatpatienten zu erkennen und baten um eine von fünf ausgewählten Untersuchungen: einen Allergie- und Lungenfunktionstest, eine Augenuntersuchung (Pupillenerweiterung), eine Magenspiegelung, einen Hörtest oder eine Magnetresonanztomographie des Knies. Gezählt wurden die Werktage, die zwischen dem Anruf und dem vergebenen Termin lagen.

Das Ergebnis: Der größte Unterschied in absoluten Zahlen ergab sich für die Magenspiegelung, auf die Privatpatienten im Durchschnitt 11,9 Werktage, Kassenpatienten aber 36,7 Werktage warten mussten. Am geringsten fiel der Unterschied bei den Hörtests aus, die bei Kassenpatienten nach 6,8 Tagen durchgeführt wurden, während Privatversicherte bereits 2,2 Tage nach dem Telefonanruf in die Praxen gebeten wurden.

Institutsleiter: "Der Fehlanreiz liegt im System"

Die Wartezeiten sind ein Ärgernis und machen die bereits gefühlte Zwei-Klassen-Medizin offiziell. Aber während sich viele betroffene Patienten über die Mediziner beschweren, betont Gesundheitsökonom Lüngen: "Nicht der einzelne Arzt ist der Bösewicht." Denn: Durch die Behandlung eines Privatpatienten verdienen niedergelassene Mediziner nach Angaben der Kölner Wissenschaftler zwischen 20 und 35 Prozent mehr als bei Kassenpatienten. Manche Arztpraxis kann mittlerweile nur durch die Zusatzeinnahmen der Privatpatientenbehandlung überleben.

Daraus ergibt sich aus Sicht des Wissenschaftlers die Notwendigkeit, die Honorare unabhängig zu machen von gesetzlicher oder privater Versicherung. Eine schöne Idee, aber eine solche Reform noch nicht einmal schemenhaft am Horizont in Sicht. Zwar wird das Arzthonorarsystem derzeit neu geordnet, einschließlich einer Aufstockung des Gesamtvolumens um rund 2,5 Milliarden Euro. Bei den unterschiedlichen Sätzen für Privat- und Kassenpatienten wird es aber im Grundsatz bleiben - und damit bis auf weiteres auch bei der Ungleichbehandlung. (saw/dpa)

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