zum Hauptinhalt
Kampf um Ball und Kult. Am Samstag treffen die beiden Revoluzzer-Klubs 1. FC Union und FC St. Pauli in der Alten Försterei aufeinander. Beide Klubs haben ihr Bestreben, anders zu sein, geschickt vermarktet. Foto: dpa/Mehlis

© dpa/Mehlis

1. FC Union gegen FC St. Pauli: Zwischen Scampi und Lammkeulen

Union und St. Pauli pflegen ihr unkonventionelles Bild, können sich der Moderne aber nicht verschließen. Nur der Blick auf die Tabelle unterscheidet die Klubs derzeit doch arg.

Das erste Nein kam aus Hamburg. Entschieden und deutlich war es, nicht verhandelbar. Der FC St. Pauli werde die Werbeaktion einer Boulevard-Zeitung zur Flüchtlingsunterstützung boykottieren. Punkt.

Das zweite Nein ließ nicht lange auf sich warten. Es kam aus Berlin. Genauer gesagt aus dem Südosten, vom 1. FC Union. Auch hier hieß es: Wir unterstützen die Neuankömmlinge auf unsere Weise, eine Werbeaktion brauchen wir dafür nicht. Später schlossen sich weitere Vereine an.

Na klar, die Revoluzzer. Dass gerade St. Pauli und Union eine andere Haltung vertraten – keine Überraschung. Für die beiden Zweitligisten, die am Sonnabend im Stadion in der Alten Försterei aufeinandertreffen (13 Uhr) ist das zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Identität geworden. Anders sein als der Rest. Sich absetzen. Raus aus dem Mainstream, rein in die Nische. Mit diesem Modell sind sie längst selbst zu erfolgreichen Marken geworden, die sich im durchkommerzialisierten Geschäft Profifußball ihr Publikum gesucht und gefunden haben. Am Sonnabend werden 22 012 Zuschauer in der ausverkauften Alten Försterei erwartet – so viele wie noch nie.

Opposition ist zur Haltung der Masse geworden. Was auch daran liegt, dass die Konkurrenz es den beiden leicht macht. Überall in deutschen Stadien, von Kiel bis Aalen, werden Eckbälle von diesem, Halbzeitstände von jenem Sponsor präsentiert. Hier ein Jingle, da ein Kirmesbeat. Fußball hat sich nicht nur als Spiel verändert, er klingt auch anders.

Nicht am Millerntor, wo die Mannschaften zu AC/DC einlaufen. Nicht in der Alten Försterei, wo Nina Hagen vor jedem Spiel die Vereinshymne singt und in der Halbzeitpause Indierock aus den Lautsprechern dröhnt. Die eigene Identität wahren, heißt es von Seiten der Klubs.

Dabei bewegen sie sich längst in einem Spannungsfeld. Das Geschäft fordert auch von Nischenklubs Zugeständnisse ein. Der marode Charme beider Stadien ist dem Neubaugeruch moderner Arenen gewichen. Unter den Dächern des Millerntors und der Alten Försterei werden den Vip-Gästen Scampi und Lammkeulen gereicht, es gibt Schnittchen, Sekt und Wein. Über allem kreist die Frage: Wie erfolgreich kann ein Fußball-Unternehmen sein, sollte es sich dauerhaft bestimmten Gesellschaftsschichten verschließen oder für eine bestimmte Art von Sponsoren aufgrund seiner Haltung unattraktiv bleiben?

Kontroversen bei St. Pauli

Die selbst auferlegten Grenzen führen zu Kontroversen. St. Pauli wird ab kommenden Sommer von einem amerikanischen Sportartikelhersteller ausgerüstet, der der nationalen Waffenlobby angeblich sehr nahe steht und der enge Kontakte zur Armee pflegt. Veteranen wird Rabatt gewährt, die Firma tritt immer wieder als Sponsor von Jagdshows in Erscheinung. Beim Vertragsabschluss hatte St. Paulis Präsident Oke Göttlich verkündet, der Ausrüster liebe es, Dinge anders zu sehen als die Konkurrenz. „Eine Einstellung, die dem FC St. Pauli sehr nahe kommt.“

Im Fanforum diskutieren sie nun, inwiefern sich so ein Sponsor mit den Werten des Klubs verträgt. St. Pauli war Mitte der Achtziger einer der ersten Vereine, bei dem Politik Einzug ins Stadion hielt. Linksalternativ, gegen Sexismus, Gewalt und Homophobie. „Eine Haltung, die wir heute nicht mehr exklusiv haben, die aber vom Millerntor ausging“, sagt St. Paulis Pressesprecher Christoph Pieper. Der pazifistische Klub und der Sponsor mit Kontakten zur Waffenlobby – nur ein Widerspruch der Gegenwart.

St. Pauli ist in der Moderne angekommen, die Strukturen sind professionell. Ein Sportdirektor (Thomas Meggle) wird von einem kaufmännischen Leiter (Andreas Rettig) unterstützt, sie und Trainer Ewald Lienen sind die Entscheider im sportlichen Bereich. Was die eigene Vermarktung angeht, gehört St. Pauli seit Jahren zu den zehn Umsatzstärksten Klubs in Deutschland. Das Symbol mit dem Totenkopf findet sich inzwischen in vielen Souvenirshops. Als Aufdruck auf Pullovern, Fahnen oder Ohrring.

Beim 1. FC Union heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass St. Pauli in vielen Aspekten als Vorbild dient, wie man nicht werden will. In Sachen Professionalisierung und Marketing haben die Hamburger rund 15 Jahre Vorsprung vor den Berlinern, deren Moderne erst mit dem Wiederaufstieg in die Zweite Liga vor sechs Jahren beginnt.

Geld muss bei Union aber auch verdient werden. Im vergangenen WM–Sommer haben sie ihr Stadion zur Public-Viewing-Zone umgestaltet, mit Sofas, Wohnzimmeratmosphäre inklusive. Nicht jedem passte das, einige Sofas flogen über Nacht in die angrenzende Wuhle.

Nicht erst seit dieser Zeit sprechen sie von der Bundesliga, Präsident Dirk Zingler will seinen Klub unter den besten 20 etablieren. Von diesem Ziel ist Union derzeit weit entfernt, die Mannschaft liegt nach zehn Spieltagen und einem Trainerwechsel nur auf Platz 13. Schmachtend richtet sich der Blick zum FC St. Pauli, der dort steht, wo Union hin will. Auf Platz drei. Aufsteigen, ohne sich noch weiter zu verbiegen. Davon träumen sie in Köpenick.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false