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Alte Försterei: Und mittags gibt’s Eintopf

Das ist Geld ist knapp aber die Fans sind zahlreich und hilfsbereit: Wie der Fußball-Drittligist 1. FC Union mit Hilfe der Fans sein marodes Stadion saniert.

Von Karsten Doneck, dpa

Drei Grad kündigt der Wetterbericht morgens im Radio an. Als Höchsttemperatur. Am Himmel zeigt sich tristes Grau. In der Wuhlheide scheren sich 40 Leute, jüngere und ältere, wenig um die beißende Kälte. Sie schuften: freiwillig und ohne Lohn.

Früh sind sie aus den Betten gekrochen, um ihrem Verein zu dienen. Ihr Verein – das ist der Fußball-Drittligist 1. FC Union. Dessen Stadion, in Berlin bekannt unter dem romantisch-verklärenden Namen „Die Alte Försterei“, war im Laufe der Jahre dem Verfall anheimgefallen, so dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schon drohte, Union ins ungeliebte Olympiastadion zu schicken oder in den geradezu verhassten, weil vom Erzrivalen BFC Dynamo bespielten Jahnsportpark.

Der 1. FC Union hatte schon oft den Plan, sein Stadion neu zu gestalten. Als noch Heiner Bertram Präsident war, gab es bereits wunderschöne Stadionmodelle, aber keine Hände, die anpackten und erst recht kein Geld. Geld gibt es auch jetzt nur wenig, dafür jede Menge helfende Hände. 1060 Freiwillige haben sich in den bisherigen 30 Wochen Bauzeit daran beteiligt, Union das Stadion herzurichten. Ihre Namen sind allesamt auf 26 Zetteln dokumentiert, die an einer Wand an der alten Haupttribüne festgepinnt sind, nach Alphabet geordnet, von A wie Thomas Adomeit bis Z wie Andreas Ziehlke.

1060 Leute – das lässt auf ein höchst unübersichtliches Gewusel auf der Stadionbaustelle schließen. Aber nur 30 bis 40 Leute kommen pro Tag zum Einsatz. „Mehr brauchen wir auch gar nicht“, sagt Dirk Zingler, Unions Präsident, „es bringt doch nichts, wenn ein Teil der Menschen rumsteht und friert.“ Angeleitet werden die Freiwilligen von sechs professionellen Bauarbeitern, den sogenannten Teamleitern. Die Projektleitung liegt in den Händen von Sylvia Weisheit.

Frau Weisheit kennt sich aus im Bauwesen. In Dresden hat sie bei der Errichtung des Hotels Bellevue mitgeholfen, zuletzt wirkte sie beim Bau von Gartencentern mit. Aber die Grundsanierung eines Fußballstadions – das ist Neuland für sie. Und es macht ihr Freude, trotz eines oft 13-stündigen Arbeitstages. Ein Funkeln tritt in ihre Augen, wenn sie erzählt: „Das ist hier gar kein Bauprojekt im eigentlichen Sinne, sondern mehr noch ein Sozialprojekt. Hier kommen Leute zusammen, die sich einfach in der Union-Familie wohlfühlen.“ Das klingt klischeehaft, aber: Es ist wahrhaftig so.

„In diesem Stadion bleiben zu dürfen, das war unser Wunsch, unser großer Traum. Für uns ist es eine Auszeichnung, jetzt an der Erfüllung dieses Traums mitwirken zu können“, erklärt Gossi mit feierlicher Stimme. Gossi heißt mit bürgerlichem Namen Andreas Goslinowski. Er ist einer der freiwilligen Helfer, omnipräsent auf der Baustelle, stets findet er aufmunternde Worte für die anderen.

Aber nicht alles läuft nach Plan. Jetzt, kurz vor Weihnachten, gab es einen Rückschlag. Die Montage des Daches, in Auftrag gegeben bei einer slowakischen Firma, verzögert sich. Nicht, wie vorgesehen, am 15. Februar gegen Kickers Offenbach, sondern frühestens im März wird  Union die Rückkehr ins neue, alte Stadion feiern können. Bis dahin wird die Mannschaft weiter im Jahnsportpark spielen müssen. Gossi trägt’s mit Fassung. „Scheißegal“, sagt er, „auf einen Monat mehr oder weniger kommt es gar nicht an. Wir schaffen hier schließlich etwas, das für Jahrzehnte Bestand hat.“

Dass ein Verein den Stadionbau kostensparend in Eigenregie durchzieht, sorgt weit über Köpenick hinaus für Aufsehen. Fernsehsender aus Holland und der Ukraine filmten schon auf der Baustelle, ein französischer Radiosender berichtete aus der „Alten Försterei“, aus Italien schickte „La Stampa“ einen Reporter vorbei. Eine dreiviertel Seite, reich bebildert, widmete die italienische Zeitung dem Projekt. Überschrift: „Berlino, squadra operaia rifà lo stadio con i tifosi“ (frei übersetzt: „Berliner Mannschaft baut ihr Stadion zusammen mit den Fans“). „Nur das Mutterland hat noch niemanden geschickt“, mault Gossi im Scherz. Derlei Unaufmerksamkeit der Engländer wird allerdings den Stolz der Unioner auf ihre Arbeit nicht brechen.

Im Dezember 2006 wurde in  Magdeburg ein neues, reines Fußballstadion fertiggestellt, etwas größer als in Köpenick. 31 Millionen Euro wurden dort verbaut. Zum Vergleich: In der Alten Försterei bezuschusst der Bezirk Köpenick die Sanierung der Stehplätze, die Ende dieses Jahres abgeschlossen sein soll, gerade mal mit 600 000 Euro, den Rest erbringt der Verein in Eigenleistung. Die Finanzierung des Daches, rund 1,3 Millionen Euro teuer, übernimmt die extra gegründete Stadionbetreibergesellschaft mit ihren Gesellschaftern.

Derart kostendämpfend zu arbeiten, gelingt dem 1. FC Union aber nur dank der Mithilfe der Fans. Die Schar der alltäglich an der Baustelle eintreffenden freiwilligen Helfer besteht dabei keineswegs nur aus Arbeitslosen. „Es kommen Ingenieure, Künstler, Schuster und alle möglichen anderen Berufsgruppen“, erzählt Projektleiterin Sylvia Weisheit. Die meisten verbringen ihren Urlaub schuftend im Stadion. „Das sind alles Leute, die sich mit dem 1. FC Union identifizieren“, sagt Weisheit. Ein Union-Fan, der 1991 nach Brasilien ausgewandert war, seitdem dort lebt und arbeitet, hörte von dem Projekt in der Heimat, kehrte in seinen Ferien zurück nach Berlin und verbrachte dann die sechs Wochen kaum noch woanders als helfend auf der Baustelle.

„Hier Tag für Tag alles immer wieder zu koordinieren, das ist wie ein kleines Puzzle“, sagt Sylvia Weisheit. Sie hat ein kleines, beengtes Büro im Stadion. Ein paar Notebooks stehen dort aufgeklappt herum, zum Hinsetzen kommt sie kaum. Immer wieder klingelt ihr Mobiltelefon. Kurz und bestimmt gibt sie ihre Anweisungen. Es geht auch um Kleinigkeiten. An der Wand ihres Büros hängt der Speiseplan. Für Montag ist dort mit Kugelschreiber in krakeliger Schrift unter der Rubrik Mittagessen vermerkt: „Eintopf“. Wenigstens etwas Wärmendes.

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