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Linsenhoff

© dpa

Ann Kathrin Linsenhoff: ''Sport braucht wieder positive Gedanken''

Die Reiterin Ann Kathrin Linsenhoff über Doping, Disziplin und ihre neue Aufgabe als Chefin der Sporthilfe.

Frau Linsenhoff, Sie kommen aus einer Reiterfamilie und haben einmal gesagt, Leistungssport kann einen Menschen formen. Wie hat der Leistungssport Sie geformt?

Er hat mich Disziplin gelehrt – einfache, aber wichtige Dinge: früh aufstehen, pünktlich sein. Im Reiten haben wir ja Startzeiten um 17 Uhr 36 oder 8 Uhr 12. Da muss man sich organisieren wie ein Manager. Disziplin heißt für mich, jeden Tag das Notwendige zu tun, selbst wenn man keine Lust hat. Das lernt man als Reiterin. Ich kann vielleicht sagen, heute lasse ich mal meinen Tennisschläger in der Ecke liegen, aber mit einem Pferd kann man das nicht machen. Es schreit danach, an die frische Luft zu kommen.

Hat Sie diese Disziplin verändert?

Ich habe Geduld gelernt. Ich bin von Natur aus ungeduldig, aber ein Pferd verlangt Ruhe, Beharrlichkeit. Man muss an Lektionen arbeiten, sie ständig wiederholen. Eine Pirouette entwickelt man gemeinsam in kleinen Stufen. Ein Stabhochspringer fängt ja auch nicht bei fünf Metern an, sondern unten. Erst mit Geduld kann Gefühl für eine Übung entstehen. Auch wenn man stagniert, muss man weitermachen. Ich glaube, das geht jedem Sportler so. Da sind wir uns alle einig.

Nimmt man seinem Leben nicht etwas weg bei so viel Selbstdisziplin?

Das merkt man nicht, wenn man ein Ziel hat. Natürlich gibt es Tage, da ist man müde. Man ist ja auch nur ein Mensch.

Aber?

Aber was? (lacht) Wir sind alle nur Menschen. Aber wenn ein Wettkampf bevorsteht, muss ein Pensum erledigt werden. Wer keine Entbehrungen aushält, kann Sport nicht aus Leidenschaft betreiben.

Kann man denn Funktionärin aus Leidenschaft sein? Als neue Chefin der Sporthilfe sind Sie doch jetzt Funktionärin, oder?

Ich habe mich noch nie als Funktionärin gesehen. Aber ich glaube, jetzt bin ich eine, ja. Gefühlt bin ich noch Sportlerin.

Worin besteht der Unterschied?

Wenn man lange Funktionär ist, ist man lange aus dem sportlichen Leben raus. Man ist vielleicht etwas entfernt, sieht es manchmal vom Schreibtisch. Aber meine Familie würde mir sagen, wenn ich mich verwandeln würde. Die holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Tut das nicht auch der Sport? 2007 könnte man ja als Jahr des Dopings bezeichnen.

Es ist schade, wenn Sie das so sagen. Es gibt so viele Sportler, die mit sauberen Leistungen Erfolge haben. Aber die Medien sind nur auf Doping fokussiert oder die Skandale drumherum.

Die Medien sind doch nicht schuld am Doping.

Natürlich muss man auf Doping aufmerksam machen. Das gehört genauso zur Berichterstattung wie die Erfolgsmeldung. Aber das Gleichgewicht in der Wahrnehmung geht verloren. Wir sollten die positive Seite des Sports betrachten. Gerade vor Olympia muss Sport getragen sein von einem positiven Gedanken, nicht nur vom negativen Gedanken des Dopings.

Der Eindruck beim Publikum ist ein anderer. Viele Sportzuschauer sagen: Die sind doch eh alle gedopt.

Weil die Schlagzeilen bei Dopingfällen prägnanter sind: Der Sport ist tot! Der Radsport ist verseucht! Daraus resultiert ein gestörtes Gleichgewicht. Wir sollten wieder anfangen, ein Äquivalent zu bringen, damit auch der Respekt für die saubere Leistung da ist. Dann könnte sich das Publikum ein reelles Bild machen: Dass der Sport nicht tot ist, sondern lebt.

Ist das nicht naiv? Nach Geständnissen vieler Radprofis ist klar, dass es ein weltweites Netzwerk des Dopings gibt. Fahrer wurden angehalten mitzumachen, Sponsoren verlangten Siege zu jedem Preis, renommierte Sportmediziner waren involviert, Verbände verschleppten die Aufklärung. Auch hier hat der Leistungssport junge Menschen geformt – im Negativen.

Natürlich ist es traurig, dass im Radsport solch ein System existiert. Mich hat erschrocken, dass Sportler, die in ein solch kriminelles Umfeld kommen, sagen: Ich kann nicht anders, als hier mitzumachen. Insofern ist die Aufklärung, die jetzt stattfindet, eine große Chance für den Radsport, die ergriffen werden muss. Außerdem bedarf es noch mehr Dopingkontrollen. Denn die vielen Skandale zeigen ja immerhin: Die Dopingkontrollen greifen.

Und die staatlichen Durchsuchungen.

Absolut. Es ist richtig, dass der Staat eingreift, wenn Kriminelle am Werk sind.

Sollten Sportler, die betrügen, staatlich verfolgt werden?

Nein. Athleten tun sportlichen Sanktionen viel mehr weh. Ein Sportler, der seinen Sport nicht mehr durchführen kann, verdient kein Geld mehr.

Der Leitspruch der Sporthilfe lautet: Leistung, Fairplay, Miteinander. Schließt sich das nicht aus?

Nein. Jeder Sportler definiert sich über Leistung, aber nicht um jeden Preis. Sport funktioniert nur mit Regeln und Respekt für den Gegner. Man muss gewinnen wollen, aber verlieren können.

Glauben Sie, dass jeder Sportler, der von Ihnen gefördert wird, das auch so sieht?

Das muss er so sehen, weil er den Eid der Sporthilfe unterschreibt und sich zu sauberem Sport verpflichtet. Vor großen Wettkämpfen wird das sowieso verlangt, ich musste sogar für mein Pferd bürgen.

Ist es sinnvoll, dass Sportförderung noch an den Leistungsgedanken geknüpft ist?

Die Sporthilfe fördert nicht nur nach Leistung, sondern auch nach Talent. Wir haben eine Grundförderung für alle und berufliche Fördermaßnahmen. Für die generelle Sportförderung kann ich nicht sprechen, das muss die Politik beantworten.

Was wollen Sie eigentlich in der Sporthilfe anders machen?

Ich werde den Laden bestimmt nicht umkrempeln. Vielleicht möchte ich noch näher am Sportler sein. Ich kenne die Nöte und Gedanken vieler Athleten: Wie kann ich meinen Sport mit dem Studium vereinbaren, was mache ich nach meiner Karriere? Ich sehe das an meinem Sohn: Er studiert, ist aber schon Europameister bei den Jungen Reitern. Nun muss er auf das Verständnis der Professoren hoffen, weil er freitags ständig weg ist – auf dem Weg zu Wettkämpfen. Hier sehe ich die Sporthilfe als Ansprechpartner. Ebenso bei der Berufssuche, damit Sportler nach der Karriere nicht in ein Loch fallen.

Planen Sie eine Jobbörse für Sportler?

Natürlich nicht. Aber ich denke, dass man mit der Wirtschaft besser zusammenarbeiten kann. Ich möchte Firmen motivieren, dass sie Athleten nach einer Auszeit wieder aufnehmen. Die Sporthilfe soll ein Medium sein, an das sich Leistungssportler wenden können. Wir wollen fördern und Halt geben.

Haben Sie für Ihre Ziele, die Sie formulieren, überhaupt genügend Geld? Zuletzt musste die Sporthilfe einen Zuschuss von einer Million Euro aus dem Bundeshaushalt beantragen.

Soweit ich weiß, haben wir jetzt einen ausgeglichenen Haushalt. Aber wir haben Probleme mit den Einnahmen aus der Glücksspirale und den Sportbriefmarken. Für das kommende Jahr sind Fördermittel von zehn bis zwölf Millionen Euro gesichert. Aber ich werde künftig auch meine eigenen Kontakte nutzen.

Im Zweifelsfall auch Ihr eigenes Geld?

Nein. Ich werde die Sporthilfe unterstützen wie bisher. Aber wenn Löcher zu stopfen sind, geht es nicht um fünf- oder sechsstellige Beträge, sondern möglicherweise um siebenstellige. Da kann ich mich nur anders einbringen, mit persönlichem Einsatz und meinen Kontakten.

Sie haben mal gesagt, Sie wollen ein Vorbild sein. Wir wird man ein Vorbild?

Man wird kein Vorbild, sondern man ist es. Auch ein Sportler ist Vorbild, indem er seinen Sport betreibt, seine Leistung bringt, aber auch eine Niederlage toleriert. Unsere Gesellschaft braucht unbedingt Vorbilder, saubere natürlich.

Frau Linsenhoff, was wird für Sie im neuen Jahr anders – als Funktionärin?

Ich werde die Olympischen Spiele sicher anders erleben. Eigentlich wollte ich ja als Sportlerin nach Peking, aber wegen einer Erkrankung musste ich meine Karriere beenden. Nun werde ich nicht im Olympischen Dorf wohnen, da kann man als Funktionär nicht hingehen. Aber diszipliniert, wie ich bin, sag ich mir: Man kann nicht alles im Leben haben.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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