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In Belgrad wird Wladimir Putin noch herzlich willkommen geheißen.

© dpa

Wohin steuert Serbien?: Zwischen Euro und Rubel

Serbien hängt am Tropf Brüssels, hat aber auch enge Beziehungen zu Russland – der Vergleich zur Ukraine drängt sich da geradezu auf.

Belgrad hat den Anschluss an Europa noch nicht gefunden. Die serbische Hauptstadt gilt weder als Partymetropole noch als Shopping-Eldorado. Nicht einmal als Geheimtipp. Dabei ist Serbien kaum drei Flugstunden von Deutschland entfernt und Belgrad eine interessante Stadt, in der es szenige Cafés gibt und westliche Mode. Und das zu deutlich niedrigeren Preisen als in Deutschland oder anderen Ländern der Europäischen Union. Dennoch kommen wohl nur wenige auf die Idee, ein verlängertes Wochenende in Belgrad zu verbringen. Oder eine Radtour entlang des serbischen Donau-Radwegs, der vor einigen Jahren mit deutschen Aufbaugeldern ausgeschildert wurde. Manchmal legt zwar ein Kreuzfahrtschiff in der serbischen Hauptstadt an, doch die meisten Donau-Touren machen schon in Budapest kehrt.

Die Jungen schauen nach Westen

Serbien hat noch immer ein Außenseiter-Image in Europa. Dabei ist das Land inzwischen offizieller Beitrittskandidat der EU. Die Jahre unter Slobodan Milosevic, die unter seinem Regime begangenen Gräueltaten der serbischen Armee während der Zerfallskriege Jugoslawiens, wirken bis heute nach. Obwohl seither eine neue Generation herangewachsen ist, die sich nach Westen orientiert. Auch die rechtsnationale Regierung unter Aleksandar Vucic, früher ein radikaler Nationalist, hat ein klares Bekenntnis zur Annäherung an die EU abgegeben. Nicht ganz unwichtig dürfte dabei der Umstand sein, dass seit 2007 rund 1,4 Milliarden Euro sogenannte Heranführungshilfen aus Brüssel in das Land geflossen sind. Dafür bemüht sich Belgrad sogar um eine Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo, das sich 2008 gegen den Willen Belgrads von Serbien abgespalten hat.

Doch Serbien hat eben auch traditionell enge Beziehungen zu Russland. Politisch wie wirtschaftlich. Russland hat im UN-Sicherheitsrat die völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo verhindert. Und es ist Hauptinvestor im Energiesektor. „Alles außer Braunkohle kommt in Serbien aus Russland“, sagt Martin Knapp, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Serbien. Vor allem beim Gas sei die Abhängigkeit groß. „Serbien ist hier aber bekanntlich nicht das einzige Land in Osteuropa mit einer solchen Konstellation“, sagt Knapp weiter.

Putin schaut genau, wer noch zu ihm steht

Tatsächlich drängt sich der Vergleich zur Ukraine geradezu auf. Denn auch wenn Serbien nie Teil der Sowjetunion war, so betrachtet Moskau das Land doch als seine Einflusssphäre und beobachtet misstrauisch, wie es sich Schritt für Schritt auf die EU zubewegt. „Russland schaut genau: Wer steht noch hinter mir?“, erklärt Knapp. Vor diesem Hintergrund müsse man wohl auch den Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin Mitte Oktober zur Feier der Befreiung Belgrads von der deutschen Besatzung vor 70 Jahren sehen. „Putin hat fünf Milliarden Dollar mitgebracht. Die EU ist rasend vor Wut“, titelte die Zeitung „Nase Novine“ am Tag nach dem Besuch. Das klingt schon sehr nach Ukraine. Doch die Regierung wiegelt ab. Serbiens Außenminister Ivica Dacic sagte kürzlich dem Tagesspiegel, Serbien befinde sich anders als die Ukraine nicht in einem Dilemma, weil Russland die Hinwendung seines Landes zur EU stets akzeptiert habe. „Russland hat nie Druck auf uns ausgeübt, denn wir haben immer deutlich gemacht, dass die EU-Mitgliedschaft unsere Freundschaft zu Moskau nicht beeinträchtigen wird“, sagte Dacic. Ob das Wunschdenken ist oder Realität, lässt sich derzeit schwer beurteilen. Und so lange Serbien der EU noch nicht beigetreten ist, kann es seine Außenbeziehungen ganz gut ausbalancieren. Zuletzt hat sich Belgrad den EU-Sanktionen gegen Russland verweigert und profitiert dank seines Freihandelsabkommens mit dem Putin-Reich sogar davon. Nicht wenige europäische Unternehmen, auch deutsche, suchen derzeit nach Ausweichstützpunkten in Serbien, um von dort ihr Russlandgeschäft abwickeln zu können.

Die EU-Sanktionen gegen Russland sind gut für Serbien

Paradoxerweise könnte es dem Land so gelingen, endlich westliche Investoren anzulocken und sich ein wenig aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen. „Selbst die Türkei ist präsenter als alle westlichen Länder zusammen“, hatte Außenminister Dacic im Interview beklagt. Immerhin baut Fiat seit zwei Jahren in Serbien sein Modell 500L. „Als ich vor zehn, zwölf Jahren zum ersten Mal nach Serbien kam, war die Himbeere das wichtigste Ausfuhrprodukt, da hat sich dann doch einiges geändert“, sagt Wirtschaftsmann Knapp. 2013 schaffte Serbien dank der Autoexporte ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent – mehr als viele EU-Länder vorweisen können. Es reichte allerdings nicht, um die hohe Arbeitslosenquote von knapp 21 Prozent zu drücken. Für 2014 sieht es deutlich schlechter aus – unter anderem weil der Fiat 500L die Absatzerwartungen nicht erfüllt hat. Im Werk Kragujevac fallen inzwischen sogar Schichten aus.

Die Flut hat das Land zurückgeworfen

Hauptgrund für das stockende Wachstum ist aber die Flut, die im Mai 2014 Teile Serbiens unter Wasser setzte. Die Schäden werden auf bis zu zwei Milliarden Euro geschätzt. Der Wiederaufbau beschädigter Gebäude und Straßen kurbelt nun zwar die Bauindustrie an, doch er muss weitgehend über Schulden finanziert werden. Die Regierung Vucic, lobt Knapp, habe nun immerhin einige seit Jahren diskutierte Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsreformen auf den Weg gebracht. „Das macht das Land für neue Investoren interessant.“ Und wohl auch die niedrigen Löhne: Der Durchschnittslohn in Serbien liegt bei 540 Euro – brutto.

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