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Sport: Alle Erinnerungen führen nach Rom Wie Franziska van Almsick 1994 Weltrekord schwamm

Franziska van Almsick krümmte sich in ihrem schwarzen Badeanzug zusammen. Sie weinte hemmungslos.

Franziska van Almsick krümmte sich in ihrem schwarzen Badeanzug zusammen. Sie weinte hemmungslos. Dutzende Kameras fingen die Szene ein, rund dreißig Reporter notierten jede Gefühlsregung. Franziska van Almsick hatte gerade Weltrekord geschwommen über 200 m Freistil, ihrer Lieblingsstrecke. Diese Tränen flossen nicht in Berlin bei der Europameisterschaft 2002, diese Tränen flossen vor acht Jahren, bei der Weltmeisterschaft 1994 im Schwimmstadion von Rom. Franziska van Almsick hatte ihren ersten Weltrekord erzielt, mit 1:56,78 Minuten.

Aber diese Bestmarke war auch das Resultat eines sportlichen Dramas. Denn eigentlich hätte Franziska van Almsick nie auf Bahn acht im Finale schwimmen dürfen. Die große Favoritin, Olympiazweite von 1992 über 200 m Freistil, hatte sich im Vorlauf katastrophal verpokert. Sie wollte am Vormittag Kraft sparen für den Endlauf, sie wollte unbedingt auf die geliebte Bahn acht. Aber sie schlug nur als Neunte an, und hatte damit den Endlauf verpasst. Die deutschen Schwimm-Funktionäre und Franziska van Almsicks Trainer Dieter Lindemann waren entsetzt. Und Franziska van Almsick verschwand mit einem Heulkrampf.

Dagmar Hase als Retterin

Aber Dagmar Hase hatte sich qualifiziert, die 400-m-Olympiasiegerin von 1992. Sie durfte auf Bahn acht im Finale schwimmen. Besser gesagt: Sie hätte schwimmen dürfen. Aber in einer Eilentscheidung, es blieben den Regeln nach gerade mal dreißig Minuten bis zum Meldeschluss fürs Finale, beschlossen Dagmar Hase, ihr Trainer Bernd Henneberg und der damalige Schwimmwart Ralf Beckmann: Dagmar Hase wird ihren Finalplatz an Franziska van Almsick abgeben. Van Almsick habe bessere Chancen gehabt als die Magdeburgerin, sagt Beckmann damals wie heute. Hase war dagegen über 400 m Freistil stärker.

Als der Tausch bekannt wurde, kursierten wilde Spekulationen. Dagmar Hase sei unter Druck gesetzt worden, hieß es, und auch: Franziska van Almsicks damaliger Manager Werner Köster habe Hase den Finalplatz regelrecht abgekauft. Das war allerdings garantiert falsch. Denn Werner Köster stand die ganze Zeit bei den Journalisten und war selbst fassungslos. Er hatte gar keine Zeit, etwas zu bieten.

Van Almsick wollte nicht starten

Franziska van Almsick erinnert sich heute nur noch dunkel an diesen Tag. „Ich weiß nur noch, dass es mir sehr schlecht ging.“ Das sah ihr auch jeder an. Ihre Eltern waren nach Rom gekommen, sie hatten das Drama noch gar nicht mitbekommen, weil sie irgendwo in der Stadt mit geliehenen Mopeds unterwegs waren. Ihre Tochter lehnte den Startplatz erst einmal vehement ab.

Schließlich trat sie doch an, und der Druck, unter dem sie stand, war gewaltig. Doch dieser Druck entlud sich in einem phänomenalen Rennen: Die 16-Jährige zog sich mit eleganten Bewegungen durchs Wasser und verbesserte den Weltrekord von Heike Friedrich (DDR) um 77 Hundertstelsekunden. Als sie dann im Pressebereich, durch ein Gitter von den Reportern getrennt, auf einem Stuhl saß, da weinte sie nur noch. Und weinte und weinte. Am nächsten Tag erschien sie mit einer Baseballkappe zur Pressekonferenz und mit einer Stimmung, als hätte sie gerade das Schwimmen verlernt.

Dagmar Hase erhielt später den Fair-Play-Preis für ihre Geste. Sie gehörte jahrelang zu denen, die unter der Dominanz von Franziska van Almsick in den Medien litten. Irgendwann sagte Dagmar Hase: „Ich war in Rom der Depp." fmb

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