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Wohin geht die Reise? Lance Armstrong gewann sieben Mal die Tour de France. Jetzt droht ihm die Aberkennung aller Erfolge. Foto: dpa

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Neue Beweise, neue Zeugen: Armstrongs Verurteilung rückt näher

Der US-Anti-Doping-Agentur liegen Beweise vor, die Blutmanipulationen des Rekord-Toursiegers in den Jahren 2009 und 2010 belegen - Armstrong kämpft umso verbissener um sein Lebenswerk

Große Gestalten werfen große Schatten. Bei der Tour de France ist Lance Armstrong physisch schon länger nicht mehr dabei. Als eine Art Geist fährt er jedoch weiterhin mit. Der Schriftzug seiner Krebsstiftung klebt auf Teamfahrzeugen und Rennkleidung seines letzten Teams Radioshack. Im Tourdorf hängt manches Bild des siebenfachen Toursiegers. Und an einigen Handgelenken baumeln weiter die gelben Ein-Dollar-Treuebändchen des cleveren Selbstvermarkters.

Die diesjährige Tour de France gerät für Armstrong allerdings auch zum Exorzismus-Parcours. Auslöser ist das Dopingverfahren der US-Anti-Doping-Agentur (Usada) gegen den Texaner, dessen langjährigen Teamchef Johan Bruyneel und vier weitere Adlaten. Im vergangenen Juni erhob die Usada Anklage gegen sie und sperrte Armstrong umgehend für alle Leistungssportevents. Sie stützt sich dabei auf Materialien aus dem eingestellten Grand-Jury-Verfahren, steuert aber auch eigene Beweismittel bei. Darunter Blutparameter aus jüngster Zeit, die – so die Usada in ihrem Brief an Armstrong – „Blutmanipulationen in den Jahren 2009 und 2010 belegen“. Wie die Usada an solche Daten kam, während der internationale Radsport-Verband (UCI), der im gleichen Zeitraum Proben für das Blutmonitoring nahm, keinen Anlass zum Einschreiten sah, bleibt rätselhaft.

Das Ergebnis ist allerdings ziemlich handfest. Vergangene Woche wurde bekannt, dass mindestens fünf Kronzeugen der Usada im Hauptfeld der aktuellen Tour de France mitfahren. Vier von ihnen, seine einstigen US-Postal-Teamkollegen Levi Leipheimer (aktuell Omega), George Hincapie (aktuell BMC), David Zabriskie und Christian Vandevelde (jetzt Garmin) seien wegen der Beichte eigener Dopingvergehen zu einer sechsmonatigen Sperre verurteilt worden. Die solle aber erst ab Herbst wirksam sein. Fünfter Zeuge und Tourteilnehmer, wenngleich nicht mit einer Sperre belegt, sei der Rennstallchef von Garmin, Jonathan Vaughters.

Das Quintett wehrte alle Nachfragen ab. Vaughters verlas lediglich eine Erklärung seines Teams, in der er auf die „zentralen Werte von Ehrlichkeit, Fairness und Optimismus“ verwies. Seine zwei Fahrer Zabriskie und Vandevelde schwiegen zu den Vorwürfen wie auch Leipheimer. Lediglich Rekordmann Hincapie – 17 Tourteilnahmen und Mithilfe an neun Toursiegen (siebenmal für Armstrong, je einmal für Alberto Contador und Cadel Evans) – stellte sich. „Ich bin enttäuscht“, sagte er – und meinte wohl das Informationsleck bei der Usada. Ansonsten wolle er sich auf die Tour konzentrieren. Das war als Äußerung mager. Denn immerhin geht es bei den Zeugenaussagen nicht nur um mutmaßliche Betrügereien Armstrongs, sondern auch um eigene Dopingvergehen. Die Verlagerung einer Halbjahressperre in einen weitgehend wettkampffreien Zeitraum klingt nach einem faulen Deal.

Dass Kurzzeitstrafen ein Entgegenkommen gegenüber reuigen Sündern sind, bestätigte auf Tagesspiegel-Nachfrage der Generalsekretär der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), David Howman. „Eine Reduzierung der Mindeststrafe von zwei Jahren bei einem Dopingvergehen setzt eine Kooperation bei den Ermittlungen voraus“, klärte Howman auf.

Die Usada bestätigte die Strafen nicht. Usada-Chef Travis Tygart sagte auf Nachfrage des Tagesspiegels aber: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Wahrheit oft unterdrückt werden würde ohne Zeugen, die teils mit großen Nachteilen für sich selbst unter Eid sagen, was sie gesehen und erlebt haben.“ Logische Schlussfolgerung: Es gibt Zeugen, die selbst gedopt und Armstrong belastet haben.

Einen weiteren Schlag gegen Armstrong landete die Usada am Dienstag. Da sprach sie eine lebenslange Sperre gegen drei der sechs Angeklagten aus – den ominösen „Dottore Epo“ Michele Ferrari, den Trainer Jose Marti und den einstigen Teamarzt Luis Garcia del Moral. Die drei ehemaligen Armstrong-Betreuer gingen nicht dagegen vor, was einem Schuldeingeständnis gleichkommt.

Wenn die Beweismittel in diesen drei Fällen zu einer Verurteilung reichten, wird es auch für die anderen drei in der gleichen Sache Angeklagten eng. Im Falle einer Verurteilung droht Lance Armstrong neben einer lebenslangen Sperre auch die Aberkennung seiner Toursiege. Pikant ist dabei auch der Umstand, dass der des Dopings überführte Jan Ullrich auf diese Weise nachträglich drei weitere Toursiege am Grünen Tisch zugesprochen bekommen könnte.

Doch je einsamer es um den einstigen Dominator der Tour wird, desto verbissener kämpft Armstrong um sein Lebenswerk. Einmal wurde ein 80 Seiten langer Einspruch bereits als „polemisch und überlang“ abgelehnt. Die Usada gab ihm nun noch einmal 30 Tage Zeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Der US-Sportrechtsexperte Michael McCann hält die Erfolgsaussichten für Armstrong allerdings für „äußerst gering“.

Lance Armstrong fällt in Zeitlupe, aber er fällt.

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