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Sport: Am oberen Ende

Hans Meyer führt Nürnberg dahin, wo der Club in der Fußball-Antike oft war – an die Tabellenspitze

Glücklich machte der Fußball die Menschen in Nürnberg schon vor dem emotionalen Jahrhundertereignis im Sommer. Wer während der WM-Tage darüber staunte, wie ausgelassen der als verschlossen bis leicht mürrisch geltende Franke auf einmal sein kann, wenn ein Ball rollt, der durfte nicht vergessen, welch ein Jahr 2006 der 1.FC Nürnberg seinem Anhang bisher beschert hat. Und während die Stadt am Freitag die letzten WM-Relikte aus ihrem Fundus versteigerte, ging die Party am Abend im Stadion weiter.

Das viertbeste Team der Rückrunde gewann auch sein erstes Heimspiel der neuen Hinrunde: 47 000 Zuschauer sahen ein 1:0 (1:0) über Borussia Mönchengladbach – und die tüchtigen Fußballer staunten richtig über sich selbst, so glücklich waren sie nach dem Traumstart. „Mit sechs Punkten zum FC Bayern zu fahren, das ist unglaublich, sensationell“, sagte der starke Markus Schroth, dem nach fünf Spielminuten per Kopf das Tor des Tages gelungen war. Die Nacht verbrachte man wieder als Tabellenführer, zwei Siege zum Auftakt hatte es noch nie gegeben in der Nürnberger Bundesliga-Historie.

Sofern man überhaupt von einer Historie sprechen kann. Nur einen ihrer neun Meistertitel gewannen die Nürnberger nach der Einführung der Bundesliga, danach ging es meistens bergab – vor zehn Jahren strampelte sich der Rekordmeister der deutschen Fußball-Antike in der Regionalliga Süd gegen Egelsbach, Ditzingen und Weismain ab.

Große Vergangenheit, riesiger Ehrgeiz, tiefe Abstürze: Wie mancher Traditionsverein musste Nürnberg Geduld und etwas Demut erst schmerzhaft lernen – und vielleicht gelingt das gerade ganz im Sinne des im Frankenland als Messias gefeierten Trainers Hans Meyer, der den Club im November 2005 auf dem letzten Tabellenplatz übernahm. Damals hatte man, wie heute, auch sechs Punkte – aus zwölf Spielen, aber der raffinierte Praktiker aus Thüringen vermittelte dem Team verblüffend schnell eine erstaunliche Systemsicherheit und taktische Reife.

Weil er etwas zur eigenen Überraschung ein junges, ausbaufähiges Team mit im Misserfolg verschüttgegangener, aber großer Lust aufs Spielen vorfand, verlängerte der 63 Jahre alte Routinier seinen Vertrag auf unbestimmte Zeit. Ein Aufbauwerk, sagt Meyer jetzt, dauert natürlich länger als sechs Monate – und dabei gilt Meyers Ex-Verein Mönchengladbach als Vorbild, denn was dort in fünf Bundesligajahren aufgestellt worden ist, hat mehr Fundament als der aktuelle Spitzenplatz der Nürnberger. „Solide der Liga angehören, das muss unser Ziel sein“, sagt Meyer. Er freut sich nicht über die statistische Randnotiz der Tabellenführung, sondern darüber, dass der Weg stimmt.

Denn dass umgekehrt Jupp Heynckes, der Gladbacher Coach, die sportliche Nürnberger Blüte unter Meyer herausstrich, war allemal berechtigt. „Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abläuft, sondern Zeit und Augenmaß braucht, wie man hier in Nürnberg sehen kann“, sagte Heynckes auf die Frage, welche Spielkultur ihm für seine Borussen vorschwebt. Gegen taktisch disziplinierte Nürnberger, die nach dem Ausfall von Torjäger Robert Vittek auch das frühe Aus für Tomas Galasek (Platzwunde am Kopf) wegsteckten, fehlte den Borussen die Konsequenz im Abschluss zu einem Remis, das verdient gewesen wäre. „Heute waren wir nicht die bessere, sondern die glücklichere Mannschaft“, sagte Meyer und dachte schon wieder an die Arbeit von morgen.

Hans Böller[Nürnberg]

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