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Sport: Alle auf einen

Gelassen erträgt Dirk Nowitzki im Nationalteam den Rummel um seine Person und konzentriert sich auf das Wesentliche: Basketball

Braunschweig. Eigentlich hätte es Christoph Büker wissen müssen. Der Pressesprecher des Deutschen Basketball-Bundes steht vor der Eingangstür der Volkswagenhalle in Braunschweig und bespricht mit rund 30 Journalisten den Ablauf des Medientrainings mit der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Er sagt: „Fragen Sie mich ruhig, wenn Sie einen Spieler nicht kennen.“ Die Hoffnung schwingt mit, dass sich die Journalisten für jeden der vierzehn Nationalspieler interessieren mögen, die sich in Braunschweig auf die Europameisterschaft in Schweden vorbereiten. Für Patrick Femerling etwa, der den Europaligatitel gewann, für Mithat Demirel, den Spieler des Jahres der Bundesliga, für Misan Nikagbatse, das Berliner Ghettokind mit den auffälligen Tattoos. Die Hoffnung keimt jedoch nur kurz, dann sagt ein Fernsehjournalist: „Wie sieht denn Dirk Nowitzki aus?“ Alles lacht.

Christoph Büker hätte es besser wissen müssen. Er kennt die drei Bodyguards, die der Deutsche Basketball-Bund engagieren musste, um Dirk Nowitzki vor aufdringlichen Fans zu schützen. Er hat gesehen, wie der NBA-Spieler der Dallas Mavericks nach einem Testspiel in Frankfurt beinahe nicht die etwa 30 Meter Luftlinie in den wartenden Mannschaftsbus überwinden konnte, weil ihn hunderte Fans umlagerten. Und er hat miterlebt, wie Bundestrainer Henrik Dettmann vor dem Spiel in Frankfurt nicht auf seinem Stuhl Platz nehmen konnte, weil dort schon ein Fotograf saß, der Bilder von Dirk Nowitzki schoss. „Entschuldigung, ich möchte meinen Job machen“, sagte der Bundestrainer. Der Fotograf antwortete: „Wer sind Sie denn?“

Bei der deutschen Basketball-Nationalmannschaft dreht sich das öffentliche Interesse nur um einen. Henrik Dettmann hat dafür Verständnis, sogar den unwissenden Fotografen aus Frankfurt kann er verstehen. „Dirk Nowitzki ist ein Weltstar“, sagt der Bundestrainer. Knapp 90 Millionen Euro verdient Deutschlands bester Basketballer bis 2008 für sein Engagement bei den Dallas Mavericks. „Bei Michael Schumacher, Sven Hannawald oder Jan Ullrich ist das Interesse auch so groß“, sagt Dettmann. Hinzu kommt, dass der 25-Jährige die meiste Zeit des Jahres in den USA spielt. „Da haben die deutschen Fans und Medien nicht die Möglichkeit, ihn zu sehen.“ Nun aber bereitet sich der 2,13 Meter große Basketballer mit der deutschen Nationalmannschaft in Deutschland auf die Europameisterschaft vor, und alle wollen ihn sehen. Seit fünf Jahren spielt Nowitzki im Nationaltrikot, in jedem Jahr stieg der Rummel um ihn noch an. Der Bundestrainer begrüßt das. „Wir sind Teil einer Erlebnisindustrie, jede Publicity ist gut für unsere große Sportart.“

Demnach müsste der freundliche Finne um das öffentliche Interesse an seinem Team in den kommenden Jahren fürchten. Denn Nowitzkis persönlicher Trainer, Mentor und Manager Holger Geschwindner hat angekündigt, sein Spieler könnte nach 2004 in der Nationalmannschaft pausieren. „Die Sommer sind immer sehr kurz, wenn ich mit der Nationalmannschaft spiele“, sagt Nowitzki. 99 NBA-Spiele bestritt der Würzburger in der vergangenen Saison, hinzu kamen noch einige Vorbereitungsspiele. Nur rund zwei Monate spielte er in diesem Jahr für keine Mannschaft Basketball, in dieser Zeit trainiert er mit Holger Geschwindner in den Turnhallen von Rattelsdorf bei Bamberg und Würzburg. Nowitzki sagt: „Ich kann mir schon vorstellen, einen Sommer freizumachen.“

Wenn es schlecht läuft für die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft, könnten die kommenden Vorbereitungsspiele in Braunschweig, Köln und Berlin für einige Zeit die letzten gewesen sein, die Nowitzki in Deutschland bestreitet. Es ist unklar, was passiert, wenn sich das deutsche Team nicht für die Olympischen Spiele 2004 qualifiziert. „Wir denken alle bis zu den Spielen in Athen“, sagt Nowitzki, „danach ist alles offen.“ Doch er vergisst auch nicht, jenen Satz zu sprechen, den er in diesen Tagen am häufigsten sagt: „Es macht Spaß mit der Nationalmannschaft.“ Man sieht es.

„Hey, Stephen“, ruft Nowitzki quer über das Trainingsparkett, „die Schwarzen sind am Schluss ein bisschen müde geworden“. Stephen Arigbabu steht unter dem anderen Korb und grinst. Sein Team in den dunklen Trikots verlor das letzte Trainingsspielchen gegen Nowitzkis Team in den weißen Trikots. Jetzt bekommt er das zu hören, was Basketballer Trash Talk nennen und eine Mischung aus Frotzelei und verbaler Aggression ist. Nowitzki ruft: „Was war denn mit den Schwarzen los?“

Bei der Nationalmannschaft wissen sie, was sie an ihrem bescheidenen Star haben. „Gott sei Dank ist Dirk so geduldig“, sagt Pressesprecher Büker vor Pressekonferenzen. „Dirk ist als Spieler und als Mensch sehr reif“, sagt Henrik Dettmann. Der Trainer kann das täglich beobachten. In Sven Schulze und Robert Maras hat er zwei Spieler im Team, die wie Nowitzki 1978 geboren wurden. Schulze aber fällt beim Training in Braunschweig durch Flüche auf. „Scheißball“, sagt er einmal. „Er ist jünger als Nowitzki“, erklärt Dettmann und meint nicht das Alter. „Dirk hat eine super Erziehung bekommen, und er hat in Holger Geschwindner einen erfahrenen Menschen an seiner Seite.“ Dieser habe ihm auch die wichtigste Regel im Basketball beigebracht. „Man kann sich immer verbessern.“

Nowitzki steht an der Seitenlinie und diskutiert mit dem Bundestrainer. Dieser hatte ein Trainingsspiel verärgert vorzeitig abgebrochen, weil beide Mannschaften nicht verteidigten. „Die Weißen haben sich nichts vorzuwerfen“, sagt Nowitzki. Es war nur eines von mehreren Spielchen, kein NBA-Halbfinale gegen die San Antonio Spurs, wie er es in der vergangenen Saison erlebte, kein WM–Halbfinale gegen Argentinien. Trotzdem gibt es in diesem Moment im Leben des Dirk Nowitzki nichts Wichtigeres. Der Star der deutschen Mannschaft kämpft. „Trainer, das Spiel zählt doch als gewonnen, oder?“

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