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America's Cup: Abgehoben

Es ist viel Geld nötig für den America’s Cup. „Absurd“ findet das Herausforderer Grant Dalton. Sein Team aus Neuseeland könnte an diesem Dienstag die Krone des Segelsports erringen. Finanziell unterstützt wird es vom Staat. Der hat den Sieg zur nationalen Aufgabe erklärt

Er ist der Kleinste an Bord und bei Weitem der Älteste. Und eigentlich sollte Grant Dalton an seinem Schreibtisch sitzen. Denn sein Job ist der eines Vorstandsvorsitzenden. Er soll die Geschäfte des Rennstalls führen, mit Sponsoren reden und Verträge aushandeln. 84 Millionen US-Dollar haben seine Partner investiert. Stattdessen zwängt sich der 56-Jährige jeden Morgen in einen engen Neoprenanzug, setzt sich einen Helm auf und steigt zu zehn anderen sehr viel jüngeren Männern auf ein äußerst zerbrechliches und irrsinnig schnelles Segelboot. Dort kurbelt er bis zur völligen Erschöpfung. Zu sagen hat er hier nichts. Nur kurbeln soll er. Das Kommando auf dem Wasser hat sein Skipper Dean Barker.

Für Grant Dalton gehört das alles zusammen, die Verantwortung für das Geld seiner Investoren und das Kurbeln. Für die Männer um ihn herum ist Grant Dalton der Größte.

Die Grinder an ihren an Kaffeemühlen erinnernden Kurbeln sind das Kraftwerk eines Segelboots. Es ist ein stupider, wenig erheiternder Knochenjob, die Leinen bis zum Maximum ihrer Belastbarkeit zu treiben und die hydraulischen Systeme immer wieder aufzupumpen. Je schneller, desto besser. Was um die Grinder herum geschieht, zu denen Dalton an Bord der neuseeländischen Rennjacht Aotearoa gehört, nehmen sie kaum wahr. Aber jeder der jungen Männer sagt, dass der alte Mann Dalton der fitteste von ihnen sei. Und außerdem muss eine magische Wirkung von seiner Präsenz ausgehen. Jedes Mal, wenn er einem Jüngeren den Vortritt gab und nicht mitfuhr, verlor sein Team.

Neun Siege benötigt ein Team, um den America’s Cup zu gewinnen, die Krone des Segelsports. Der Zeitplan dafür ist seit langem festgelegt. An diesem Dienstag fährt Dalton abermals mit seinen Jungs hinaus in die Bucht von San Francisco, wo wieder zwei Rennen stattfinden sollen. Manchmal müssen sie verschoben werden, weil der Wind zu stark ist. Es bleibt wenig Zeit, sich zu erholen.

Neulich wurde Dalton gefragt, warum er sich das antue. Er hatte die Schirmmütze auf, die fast immer seinen kahlen Schädel bedeckt, unter der ein listiges, von vielen anstrengenden Seereisen geprägtes Gesicht verlegen lächelte, und dann hob er die Schultern. Er wisse es nicht. „Aber wir müssen einfach gewinnen.“ Für wen? „Ach“, sagte er, und dachte nach, für wen schon? „Für jeden.“

Daltons Team aus Neuseeland ist nur noch zwei Punkte vom Triumph entfernt. Sie könnten an diesem Renntag mit zwei Siegen über den amerikanischen Titelverteidiger alles klarmachen. Aber der wehrt sich. Obwohl mit sechs Rennen im Hintertreffen, holt er langsam auf im sogenannten „September-Showdown“.

Zum 34. Mal in seiner über 160-jährigen Geschichte treten zwei Segelmannschaften zu einem Duell gegeneinander an, so offen war die Auseinandersetzung noch nie. Ständig kommt es zu Überholmanövern und Führungswechseln, und manchmal liegen nur wenige Sekunden zwischen Sieg und Niederlage. Ein kleiner Fehler kann schon das Aus bedeuten. Beinahe kenterte das Team New Zealand vergangene Woche wegen einer solchen Unachtsamkeit. Es wäre das Aus gewesen.

Die Teams repräsentieren jeweils einen Segelklub, aber auch eine Nation und schließlich eine Idee. Es geht nicht nur um Prestige oder darum, wer die Besten auf dem Wasser sind, es geht auch um das Recht zu bestimmen, in welche Richtung sich der Segelsport entwickeln soll. Obwohl die technologische Entwicklung der Boote und die Stars der Regattaszene viele Millionen Dollar kosten, werden auch Millionen verdient. In San Francisco beobachten etwa 30 000 Menschen das Spektakel jeden Tag. Der America’s Cup bedeutet Macht. Das macht die Sporttrophäe von jeher so begehrt und zu der vielleicht am schwierigsten zu erobernden überhaupt. Es gibt etliche Beispiele dafür, wie diese Macht in der „friendly competition between foreign countries“, wie es in der Satzung heißt, missbraucht worden ist.

Der Mann, der im Verdacht steht, seine Macht diesmal überstrapaziert zu haben, ist Larry Ellison. Als Gründer des Software-Riesen Oracle und mit einem geschätzten Vermögen von 43 Milliarden US-Dollar hat er den America’s Cup in ein Hochgeschwindigkeitsspektakel verwandelt. 200 Millionen soll ihn die Cup-Verteidigung kosten. Das meiste ging für das Personal drauf, das Ellison braucht, um die zwei riesigen Katamarane des Oracle Team USA zu warten und zu bedienen. Die Einführung eines neuen Bootstyps ist immer teuer. Die Prototypen werden unablässig mit enormem Aufwand modifiziert.

Mit Russell Coutts begann der Verrat

Die Massen an Land lieben es, und die nervenaufreibenden Manöver auf den Booten geben Ellison recht: Man kann Segeln auch anders inszenieren als mit Booten, die weit draußen auf dem Meer gemächlich ihre rätselhaften Kreise ziehen – und am Ende erzählen die, die dabei gewesen sind, ihre Geschichten. Es geht auch, 22 Meter lange Katamarane in unmittelbarer Nähe zu den Zuschauern durchs Wasser pflügen zu lassen, erstmals in der America’s-Cup-Geschichte gibt es in der Bucht von San Francisco eine Arena. Es geht, dass sich die Boote auf Tragflächen über das Wasser erheben und Geschwindigkeiten von annähernd 50 Knoten, also 90 Stundenkilometern, erreichen, so dass die Segler Helme und Schutzbrillen tragen müssen. Dass ein grafisches Gitternetz dem Fernsehpublikum jederzeit sichtbar macht, wer vorne liegt, dass Minikameras an Bord die Dynamik einfangen. Die Rennen dauern nicht Stunden, sondern sind nach 30 Minuten vorbei.

All das ist Larry Ellisons Verdienst. Aber es hat auch seinen Preis.

Es sei „absurd“, knurrt Grant Dalton, wie die Kosten für die Teilnehmer explodiert seien. Die Milliardäre würden Maßstäbe setzen, die niemand sonst erfüllen könne. Und dann gebe es auch gar nicht so viele Milliardäre, die dumm genug seien, ihr Geld in den America’s Cup zu stecken. Er sagt es nicht offen, aber Dalton sieht sich als letzte Bastion wider den Geldwahnsinn. Er will, falls er gewinnen sollte, die Budgets auf realistische zwölf bis 15 Millionen Dollar begrenzen. Es wäre eine Art Financial Fair Play im Segeln. Hat es noch nie gegeben.

In dem aktuellen Wettkampf sind Gut und Böse eindeutig verteilt. Doch ist es wirklich besser, den neuseeländischen Steuerzahler mit seinen Cup-Ambitionen zu belasten, als dass ein Superreicher seiner Eitelkeit nachgeht? An der Kampagne des Herausforderers ist der Staat mit 20 Prozent beteiligt. Neuseeland hat sie zur nationalen Aufgabe erklärt. Dabei geht es auch um eine alte Rechnung, die zu begleichen ist. Das kleine Land mit seinen 4,4 Millionen Einwohnern hat den Schock nicht überwunden, dass seine besten Segler sich plötzlich gegen es wandten.

Das war 2003. Knapp acht Jahre zuvor hatten die Neuseeländer den Cup gewonnen. Am Steuer der Jacht stand ein Mann, Russell Coutts, der nie verlor. Kein einziges Rennen. Er verteidigte den Cup 2000 erfolgreich, und so hätte es weitergehen können, nach Ansicht der Neuseeländer weitergehen müssen. Doch Coutts ließ sich locken, wurde zum Verräter. Er nahm das Angebot des Schweizer Pharmaindustriellen Ernesto Bertarelli an, der aus dem Nichts ein Cup-Team aufbauen wollte. Der Aderlass folgte. Etliche Neuseeländer, die an den Cup-Erfolgen zuvor beteiligt gewesen waren, ließen sich abwerben.

Russell Coutts gewann den America’s Cup in seinem Heimatland für die Schweiz, ein Land ohne Meerzugang. Was für die Neuseeländer wirkte, als hätten sie sich selbst besiegt.

Das Eiland im Südpazifik ist keine Seefahrernation. Die Einwanderer aus England und den Niederlanden verspürten nach der strapaziösen Überfahrt, die sie um die halbe Welt geführt hatte, wenig Neigung nach Eroberungszügen. Aber das Meer war nun einmal da, und „die Kiwis“ zogen daraus auf ihre Art ihren Stolz. Auckland, die wichtigste Stadt im Norden, bietet ideale Segelbedingungen. Dort wurde Peter Blake geboren. In den siebziger Jahren zeigte er seinen Landsleuten, dass man als professioneller Hochseesegler sogar ein Auskommen finden konnte. Es gab immer Leute, die einen wie ihn bezahlten, sofern man gewann. Blake wurde zur Ikone, er triumphierte 1990 beim Whitbread Round the World Race, und er holte den America’s Cup nach Auckland. Weil seine Frau ihm rote Socken gestrickt hatte als Glücksbringer, trug bald das ganze Land solche.

Grant Dalton ist in Blakes Spuren unterwegs. Auch er ist ein Hochsee-Ass mit sieben Weltumrundungen. Das Whitbread-Race gewann er 1994. Und als man ihn bat, das nach dem Cup-Verlust daniederliegende neuseeländische Team wieder aufzurichten und neu zu strukturieren, übernahm auch er diese Aufgabe. Es sagt viel über ihn aus, dass er ausgerechnet den Mann zu seinem Skipper machte, der den Cup zuvor verloren hatte: Dean Barker. Um ihn formte er das Team, das nach 2010 binnen weniger Trainingsmonate in der Lage war, von den traditionellen Einrumpfbooten auf die ungleich rasanteren Katamarane umzusteigen.

Noch immer aber glauben die Neuseeländer, dass nur sie selbst sich schlagen können. Bis auf den Australier Glenn Ashby, der das Flügelsegel bedient, besteht die Segelcrew um Dean Barker ausschließlich aus Neuseeländern. An Bord des US Teams hat sich um den australischen Skipper und Steuermann Jimmy Spithill eine Kernmannschaft von Australiern versammelt nebst zwei Neuseeländern. Aber vor allem ist Russell Coutts wieder der Gegner – als Chef des Ellison-Projekts, zu dem er nach einem Streit mit Bertarelli gewechselt war. Mit dem technologischen Sprung in die Katamaran-Ära hat er die Dominanz der alten America’s-Cup-Cliquen brechen wollen.

Das hat er erreicht. An Bord der futuristischen Zweirumpfboliden sind kaum noch Segler aus der alten Generation. Jochen Schümann, der einzige Deutsche, der sich in der Szene etablieren konnte, gehört nicht mehr dazu. Die Strategen, Taktiker und Steuerleute von heute sind von den olympischen Spielen in London 2012 direkt ins Profigeschäft gewechselt, wo viele von ihnen nun erstmals ein geregeltes Einkommen finden. Sie bringen die athletischen Voraussetzungen mit.

Vielleicht ist es die alte Geschichte, dass man Erfolg nicht kaufen kann. Dass bei einer Mannschaftsleistung, die so exakt wie ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt sein muss, etwas anderes ins Spiel kommt als Geld. Andererseits denkt Dalton – bei dem wenigen, was er hat durchblicken lassen – darüber nach, bei einem Cup, den er ausrichten würde, die Nationalitäten–Regel wieder einzuführen. Es ginge dann wieder darum, dass Nationen gegeneinander antreten und nicht die zusammengekauften Dreamteams von ein paar wenigen Globalplayern. Neuseeländer würden sich nicht mehr selbst besiegen.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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