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Dort anstellen, bitte. Bundestrainer Joachim Löw setzt beständig junge Spieler ein, hier Kevin Volland (links) und Serge Gnabry. Foto: Imago

© imago/ActionPictures

Nationalmannschaft: Alles andere als ein One-Hit-Wonder

Das letzte Länderspiel 2016 zeigt: Es drängen viele Talente in die Nationalmannschaft. Joachim Löw kann dieser interne Wettstreit nur recht sein.

Als sich langsam die Müdigkeit bemerkbar machte, vielleicht auch ein bisschen Genügsamkeit, durchzuckte den Körper des Bundestrainers noch einmal ein energetischer Schub. Joachim Löw begab sich an den Rand seiner Coachingzone, er wedelte mit den Armen und wies auch den letzten Verteidiger in den gegnerischen Strafraum. Die Nachspielzeit war bereits abgelaufen, das torlose Unentschieden gegen Italien auf italienischem Boden eigentlich ein achtbares Resultat – aber wieso sollte man sich damit zufrieden geben, wenn man mit der letzten Aktion des Spiels, einer Ecke, noch das 1:0 erzielen kann? Löw wurde im Grunde nur seiner Vorbildfunktion gerecht: Er lebte auch in letzter Sekunde noch einmal die Entschlossenheit vor, die seine Mannschaft zuletzt sehr verlässlich auf den Platz gebracht hat – in der ersten Hälfte des Jahres aber leider nicht ganz so verlässlich.

So bleibt nach dem 0:0 gegen Italien ein zwiespältiger Eindruck des Länderspieljahres. Mats Hummels, der Innenverteidiger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, fasste 2016 in dem Satz zusammen: „Es war ein super Jahr, aber kein herausragendes.“ Herausragend wäre 2016 gewesen, wenn die Mannschaft im Sommer den EM-Titel gewonnen hätte. Super war 2016, weil die Spieler sich ihrer Verantwortung nach diesem Versäumnis gestellt und daraus die richtigen Schlüsse gezogen zu haben scheinen. Seit der EM haben sie fünf von sechs Spielen gewonnen, die Nationalmannschaft ist ungeschlagen und weiterhin ohne Gegentor. Bei der EM aber fehlte den Deutschen in den entscheidenden Momenten genau jene Spannung, jene Gier, die Bundestrainer Löw am Dienstag kurz vor Schluss gegen Italien noch einforderte. „Es ist ein guter Zug drin“, sagte Hummels, „aktuell sind wir auf einem guten Weg.“

Das letzte Länderspiel des Jahres ist traditionell alles andere als eine einfache Veranstaltung. Die Priorität der Spieler gilt ihren Vereinen, zumal wenn es sich wie beim Spiel gegen Italien nur um einen Test handelt. Es war bereits das dritte Mal seit 2010, dass die Nationalmannschaft ein Länderspieljahr mit einem 0:0 beendete, trotzdem blieb vom Auftritt in Mailand nicht der Eindruck allgemeiner Lustlosigkeit. Dafür war vermutlich auch die ungewohnte Aufstellung verantwortlich. „Unsere neu zusammengesetzte Mannschaft hat sich wirklich sehr gut geschlagen“, sagte Löw.

"Haben mehr gute als schlechte Sachen gesehen"

Als nach einer Stunde Thomas Müller vom Platz ging, verfügten die elf deutschen Spieler auf dem Rasen noch über die geballte Erfahrung von 113 Länderspielen – auf der anderen Seite kam Daniele De Rossi alleine auf 109. Doch das junge Team ließ sich weder vom Gegner noch von der feindlichen Stimmung im Stadion einschüchtern. „Wir haben heute mehr gute Sachen als schlechte Sachen gesehen“, sagte Hummels, auch wenn die Italiener die zweite Halbzeit eindeutig beherrschten. Trotzdem: „Den jungen Spielern muss man ein Kompliment machen, dass sie vor der Kulisse gegen so einen Gegner so souverän aufgetreten sind“, sagte Ilkay Gündogan. „Das zeugt von Qualität.“

Und diese Qualität ist längst in einer beachtlichen Fülle vorhanden. Der Schalker Leon Goretzka war in seinem dritten Länderspiel neben Gündogan die auffälligste Erscheinung in der deutschen Mannschaft. Berührungsängste kannte er offensichtlich keine. „Wir verstehen alle was vom Fußball“, sagte er für sich und seine Altersgenossen; zudem ist ihm der Fußball, den die Nationalmannschaft spielt, natürlich längst vertraut. Es ist der gleiche, den er schon in den U-Mannschaften des DFB kennengelernt hat. „Wenn man sich an die gestandenen Spieler hält und hört, was sie sagen, ist es relativ leicht“, bekannte Goretzka.

Spieler wie Goretzka, Gnabry, Henrichs, Tah oder Süle erhöhen den Konkurrenzkampf. Die Durchlässigkeit ist noch einmal größer geworden. „Wir haben eine ziemliche Tiefe im Kader“, sagte Thomas Müller. „Das stimmt mich positiv, dass wir kein One-Hit-Wonder sind.“ Insgesamt hat der Bundestrainer in diesem Jahr 38 Spieler eingesetzt; neun von ihnen feierten ihr Debüt. „Es ist wirklich beeindruckend, wie viele Talente nachrücken“, findet Hummels. Und es ist nicht nur einer, der zwischen zwei Turnieren ins Licht drängt, „da kommt gleich ein ganzer Haufen“, sagte der Münchner. „Und keiner denkt, er wäre schon Weltmeister.“

Im Idealfall müssen sich die Jungen noch anderthalb Jahre gedulden, bis sie Weltmeister sind; vielleicht aber dauert es auch noch vier Jahre länger, weil sich die Etablierten noch einmal gegen die Jugend behaupten. Joachim Löw kann dieser interne Wettstreit nur recht sein, er hält die ganze Gruppe auf Spannung. Eine konsequent durchgezogene WM-Qualifikation „ist auch eine gute Vorbereitung auf das nächste Turnier“, sagte er. „Jetzt greifen wir wieder an.“

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