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Sport: „Alle haben Angst vor mir“

Nürnbergs Trainer Hans Meyer über Selbstzweifel, die Zeit als Lehrer und seine Wirkung auf Frauen

Herr Meyer, was halten Sie von Armin Veh, dem Trainer des VfB Stuttgart?

Wir schätzen uns, aber das sollte eigentlich bekannt sein. Armin hat eine ganz ähnliche Auffassung vom Fußball wie ich.

Wie sieht die aus?

Dass der Ball nach Möglichkeit nicht geschlagen wird. Ein langer, geschlagener Ball birgt immer ein großes Risiko des Ballverlustes. Alles andere heißt sicherer Spielaufbau. Und wenn ich sehe, wie der VfB das macht, das ist sehr organisiert, sehr beherrscht – das ist Fußball spielen. Da stimmt momentan sehr viel.

Als Sie Trainer bei Borussia Mönchengladbach waren, haben Sie gesagt, Sie könnten sich Veh als Ihren Nachfolger vorstellen.

Das war kein Geheimnis. Aber dazu will ich lieber nichts mehr sagen, nach dem, was in Gladbach passiert ist. Sonst kommen noch ein paar Idioten auf die Idee: Hätten wir damals auf den Meyer gehört, wären wir heute Deutscher Meister.

Jetzt treffen Sie im Pokalfinale auf Veh und den VfB. Wann haben Sie sich zuletzt so auf ein Spiel gefreut?

Die Frage können Sie sich doch selbst beantworten. Wann habe ich denn zuletzt um Trophäen gespielt? Wenn wir den Pokal gewinnen, steht das auf diesen ehrwürdigen Wimpeln, die hier schon so lange an der Wand hängen, dass du sie gar nicht mehr abnehmen kannst, weil sie sonst zu Staub zerfallen. Aber es wird nicht so sein, dass auf den neuen Wimpeln steht: Pokalsieger 2007, in Klammern Robert Vittek und Hans Meyer.

Sondern nur Hans Meyer.

Das können Sie vergessen. Trainer werden überschätzt – auch wenn es offensichtlich nicht ohne geht. Der eine oder andere gute Fußballer braucht ein bissl Führung, aber sonst? Spielen müssen die Spieler. Wenn die nicht fit sind und vom Kopf her nicht richtig gut dabei sind, dann …

Manchmal scheint es, Hans Meyer würde auch ohne Mannschaft funktionieren.

Das ist doch wieder so eine Sache, die von außen kommt. Neulich hat eine seriöse Zeitung geschrieben: der Sprücheklopfer Meyer. Wenn ich Ihnen sage, wie viele dieser Sprüche, die mir zugeschrieben werden, wirklich von mir stammen – Sie würden brüllen. So viel Unfug kann man gar nicht erfinden. Dieses Bild von Meyer, das machen doch andere.

Was glauben Sie, wie ist Ihr Bild?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich bei den Weibern nicht ankomme. Ich habe eine Umfrage gelesen: 17 Prozent der Frauen würden Ottmar Hitzfeld heiraten. Nur vier Prozent mich. Das ist enttäuschend ohne Ende. Ich dachte, gerade bei den Frauen komme ich sehr gut an.

Geht es bei Ihnen gar nicht ohne Späße?

Haben Sie wirklich das Gefühl, dass ich mir die Sprüche vorher zurechtlege? Ich habe noch nie etwas getan, was zielgerichtet irgendeinem Image diente. Es kann höchstens mal passieren, dass mir mal ein Ding gelingt, wo ich dann zu Hause vor dem Spiegel stehe und bei mir denke: Hans, das war aber richtig prima.

Sind Ihre Spieler nicht neidisch, weil Sie so viel mehr in der Öffentlichkeit stehen?

Das weiß ich doch. Die Jungs gewinnen das Halbfinale 4:0, weil sie es so fantastisch gemacht haben, und am nächsten Tag stehen nur Geschichten über den Trainer in der Zeitung – das würde mir als Spieler auch stinken. Aber so denkt die Presse nicht. Die braucht den Einzelnen, den Loser oder den vermeintlichen Helden. Hier in Nürnberg gibt es einen Künstler, der schnitzt jetzt Hans Meyer. Aus vier Zentnern Holz. Mit der Axt.

Durch Ihre Art stehen Sie fast zwangsweise im Mittelpunkt.

Was wollen Sie mir vorwerfen? Fragen Sie mal unseren Pressechef, wie viele Interviews ich ablehne. Die vom Bayerischen Rundfunk sind schon böse auf mich. Beim letzten Mal hatten die mich aus unserem Hotel zugeschaltet, ich hatte so einen Knopf im Ohr, aber dieses Ding hat gestreikt. Ich habe wirklich nichts gehört. Trotzdem denkt ganz Bayern, ich hätte wieder einen Gag gemacht und mit Absicht an den falschen Stellen geantwortet. Da wird dir doch was untergejubelt.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich im Fernsehen sehen?

Ich sehe mich ja selten.

Und wenn Sie sich hören?

Ich könnte mich kürzer fassen.

Wie funktioniert Hans Meyer?

Gehen sie mal davon aus, dass ich jemand bin, der in einer unglaublichen Art und Weise alle Menschen richtig akzeptiert, ob sie schön, hässlich, dumm oder gebrechlich sind. Und ich möchte ganz gerne, dass man das auch mit mir macht. Wenn ich über andere lache, kriegt es nur einen positiven Touch, wenn du auch ein bisschen über dich selbst lachen kannst. Und das kann ich wirklich gut. Ich weiß auch, dass ich durch unglaubliches Glück in einem wunderbaren Metier gelandet bin. Deshalb würde ich nie auf die Idee kommen, dass an mir etwas besonders ist. Ich weiß ganz genau: Wenn der Fußball nicht wäre, hätten meine geistigen Fähigkeiten, mein Fleiß und meine sonstigen Fähigkeiten absolut nicht ausgereicht, auf irgendeinem Gebiet Großes zu leisten.

Lässt Sie dieses Glück so selbstlos rüberkommen?

Selbstlos? Ich bin doch nicht selbstlos. Aber warum sollte ich den Leuten etwas vormachen?

Sie sagen: Trainer werden überschätzt.

Das ist doch das Verrückte: Auf der einen Seite jubeln sie dir ständig unter, was für’n Großer du bist, und fünf Tage später bist du das größte Arschloch – obwohl du den gleichen Fleiß an den Tag gelegt hast. Das sind Dinge, die ich schwer abkann. Deswegen werde ich mich auch nie so freuen, dass mir vor Glück die Tränen kommen. Ich werde aber auch nie weinen, wenn ich im Sport etwas Negatives erlebe.

Dient Ihnen der Humor als Schutz?

Sie haben mich erwischt! Wenn sie einen Psychologen auf mich ansetzen, würde der bestimmt herausfinden, dass es so sein kann. Vielleicht kommt daher auch meine gespielte oder tatsächliche Bescheidenheit. Aber vielleicht ist das ja auch eine Form von Unsicherheit. Es gab in meinem Leben genügend Phasen, in denen ich an mir gezweifelt habe.

Wie bekämpfen Sie Ihre Selbstzweifel?

Ich leide nicht darunter, ich sitze auch nicht ständig zu Hause und bibbere: Hoffentlich geht’s gut. Aber es ist auch immer wieder eine Möglichkeit, sich selbst zu überprüfen, zu relativieren, was da geschehen ist. Dass ich auch nach einem 4:0 im Halbfinale nicht der König der Franken bin – sondern der Hans Meyer aus Dietlas. Wenn ein Mensch überproportioniert selbstbewusst ist, zieht er überhaupt nicht in Erwägung, dass er irgendetwas falsch machen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man auf diese Weise ein Optimum an Leistung abrufen kann.

Welche andere Bühne käme für Sie in Frage, wenn es den Fußball nicht gäbe?

Kulissenschieber im Kabarett. Weil das Kabarett zwar nicht die Gesellschaft verändert, ich aber jeden Abend mitbekäme, wie die Leute im Saal herzerfrischend unterhalten werden.

Hätten Sie auch als Lehrer vor einer Schulklasse stehen können?

Hab ich ja getan, ein Jahr lang, immer da, wo Not am Mann war. Im ersten und zweiten Schuljahr habe ich Sport unterrichtet. Da musste ich auch mal jemandem eine neue Hose anziehen, der sich gerade eingepinkelt hatte. Alle, die ich später wieder getroffen habe und die sich erinnern konnten an die drei, vier Stunden, die ich bei ihnen hatte, habe ich gefragt: Hast du was gelernt bei mir? Antwort: Nee, nichts gelernt. Hast du Angst gehabt vor mir? Ja, Angst habe ich gehabt. Alle haben sie Angst vor mir, auch meine Kinder und Enkelkinder. Jedes Kleinkind, das mich sieht, muss herzzerreißend heulen und brüllen. Das ist meine Ausstrahlung.

Haben Ihre Spieler auch Angst? Sind Sie mit Straftraining schnell bei der Hand?

Ich habe noch nie ein Straftraining verordnet. Das wäre doch nur das Eingeständnis, dass deine Mannschaft es an Einstellung hat vermissen lassen. Außerdem müsste ich selbst ja auch mehr arbeiten. Dafür gibt es keinen Grund.

Wie wäre der Fußballer Hans Meyer mit dem Trainer Meyer zurechtgekommen?

Ich hätte es als Spieler verstanden, wenn Hans Meyer mich nicht aufgestellt hätte. Ich glaube auch, dass ich persönlich sehr gut mit ihm hingekommen wäre. Denn alles, was logisch ist und mir mein Trainer auch erklärt, hätte ich akzeptiert.

Haben Ihre Trainer Ihnen immer alles so erklärt, wie Sie sich das gewünscht haben?

Nein. Ich hatte ja nur einen Trainer …

… Georg Buschner …

… und bei ihm habe ich eine so untergeordnete Rolle gespielt, dass er mir gar nichts erklärt hat. Aber er hat mich zu einer Art Assistenztrainer gemacht, weil er der Meinung war, dass er mir nicht viel erklären musste. Ich war zwar nicht kopfballstark, aber ich habe schon früh mit der Innenseite des Kopfes gearbeitet.

Worauf hören Sie mehr: auf Ihren Verstand oder auf Ihr Gefühl?

Bei mir geht es fast ausschließlich um das, was mir logisch erscheint. Aber es gibt auch Situationen, die von Haus aus logisch sind, sich dann aber im Verlauf als unlogisch herausstellen.

Das hört sich nicht sehr logisch an.

Nehmen Sie das Elfmeterschießen im Pokal gegen Hannover, als ich unseren Torhüter Daniel Klewer eingewechselt habe. Natürlich ist Raphael Schäfer unser bester Torhüter, sonst hätte er nicht die Saison über gespielt. Logik. Wenn es aber um Elfmeter geht, hat Klewer ein richtiges Gespür. Aus meiner Sicht ist es also nur logisch, dass ich ihn einwechsle.

Das hatten Sie vorher geplant?

So was kannst du gar nicht planen. Drei Minuten vor Schluss der Verlängerung steht es 0:0, und ich habe noch eine Möglichkeit zu wechseln. Auf einmal denke ich: Hey, du hättest ja noch den Klewer. Und ich mache das – aus dem Augenblick heraus.

Die Entscheidung war richtig – weil sie logisch war.

Quatsch. Es ist gerade nicht logisch. Im Nachhinein sage ich mir: Hans, warum bringst du dich in deiner Eitelkeit so in Schwierigkeiten? Stellen Sie sich vor: Eine Minute vor Schluss kommen die Hannoveraner noch einmal vors Tor und Klewer lässt den Ball durch die Beine rutschen. Den Sockel für mein Denkmal hätten sie gleich wieder eingeebnet.

Das heißt, Sie würden es nie wieder tun.

Wahrscheinlich nicht. Wenn ich das bis zum Letzten durchdacht hätte, hätte ich wahrscheinlich gesagt: Hans, du Dummkopf! Aber das ist der Augenblick, das Gefühl. Und natürlich bist du dann der Held. Das war das Nonplusultra, das nur die ganz, ganz Großen der Welt können. Scheiße war das eigentlich.

Angenommen, Sie gewinnen das Pokalfinale. Mit welchem Bonmot werden Sie nach dem Sieg aufwarten?

Lassen Sie das mal schön weg. Ich bin kein Fantast. Ich liege nicht zu Hause im Bett und träume, wie Chhunly Pagenburg in der 89. Spielminute das Siegtor köpft. Falls wir es schaffen, werde ich mich nach außen sicher sehr viel weniger freuen als viele andere. Möglicherweise werde ich unserem Präsidenten Bier über den Kopf schütten, weil das so üblich ist. Aber ich werde auch nicht in Grabesstimmung verfallen, wenn wir es nicht schaffen.

Haben Sie keine Angst, dass Sie selbst mit Bier geduscht werden?

Nein, und das wird auch nicht passieren.

Fußballer sind da aber sehr einfallsreich.

Für diesen Fall sollte sich der Übeltäter mal sehr gut festhalten!

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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