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Sport: Aufbruch ins Ungewisse

Von Stefan Hermanns Miyazaki. So viel Abschied war noch nie.

Von Stefan Hermanns

Miyazaki. So viel Abschied war noch nie. Gestern um 8.15 Uhr Ortszeit winkten die Angestellten des „Sheraton Phoenix Golf Resort“ zum letzten Mal mit ihren schwarzrotgoldenen Fähnchen, zum letzten Mal stiegen die deutschen Nationalspieler in den Bus, der sie zum Flughafen Miyazaki brachte. Ein drittes Mal werden sie nicht zurückkehren. Rudi Völler hatte am Abend zuvor die Hemden und Hosen zusammengefaltet und in den vorgesehenen Reisetaschen verstaut. „Das ist alles nicht so spaßig“, sagte der Teamchef, „vor allem, wenn die eigene Frau nicht dabei ist.“ Und Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), tat, was ihm von Amts wegen zustand. Er sprach das letzte Wort: „Wir verabschieden uns von einem Ort, an dem wir uns sehr wohl gefühlt haben."

Man neigt ja dazu, solche Aufbrüche wie den des DFB-Trosses sehr schnell symbolisch zu überhöhen. Im Sinne von: Die deutsche Nationalmannschaft verlässt Miyazaki und reist in eine ungewisse Zukunft. Zumal am Zielort der Taifun Noguri wartet, der für ein Match sorgen könnte, das irgendwann in einem Zug mit Regenspielen wie dem WM-Finale 1954 oder dem WM-Spiel gegen Polen 1974 genannt wird. Zunächst einmal aber ist die Mannschaft nur nach Shizuoka gereist, wo sie heute im Ecopa-Stadion ihr letztes Vorrundenspiel gegen Kamerun bestreitet. Ein Unentschieden genügt, um das Achtelfinale zu erreichen. Nüchtern betrachtet ist die Ausgangsposition also so, wie sie von offizieller Seite des DFB in den letzten Tagen immer wieder bezeichnet wurde: recht günstig. „Es gibt ganz andere Nationen, die im Moment zittern müssen“, sagt Völler. Frankreich zum Beispiel, oder Argentinien oder Italien.

Und doch korrespondiert die offenkundige Gelassenheit von Völler und Co. nicht ganz mit den Sorgen der Heimat. Die Erfahrungen der Turniere von 1994 und 98 sowie die Europameisterschaft 2000 haben das Vertrauen der Deutschen in ihre Nationalmannschaft ein wenig erschüttert. Früher wäre das überhaupt keine Frage gewesen: ein Unentschieden gegen Kamerun? Ha! Aber die Zeiten haben sich geändert. Marco Bode äußert seine Hoffnung, „dass in ein paar Wochen wieder davon gesprochen werden kann, dass wir eine Turniermannschaft waren". Denn ob sie das noch sind, weiß im Moment niemand. Eine Niederlage gegen Kamerun ist möglich, damit auch das WM-Aus.

Dass die Deutschen die zweite Runde einer Weltmeisterschaft verpasst haben, ist ihnen zuletzt 1938 in Frankreich passiert. Damals unterlag die Nationalmannschaft der Schweiz im Wiederholungsspiel des Achtelfinales mit 2:4. Allerdings konnte Reichstrainer Sepp Herberger mildernde Umstände für diese Pleite geltend machen. Herberger war wenige Monate nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich gezwungen, eine Proporzmannschaft aus sechs Deutschen und fünf Österreichern aufzubieten. Was könnte Völler im Falle eines Ausscheidens zur Entschuldigung vorbringen? Gerhard Mayer-Vorfelder winkt ab. „Es wird keine Diskussion entstehen über Trainer und dergleichen mehr“, sagt der DFB-Präsident. Völler muss auch nicht fürchten, dass er von der öffentlichen Meinung aus dem Amt getrieben würde wie Jupp Derwall nach dem EM-Aus 1984 und Erich Ribbeck vor zwei Jahren. Bei einer Niederlage gegen Kamerun könnte die paradoxe Situation entstehen, dass einer der beliebtesten Bundestrainer aller Zeiten die schlechteste WM-Bilanz seit 64 Jahren zu verantworten hätte.

Möglich wäre natürlich, dass Völler selbst seinen Rücktritt einreichen würde. Ausgesprochen hat er solche Überlegungen noch nicht. „Was soll man sich jetzt über Dinge Gedanken machen, die noch so weit weg sind“, sagt er. Als er vor den WM-Qualifikationsspielen gegen die Ukraine in einer ähnlichen Situation war, ließ er verlauten, dass er bei einem Scheitern sein Amt aufgeben würde. Damit ist diesmal nicht zu rechnen. Völler hat einen Vertrag bis 2006, er soll für die WM im eigenen Land eine titelreife Mannschaft aufbauen. Und selbst wenn mit dem Vorrundenaus die Katastrophe eintreten sollte, könnte Völler immer noch geltend machen, dass er mit Metzelder, Klose, Kehl und Asamoah vier Mitglieder der Generation 2006 bereits in den Kader aufgenommen und mit der Aufbauarbeit begonnen hat.

DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder wurde kurz vor der Abreise gefragt, was bei einem Ausscheiden passieren würde: „Wir würden heimfliegen.“ Lieber würde er freilich auf die koreanische Insel Cheju reisen, auf die es die Deutschen im Falle des Weiterkommens verschlägt. Das dort gebuchte Hotel heißt sinnigerweise „Paradies“.

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