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Gesenkten Hauptes. Angelique Kerber wirkte seit dem ersten Tag in Paris verunsichert. Am Dienstag bestätigten sich die Zweifel.

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Angelique Kerber scheitert bei French Open: Ein ganz harter Aufschlag

In Melbourne hat Angelique Kerber als erste Deutsche seit Steffi Graf ein großes Turnier gewonnen. In Paris schied die Kielerin nun in der ersten Runde aus – ihre schwierigste Gegnerin war sie selbst.

Vielleicht hat sie es in diesem Moment geahnt. Angelique Kerber steht mit verschränkten Armen am Ende des langen Korridors, der auf den Court Philippe Chatrier führt. Da draußen sind alle 15 000 Plätze vergeben, es klingt nach Freibad im Hochsommer. Kindertag bei den French Open. Wie vor jedem der vier Grand-Slam-Turniere sind die besten, vor allem aber beliebtesten Tennisspieler der Welt eingeladen, den Nachwuchs zu bespaßen. Locker und witzig sein, ein paar Bälle übers Netz daddeln – da fühlen sich Spieler wie Novak Djokovic, Viktoria Asarenka oder Roger Federer sichtlich wohl.

Angelique Kerber nicht. Es ist ihr erstes Mal, und die Situation behagt ihr nicht. Als die deutsche Spielerin aufgerufen wird, begrüßen sie die Zuschauer mit freundlichem Applaus, obwohl viele auf den Rängen diese Blondine mit dem Pferdeschwanz nicht gleich einordnen können. Kerber winkt, lächelt unsicher. Französisch spricht sie nicht, das macht es noch schwieriger. „Je t’aime Paris“, spricht sie dem Moderator zögerlich nach und lächelt tapfer. Als es nach zehn Minuten vorbei ist, wirkt sie erlöst, trottet mit hängenden Schultern zurück in die Katakomben.

Das soll die Frau sein, die noch vor vier Monaten in Australien alle Gegnerinnen vom Platz gefegt hat? Die für Deutschland den ersten Grand-Slam-Triumph seit 1999 holte, seit Steffi Graf? Schon dieser erste Auftritt ließ erahnen, wer dieses Mal Kerbers schwerster Gegner sein würde: Angelique Kerber.

Vier Tage später passiert bei Kerbers erstem Match das, was manche nun das Aus mit Ansage nennen: Die Niederländerin Kiki Bertens liegt mehr als 50 Weltranglistenplätze hinter Kerber als Nummer 3, doch Bertens tritt selbstbewusst auf, spielt variabel, mutig – alles, was Kerber an diesem Tag nicht ist. Zu passiv, zu unsicher, zu fehlerhaft ist ihr Spiel. Im zweiten Satz lässt Bertens einmal etwas nach, das reicht zum Break – aber nicht zur Wende. Dann schmerzt im dritten Satz Kerbers linke Schulter. Seit längerem soll sie damit Probleme haben. In der Umkleide wird sie kurz behandelt, aber die fünfminütige Pause soll ihr wohl eher mental helfen, sie liegt bereits mit 0:3 hinten. 2:6, 6:3 und 3:6, das Aus.

Nach dem Spiel sitzt Kerber auf dem Podium im größten Pressekonferenzsaal und wirkt so verloren, wie die meiste Zeit über draußen auf dem Platz. „Ich bin enttäuscht“, sagt sie leise, blickt zu Boden, schaut dann aus dem Fenster in den trüben Pariser Himmel. „Ich brauche bestimmt ein paar Tage, um das zu verdauen“, sagt sie und atmet durch. „Ich will versuchen, stärker wieder zurückzukommen.“ Mit gesenktem Kopf verlässt sie den Saal. Nur weg.

Angelique Kerber gilt als hart arbeitende Spielerin. Doch sie steht sich zu oft selbst im Weg.
Angelique Kerber gilt als hart arbeitende Spielerin. Doch sie steht sich zu oft selbst im Weg.

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Dabei hätte Angelique Kerber gute Gründe gehabt, in Paris selbstbewusst aufzutreten. Seit vier Jahren steht die Spielerin aus Schleswig-Holstein konstant in den Top Ten der Weltrangliste, sie ist die beste deutsche Spielerin. Nachdem sie die Australian Open in Melbourne gewonnen hatte, war die als eher schüchtern geltende Spielerin kaum wiederzuerkennen. Damals drängelten sich die Presseleute aus aller Welt im Konferenzsaal, und Kerber genoss die Aufregung sichtlich. Es war ihr großer Moment, endlich stand mal sie im Rampenlicht. Sie strahlte und scherzte sogar mit den Journalisten. „Ach ja, Sie stellen doch immer diese komischen Fragen, oder?“ Kerber antwortete ohne lange nachzudenken auf jede Frage – lachend und in ihrem ungeübten Englisch. In den turbulenten Tagen danach erzählte Kerber oft, wie viel Spaß ihr Interviews jetzt machen würden. Das waren ganz neue Töne, aber sie klangen gut. „Ich weiß, dass ich gut spiele und ich weiß, was ich kann. Ich muss nur den Glauben an mich behalten und darf nicht verzweifeln, wenn ich mal zwei Turniere am Stück schlecht spiele.“

Doch genau das geschah danach bei den Masters in Madrid und Rom, direkt vor den French Open – das Aus in Runde eins. Frisst sich der Zweifel erstmal fest, kann er zu einem übermächtigen Gegner heranwachsen. Und so kam es, dass beim ersten großen Auftritt nach Melbourne schon niemand mehr Kerber als echte Herausforderin für Titelverteidigerin Serena Williams einschätzte, der sie schon im Halbfinale begegnet wäre. Sieben Partien hätte Kerber gewinnen müssen bis zur Trophäe, alle zwei Tage ein Match. Härter geht es im Tennis nicht, vor allem auf dem Sandbelag mit zehrend langen Ballwechseln. Zu Kerbers erster Pressekonferenz in Paris erschien gerade mal eine Handvoll Journalisten, und die Deutsche, die noch vor wenigen Wochen „die Nummer eins“ werden wollte, gab zu Protokoll: „Ich bin zufrieden, wenn ich hier mein Bestes gebe.“

Kampfansagen im Sport klingen anders. Aber möglich wäre das mit der Nummer eins auch jetzt noch. Denn Angelique Kerber, das einst pausbäckige Mädchen mit dem Dickkopf, das mit zehn Jahren schon über einen begnadeten Instinkt auf dem Platz verfügte, ist zu einer der härtesten Arbeiterinnen und fittesten Spielerinnen der Tour geworden. Dabei war sie kein Wunderkind wie Steffi Graf. Die hatte 1987 in Paris mit 18 Jahren ihren ersten von 22 Grand Slams gewonnen. Kerber ist 28 Jahre alt, sie brauchte länger für ihren Durchbruch.

Kiki Bertens aus den Niederlanden dominierte Kerber von Anfang an.
Kiki Bertens aus den Niederlanden dominierte Kerber von Anfang an.

© REUTERS

Und Grafs Vermächtnis lastet schwer auf ihr. „Egal, was ich erreichte“, sagt Kerber, „verglichen mit Steffi war es nie gut genug.“ Im letzten Jahr trainierte Kerber erstmals nach einem Formtief beim Masters in Indian Wells mit der 46-jährigen Brühlerin, die mit Ehemann Andre Agassi in Las Vegas lebt, im Stützpunkt des gemeinsamen Ausrüsters. Damals ging es bei Kerber zügig wieder aufwärts, und da sie das Training in diesem Frühjahr wiederholten, als die Ergebnisse erneut ausblieben, gilt Graf seither als ihre Mentorin. Oder wenigstens als Seelenstreichlerin. Wenn es nicht läuft, hilft Graf. „Natürlich ist es nicht neu, was Steffi mir sagt“, sagt Kerber, „aber es tut gut, von jemandem wie Steffi zu hören, dass ich auf einem guten Weg bin. Sie ist ein Champion und versteht mich einfach. Sie weiß, wie es ist.“

Kerber weiß seit ihrem Triumph damals auch, dass man sich hierzulande neuen Schwung für die Sportart Tennis herbeisehnt. Vom „Ker-Boom“ schrieben die australischen Zeitungen nach ihrem Coup auf den Titelseiten. Doch es folgte schnell die Ernüchterung, schon Tage später beim Fed Cup in Leipzig waren die Einschaltquoten verheerend schwach. Als Kerber und Co dann im April den Abstieg aus der Weltgruppe in Rumänien verhinderten, liefen die Live-Bilder nur im Internet-Stream. Tennis-Boom fühlt sich anders an.

Trotzdem spürte Kerber nach Melbourne eine Aufbruchstimmung, „viele Leute erzählen mir, dass sie jetzt selbst nach Jahren wieder den Schläger in die Hand nehmen und dass sie Tennis wieder verfolgen. Vor allem bei Jugendlichen merke ich, dass sie wieder Lust auf Tennis haben und dass das Leuchten in den Augen wieder da ist.“ Die Spielerin würde sich gut als Vorbild eignen. Als eine, die bodenständig und fleißig ist und nie durch Skandale auffällt.

Was ihr auch das Etikett „nett, aber langweilig“ eingebracht hat. Es fragen sich manche, ob Kerber immer gut beraten ist. Außerhalb von Kiel, wo sie als Kind mit ihren Eltern hinzog, wird sie auf der Straße nur selten erkannt. Ihr Management bleibt ebenso unsichtbar. Es ist in den vergangenen vier erfolgreichen Jahren nicht gelungen, die sympathische Norddeutsche mit polnischen Wurzeln zu einer Athletin mit Wiedererkennungswert aufzubauen. Nach ihrem Grand-Slam-Sieg probierte das Management offenbar, das lang Verpasste in nur vier Tagen aufzuholen. Noch nachts um 2 Uhr saß Kerber nach dem Finale im Pressezentrum von Melbourne und es gab Telefoninterviews, Live-Schalten, Pressekonferenzen, TV-Interviews… Kerber konnte kaum Luft holen. Auch in Leipzig beim Fed Cup ging das ständige Lächeln weiter. Obwohl sie erschöpft und auf die ganze Aufmerksamkeit, die sich nun auf sie richtete, nicht vorbereitet war.

Da war sie noch glücklich: Angelique Kerber präsentiert ihre Trophäe in der Tennis Academy im polnischen Puszczykowo.
Da war sie noch glücklich: Angelique Kerber präsentiert ihre Trophäe in der Tennis Academy im polnischen Puszczykowo.

© dpa

Die Eigenwerbung im Schnelldurchlauf zeigte keinen Effekt: Kerber hat bisher keinen weiteren Sponsorenvertrag abgeschlossen, ihr Gesicht ist auf keiner Müslipackung, sie hat keine Schmuck-, Uhren- oder Modelabelverträge. Sabine Lisicki konnte 2013 gleich einen ganzen Schwung neuer Werbepartner von sich überzeugen – dabei hatte die Berlinerin das Wimbledonfinale gar nicht gewonnen. Immerhin: Kerber tritt seit einem Jahr als Markenbotschafterin eines Sportwagenherstellers auf. Der Deal soll sehr gut dotiert sein. Angebote habe es nach Melbourne einige gegeben, heißt es aus Kerbers Management. Doch man sei nur an Premiumpartnern interessiert.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Kerber in diesen Dingen immer ihrer Mutter Beata vertraut. Die lebt seit der Trennung von ihrem Mann Slawek weiterhin im Kieler Vorort Kronshagen und arbeitet im Tennis-Center Kiel, organisiert dabei die Termine und Reisen ihrer Tochter. Sie berät, managed, kümmert sich. Mutter Beata zieht im Hintergrund die Fäden, passt auf ihre Töchter Angelique und Jessica auf. Trotzdem ist Beata Kerber nicht wie Peter Graf, der als Prototyp des besessenen Tennisvaters gilt. Ein cholerischer Grobian, von dem gesagt wird, er habe die Kindheit seiner Tochter durch überharten Drill ruiniert. Als Gestalter des damals neuen Tennis-Booms aber konnte er Veranstaltern die Bedingungen diktieren, Turnierpläne bestimmen und Antrittsgeld-Forderungen durchsetzen. Das half beim Aufstieg seiner Tochter. Peter Graf vertraute niemandem, am Ende hatte ihn jedoch die Gier nach Macht und Reichtum übermannt.

Das ist bei den Kerbers völlig anders. Die Familienbande sind stark, gemeinsam mit Beata Kerbers Eltern, die im polnischen Puszczykowo die Tennishalle „Angie“ betreiben, sind sie eine verschworene Gemeinschaft. Mittlerweile lebt die berühmte Tochter in der Nähe ihrer Großeltern. Die Ruhe und Abgeschiedenheit der Provinz braucht sie, es ist ihr Rückzugsort geworden. Homestories gibt es nicht. Entscheidungen trifft Kerber nach Rücksprache mit ihrer Mutter, doch die ist keine PR- oder Marketingexpertin. Die Familie hat schlechte Erfahrungen gemacht und fasst nur noch schwer Vertrauen zu Außenstehenden. Kerbers Trainer Torben Beltz, eine offene Frohnatur, bildet da die Ausnahme.

Die Familie Kerber hat harte Zeiten hinter sich, sie zahlte lange drauf. Die Tochter hatte sich in den ersten Profijahren durch die zweitklassige ITF-Tour gekämpft, für wenig Preisgeld und noch weniger Ranglistenpunkte. Doch die Kerbers glaubten an Angelique, das schweißte zusammen. Diese Beharrlichkeit, das Engagement und die Opfer, die sie brachten, trieben das Mädchen an. Als Erwachsene wollte sie etwas zurückgeben, und das schaffte sie. Als sie 2011 ihre schwerste Sinnkrise („die härteste Zeit meines Lebens“) überwunden hatte, wagte sie einen Neuanfang. Mit der Unterstützung der Akademie der ehemaligen Profis Rainer Schüttler und Alexander Waske trainierte sie an ihrer Fitness, am Selbstvertrauen und wurde ein Jahr später mit dem Erfolg belohnt: mit dem Wimbledonhalbfinale, zwei Turniersiegen in Paris und Kopenhagen, dem Einzug in die Top Ten.

Unter ihren Gegnerinnen gilt Kerber als nervös, vor Melbourne knickte sie oft in wichtigen Momenten ein. Wie noch im letzten Jahr beim WTA-Finale in Singapur, als ihr ein einziger Satzgewinn zum Halbfinaleinzug gereicht hätte, aber dann plötzlich nichts mehr ging. In Melbourne gelang ihr endlich der Durchbruch, und die Anerkennung, die sie so lange vermisst hatte, tat ihr sichtlich gut. „Ich bin erleichtert seit Melbourne, das kann mir niemand mehr nehmen. Egal, was jetzt kommt, das wird immer bleiben.“

Angelique Kerber weiß es vermutlich längst am besten: Sie ist keine, von der man Seriensiege wie von Steffi Graf erwarten darf. Es gibt sicher auch Spielerinnen mit größerem Talent. Aber sie arbeitet hart, macht das Beste aus ihren Möglichkeiten. Das Auf und Ab gehört bei ihr dazu. Mal sehen, ob sie in Wimbledon im Juli dann wieder ganz oben steht.

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