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Afrika-Cup: Wo das Chaos endet

Fünf Tore müssen es sein, und in der Halbzeitpause wird gebetet. Unterwegs beim Afrika-Cup

Die „Fan Village“ in Accra ist von einer kleinen Mauer umgeben. Sitzt man auf einem der Klappstühle inmitten des einzig offiziellen „Public Viewing Spots“ von Ghanas Hauptstadt, erkennt man die Silhouette von vielen schwarzen Köpfen, die über die Mauer hinweg das Vorrundenspiel des „Africa Cup of Nations“ zwischen Senegal und Tunesien verfolgen. Der Innenraum dagegen, in dem die Klappstühle stehen, ist fast menschenleer, den einen Cedi Eintritt will niemand bezahlen. Selbst wenn man die „Fan Village“ frei zugänglich machen würde, spricht einiges dafür, dass das Konzept der Massenansammlungen vor Großleinwänden nicht einfach von Deutschland 2006 auf Ghana 2008 übertragbar ist. Denn Fußball wird in Afrika ganz anders gesehen.

Ihr „Public Viewing“ betreiben die Ghanaer in kleinen Gruppen; sie stehen zusammen vor aus Holz zusammengeflickten Friseur-Hütten, sie drängen sich in kleinen „Drinking-Spots“ oder vor den aus einem Tisch bestehenden Fastfood- Läden an den Straßenrändern. Dort flimmert das Bild des nationalen Senders GTV, der seit Wochen nichts anderes zeigt als alles, was irgendwie mit Fußball zu tun hat. In diesen Tagen kann man in Ghana nicht anders, als mit Fußball zu tun zu haben.

Betritt man an Spieltagen der ghanaischen Nationalmannschaft die Straßen des Landes, gewinnt man den Eindruck, als habe der Präsident seinen Bürgern verordnet, nicht weniger als drei Kleidungsstücke in den Nationalfarben Grün, Gelb und Rot anzuziehen. Die Märkte und Straßen sind überflutet mit Verkäufern von „Black Stars“-T-Shirts, Fahnen und Hüten. In den Lärm, den das Alltagsleben hier schon ab sechs Uhr morgens erzeugt, mischen sich früh die ersten Fan-Tröten und die großen Ankündigungen aus unzähligen scheppernden Radiogeräten. „Unter einer Lawine von Toren werden wir Namibia begraben“, schreit die Stimme des Moderators aus einem der vielen Minibusse, und dann ruft die Stimme lauthals die Namen der ghanaischen Spieler durch Accra: „Suley Ali Muntari! Michael Essien! John Mensah!“ Ihre ausgestreckte Hand mit fünf Fingern – ein Siegeszeichen – zeigen die Fans der „Black Stars“ jedem, der so aussieht, als sei er nicht jetzt schon überzeugt und in froher Erwartung eines gewaltigen Sieges. Fünf Tore müssen es gegen Namibia sein und nicht weniger.

Die vielen Farben und die Euphorie der Menschen überdeckt an solchen Tagen alles, was man sonst an Accra nicht mögen könnte. Die Vier-Millionen-Metropole riecht nach Benzin, Abgasen und nach etwas Ätzendem, das womöglich aus den Rinnsteinen neben den Straßen und den verdreckten Flüssen stammt. Oftmals gären die braunen Gewässer und sondern Bläschen ab.

Ghanas Hauptstadt liegt direkt am Meer, aber ein Vorteil ist das nicht. Der Strand ist eine öffentliche Toilette, die heiße Luft steht bewegungslos unter einem grauen Himmel. Wenige Meter vom Meer entfernt liegt das Ohene-Djan-Stadion. Hier finden die Vorrundenspiele der ghanaischen Mannschaft sowie ein Halbfinal- und das Endspiel des Turniers statt. Das ganze afrikanische Chaos, das ausländische Besucher beim Kauf der Tickets oder der Anreise ins Stadion in die Verzweiflung treibt, endet schlagartig vor den Toren der Arena. Polizisten zwingen hier ihre Landsleute dazu, in einer Schlange anzustehen – und tatsächlich, es funktioniert. Innerhalb des Stadions wird jeder Besucher mindestens dreimal kontrolliert, es herrschen Sicherheitsvorkehrungen, die sonderbar fremd wirken für ein Land, in dem – im Gegensatz zum nächsten WM-Gastgeber Südafrika – Kriminalität kein öffentliches Phänomen ist. Während des Spiels ist die Erwartung der Fans spürbar – sie zeigt sich in einer seltsam anmutenden Geräuschkulisse.

Gesungen wird im Stadion nicht, es gibt keine Anfeuerungsrufe, wie man sie aus Europa kennt. Es wird getrötet, getrommelt und getanzt. Das ganze Spiel hindurch. Die Halbzeit nutzen die muslimischen Fans dazu, auf ihren Fahnen kniend in Richtung Mekka zu beten. Nach Wiederanpfiff trifft Junior Agogos für Ghana und lässt für kurze Zeit ausgelassene Freude auf den Rängen aufkommen – richtig zufrieden sind die Fans von der Vorstellung ihrer Helden allerdings nicht. Mindestens fünf Tore hätten es schon sein müssen. Dass ein 1:0-Sieg auch ein gutes Ergebnis ist, kann man den Ghanaern nicht erklären. Fußball wird hier anders gesehen.

Moses März[Accra]

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