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© EPA

Annie Friesinger: Abschalten im Kuhstall

Eisschnellläuferin Friesinger verpatzt ihren Saisonstart - nur Platz 15 in Berlin. Damit verpasst sie die direkte Olympiaqualifikation. "Ich bin noch nicht topfit", sagt sie.

Berlin - Aus den Boxen dröhnt Popmusik, und unten, neben dem Eis, macht sich Markus Eicher keine Illusionen. Anni Friesinger wird hier, in der Eishalle von Berlin, nicht in Bestform laufen. Es sind noch drei Stunden bis zum Start von Friesinger beim Eisschnelllauf-Weltcup über 1000 Meter, aber der Frauen-Bundestrainer weiß, dass er von der zweimaligen Olympiasiegerin nicht viel erwarten darf. Sie hatte schließlich ein lädiertes Knie und Probleme mit dem Knöchel, sie hatte nur einen Testwettkampf. Dieser Weltcup ist ihre erste echte Herausforderung in dieser Saison. Und Eicher wird bestätigt. Friesinger belegt nur Platz 15. Damit verpasst sie die direkte Olympiaqualifikation. „Ich bin noch nicht topfit“, sagt sie.

Platz 15. Da hat Eicher auf mehr gehofft. Andererseits: Wenn er an die Gesamtsituation denkt, findet er: Das alles ist gar nicht so schlecht.

Vor den Olympischen Winterspielen 2006 hatte Friesinger die Weltcups über 1000 Meter dominiert und mit Gold gerechnet. Aber am Ende war sie am Druck gescheitert, um vier Hundertstelsekunden verpasste sie den Olympiasieg. Sie gewann Bronze. Nur Bronze. Vor Turin hatte Eicher ihr noch gesagt: „Verlier doch mal, dann sinkt der Druck.“ Aber Friesinger dachte gar nicht daran.

Und jetzt sitzt sie da und verkündet mit fast flehentlichem Blick: „Ich bin im Moment nicht topfit. Ich will in Vancouver Gold über 1000 Meter, unbedingt.“ Gold sei ja drin, sagt Eicher, dass die Vorbereitung wegen der Verletzung kurzzeitig gestört war, „das lässt sich ausgleichen“. Körperlich jedenfalls, außerdem ist Friesinger ja enorm erfahren. Die Frage ist die Psyche.

Und da kommen 300 Milchkühe ins Spiel. 300 Kühe in dem niederländischen Dorf Daersum. Die gehören eigentlich Ids Postma, dem früheren legendären niederländischen Weltklasse-Eisschnellläufer. Aber damit gehören sie auch Friesinger, schließlich ist sie mit Postma verheiratet. Und damit betreut auch sie immer wieder diese Kühe und sagt: „Die Arbeit auf dem Bauernhof ist ganz schön anstrengend.“

Aber beim Melken und Mist Wegschaufeln kann sie abschalten. Dann ist die Welt des Eisschnelllaufs weit weg, dann fühlt sie keinen Druck. So erging ihr das im Sommer, jetzt sieht sie Mann und Kühe selten. Um in den Niederlanden zu trainieren, ist sie zu stark. Sie ist für die niederländischen Läuferinnen eine Konkurrentin, deshalb bekommt sie dort kaum Eiszeiten. Also muss sie oft nach Erfurt ausweichen. In ihrer Heimat Inzell finden 2011 die Weltmeisterschaften statt, dort bauen sie gerade eine Halle über die Bahn, dort kann jetzt niemand trainieren.

Friesinger freut sich, dass das Eis überdacht wird. Mit den Bauarbeiten findet sie sich leichter ab als mit der Begeisterung ihres Gatten. „Der ist mit Leib und Seele Landwirt“, sagt sie. „Seine Kühe gehen ihm über alles.“ Wirklich über alles. „Manchmal“, sagt Friesinger leicht säuerlich, „habe ich das Gefühl, dass ich nicht die beste Kuh im Stall bin.“

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