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Politik: Zwischen den Übeln

Von Richard Schröder

Menschen können in Situationen geraten, die nur die Wahl des kleineren Übels lässt. Sie werden jedenfalls schuldig. Dietrich Bonhoeffer hat das erlebt und sich dafür entschieden, die illegale Tötung eines Menschen, Hilters, zu unterstützen.

Als Wolfgang Daschner den Entführer von Jakob von Metzler zu vernehmen hatte, wusste er bereits, dass dieser wusste, wo er sich befand. Der Entführer verweigerte die Aussage. Daschner sah für das Leben Jakobs Gefahr im Verzug und drohte dem Entführer mit physischer Folter, nicht, um rauszukriegen, ob er etwas weiß, sondern um zu erfahren, was er erwiesenermaßen wusste – mit Erfolg. Er offenbarte, wo Jakob zu finden ist. Dass Jakob tot aufgefunden wurde, ist für die Frage, wie diese Folterdrohung zu beurteilen ist, unerheblich.

Darf das Urteil anders ausfallen, wenn nicht ein, sondern tausend Unschuldige durch Anwendung der Folter gerettet wurden? Androhung und Anwendung macht einen Unterschied. Es kann aber nicht das erste legal, das zweite illegal sein. Dann wüsste ja jeder, dass die Drohung leer ist. Ob einer oder tausend gerettet werden, macht auch einen Unterschied. Es kann aber nicht legal sein, tausend Menschen so zu retten, während 999 oder einen so zu retten illegal ist.

Also muss es beim Folterverbot bleiben. Ich kann mir keine gesetzliche Regelung vorstellen, die in vertretbarer Weise Ausnahmen vom Folterverbot auflistet. Folter ist verboten, und zwar nicht nur die auf Demütigung oder qualvolle Vernichtung zielende Rachefolter, sondern auch die dosierte zum Zwecke der Wahrheitsfindung.

Nun stelle ich mich einmal an Daschners Stelle. Ich könnte Jakob retten, darf es aber nicht. Wenn Jakob zehn Tage später verdurstet aufgefunden worden wäre, hätte ich nicht mehr schlafen können. Genügend Mut vorausgesetzt, hätte ich die Folter angedroht. Ich hätte allerdings sofort Selbstanzeige erstattet, da ich gegen ein geltendes, zudem vernünftiges Gesetz verstoßen habe, allerdings aus moralischen Gründen, in Verantwortung vor Gott und den Menschen. Recht und Moral oder legal und legitim sind nicht dasselbe.

Dass ich als Israeli entscheiden muss, ob durch Folter Selbstmordattentate gegen Unschuldige verhindert werden können, stelle ich mir lieber nicht vor. Es zerreißt mich. Und wenn ein Terroranschlag mit ABC-Waffen droht? Nehmen wir an, die Bombe tickt und der sie gelegt hat wurde gefasst. Er verschweigt den Code. „Lieber Unrecht leiden, als Unrecht tun“ ist ein guter Grundsatz. „Lieber andere massenhaft Unrecht leiden lassen als selbst Unrecht tun“ auch? Dürfen wir Grundsätzen Menschen opfern?

Hoffentlich ergeht es mir nach diesem Artikel nicht wie Michael Wolffsohn. Er hat nämlich ungefähr dieselbe Ansicht vertreten. Er hat bloß statt „moralisch“: „legitim“ gesagt. Darauf hat Angelika Beer seine Entlassung gefordert.

Der Autor ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin

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