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Potsdam-Mittelmark: Ein Bahndamm als Politikum

Die Eisenbahntrasse über den Templiner See wird in diesem Jahr 50 Jahre alt / Uwe Thurley war als Lehrling auf der Baustelle

Schwielowsee / Potsdam - Das Loch im Berliner Außenring zwischen Saarmund und Golm hat die neue Partei- und Staatsführung mächtig gewurmt. Immer noch mussten Güter und Passagiere quer durch Westberlin gekarrt werden, um ihr Ziel in der DDR zu erreichen. Kurt Wunsch, Sonderbeauftragter des Ministers für Verkehrswesen, wurde losgeschickt, die Sache zu bereinigen. Seit 1950 wurde an der 15 Kilometer langen Strecke gebaut. Die Moorwiese bei Bergholz und das Golmer Luch bargen gemessen am 1,4 Kilometer langen Abschnitt über den Templiner See die kleineren Probleme.

Im Jahr 1955 wurde hier eine Baustelle mit für die junge Republik riesigen Ausmaßen geschaffen. Man meinte es sehr ernst mit dem Lückenschluss. Eine Alternative gab es nicht, doch der Bahndamm über den See sollte die Ingenieure vor Schwierigkeiten stellen: Unter dem 5 Meter tiefen Seespiegel folgte eine bis zu 48 Meter tiefe Schicht aus Schlamm – ein Wackelpudding, auf dem Brückenfundamente oder ein Bahndamm kaum eine Chance hatten. Verschiedenste Technologien mussten angewandt werden, um ein in Europa bislang einmaliges Baugrund-Problem zu lösen – und damit auch ein politisches Thema aus der Welt zu schaffen, die Abhängigkeit von Westberlin.

Uwe Thurley kann sich an die Baustelle gut erinnern: Der 69-jährige Caputher war als Lehrling der Kleinmachnower Wasserbauschule im Herbst 1955 für zwei Monate hier eingesetzt und recherchiert seit Jahren über das 50 Jahre alte Bauprojekt. Auch aus technischem Interesse: Thurley war 25 Jahre Lehrobermeister an der Wasserbauschule in Kleinmachnow.

Die Lehrlingswohnschiffe hätten damals vor dem Seekrug am Luftschiffhafen geankert. Hunderte Menschen seien auf und am Templiner See in zwei Schichten tätig gewesen, erinnert sich Thurley. Allein in der Reparaturwerkstatt waren 50 Leute beschäftigt. Am Schluss verstärkten noch Armeeangehörige der NVA die Bauarbeiter. Über 15 Baufahrzeuge gleichzeitig schaukelten auf dem Wasser. Mit einer Feldbahn wurde hinter dem Nesselgrund ein ganzer Berg abgetragen. Hörner kündigten Unterwassersprengungen an. Schlamm und Wasser wurden aufgewühlt und Schall und Vibrationen bis weit in die umliegenden Ortschaften hineingetragen.

Thurley hatte mit einem Lehrlingskollegen einen besonders attraktiven Job: Er bediente das Stellrad für die so genannten Bodenklappschuten. Die mit 60 bis 90 Tonnen Kies beladenen Kähne schütteten in der Mittelachse des künftigen Bahndamms Kies in den See. Dazu wurde der Schiffsboden mit einem speziellen Mechanismus aufgeklappt, Thurley drehte das Rad. „In drei Sekunden war der gesamte Kies weg und die Schute schaukelte wie verrückt.“

Zuvor wurde der Faulschlamm mit Sprengstoff regelrecht weich geklopft. Dies Kies-Linse im See konnte sich immer tiefer in den meterdicken Schlamm drücken, bis der Untergrund in etwa 50 Metern Tiefe endlich fest wurde. Die sich am Rande des Damms bildenden Schlamminseln wurden abgebaggert und in tieferen Havelbereichen vor dem Luftschiffhafen und vor dem Bahnhof Caputh / Geltow verklappt. Die Wassertiefe sank dort von 22 auf 8 Meter. Der Templiner See brauchte fünf Jahre, bevor sich der aufgewühlte Grund gesetzt hatte und hier wieder gefischt werden konnte.

Zwei Jahre war man auf der Baustelle tätig, satte 2,5 Millionen Kubikmeter Erde wurden in den See gekippt. Als der am Grund etwa 100 Meter breite Damm schließlich an der Wasserscheide sichtbar wurde, war der Einsatz der Bodenklappschuten nicht mehr möglich. Also spülte man von Lastschuten aus mit langen Rohren aufgeweichten Kies auf die Strecke und planierte ihn fest. „Wenn wir am nächsten Morgen wiederkamen, war der Damm allerdings oft wieder abgesackt und nichts mehr zu sehen“, so Thurley. Das Verfestigen war ein gewünschter Effekt. „Aber für die Bauleute ging es wieder von vorne los, bevor endlich der Bahndamm gebaut werden konnte.“

Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet: Karl Keil, Professor an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden, beschrieb es 1959 neben einer Reihe internationaler Bauwerke in seinem Buch „Geotechnik“, das zum Standardwerk der Ingenieurgeologie werden sollte. Viele technische Details sind hier beschrieben. Keil verweist aber auch auf die Gefahren, die die Bauleute auf sich nahmen. „Dieser Bau ist beispiellos ohne tödlichen Unfall und ohne irgendwelche gefährlichen Rutschungen vor der Inbetriebnahme ausgeführt worden.“ Uwe Thurley weiß noch, wie zum Beispiel Bodenklappschuten beim ungleichmäßigen Beladen umkippten. Am Ufer vor dem Forsthaus Templin waren Brückengerüste aufgestellt, von dort aus wurden die Feldbahn-Loren in die Schuten gekippt. „Wir mussten höllisch aufpassen.“ Was danebenging, ist bis heute sichtbar: Das Strandbad Templin ist aus demselben Sand, aus dem der Damm gebildet wurde.

Die Damm-Enden sind durch eine 140 Meter lange und 1 400 Tonnen schwere stählerne Bogenbrücke verbunden. Sie liegt auf Potsdamer Seite, weil dort der Untergrund besser war. In Senkkästen wurde unter Druckluft an den vier Brückenpfeilern gearbeitet. Die Brücke selbst wurde am Potsdamer Ufer vormontiert, bevor sie hydraulisch auf die Pfeiler gesetzt wurde. Am 29. September 1956 begann der fahrplanmäßige Zugverkehr. Ab 1957 fuhren Sonderzüge für Beschäftigte im Staatsapparat, ein Jahr später rollte der Schnellverkehr für alle.

Uwe Thurley hat sich so seine Gedanken über die Baustelle gemacht: Heute gibt es Planungen, eine zweite Überquerung über den Templiner See als Potsdamer Umgehungsstraße zu bauen. Wieder ist die Strecke ein Politikum, wenn auch auf kleinere Ebene: Die Straße stellt die Beziehung zwischen Potsdam und seine Umlandgemeinden auf die Probe. Neben dem Naturschutz und der Lärmentwicklung bestehe dabei ein drittes, bisher leichtfertig behandeltes Problem, meint Thurley, den Baugrund. „Der Templiner See ist mit Sicherheit die geotechnisch ungünstigste Lage im Potsdamer Umland.“ Thurley hält es für ausgeschlossen, dass hier eine Lösung für 20 Millionen Euro machbar ist.

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