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Axel Kruse, 42, erzielte in 64 Erst- und Zweitligaspielen für Hertha 24 Tore. Ende 1997, nach dem zweiten Aufstieg mit den Berlinern, beendete er seine Profikarriere. Foto: dpa

© picture-alliance / dpa

Aufstiegs-Experte im Interview: Axel Kruse: „Fußball ist kein Strategiespiel“

Wie man wieder aufsteigen kann, weiß er am besten: Axel Kruse hat Hertha schon zwei Mal in die Bundesliga geschossen. Der Aufstiegs-Experte setzt nach Herthas Abstieg nun vor allem auf die Fans. Ein Interview.

Guten Tag Herr Kruse, hat sich Hertha BSC schon bei Ihnen gemeldet? Irgendeiner muss ja helfen bei der Rückkehr in die Bundesliga, und wer könnte das besser als Sie?

Gute Idee, aber ich fürchte, daraus wird nichts. Ich werde bald 43 und habe ein paar Kilo zu viel auf den Rippen.

Aber Ihre Erfahrung könnte Gold wert sein. Sie haben als einziger Profi das Kunststück fertiggebracht, mit Hertha gleich zwei Mal in die Bundesliga aufzusteigen. Erzählen Sie doch mal: Wie geht der Aufstieg?

Das kann man nicht verallgemeinern, man kann ja nicht einmal die beiden Aufstiege miteinander vergleichen. Das erste Mal in der Wendesaison 1989/90 war ein sehr emotionales Erlebnis. Wir hatten keinen Druck, niemand hat den Aufstieg von uns erwartet, wir hatten rein fußballerisch keine so überragende Mannschaft. Aber unser Teamgeist war perfekt, wir waren eine verschworene Truppe, und das hat den Ausschlag gegeben. Diesen Rat kann ich auch heute dem Hertha-Management geben: Achtet bei der Zusammenstellung der neuen Mannschaft nicht nur auf das sportliche Können!

Sie sind im Juli 1989 mit 21 Jahren als DDR-Flüchtling nach Berlin gekommen …

… in eine fremde Stadt und eine andere Welt, aber ich bin sofort super aufgenommen worden, von der Mannschaft und den anderen Leuten im Verein, ich habe mich sofort zu Hause gefühlt. Zu manchen Spielern wie Walter Junghans, Theo Gries oder Dirk Greiser habe ich heute noch Kontakt. In dieser Zeit habe ich mich in Berlin verliebt. Und in Hertha BSC.

Dennoch haben Sie Stadt und Verein nach dem Aufstieg relativ schnell verlassen – im Dezember 1990 Richtung Frankfurt.

Ich wollte nicht weg, aber Hertha brauchte unbedingt Geld, wir hatten ja ein halbes Jahr nach dem Aufstieg immer noch nicht unsere Prämie bekommen, und ich war einer der wenigen, die man für gutes Geld verkaufen konnte. Dazu kam, dass ich mit Trainer Pal Csernai und Manager Reinhard Roder nicht besonders gut klarkam.

Ohne Sie ist Hertha weit abgeschlagen als Tabellenletzter wieder abgestiegen und musste erst auf Ihre Rückkehr nach Berlin warten, bis es in der Saison 1996/97 wieder mit dem Aufstieg geklappt hat.

Das war eine ganze andere Situation als beim ersten Aufstieg. Die Ufa wollte mit Hertha unbedingt zurück in den großen Fußball und hat viel investiert in die Mannschaft, in Spieler wie Michael Preetz oder Jolly Sverrisson oder auch mich. Ich wollte ja immer gern nach Berlin zurück, aber nicht in die Zweite Liga. Wir mussten einfach aufsteigen.

Einen ähnlichen Druck wird Hertha auch in der kommenden Saison verspüren. Wie sind Sie damals damit umgegangen?

Das war nicht leicht. Alle haben ja gedacht: Jetzt haben die den Kruse aus Stuttgart geholt, der schießt die ganz allein nach oben. Wir haben dann erst mal bei Fortuna Köln verloren und in Gütersloh, und ich musste acht Spiele warten, bis ich mein erstes Tor geschossen habe.

Am Ende der Aufstiegssaison waren sie mit 15 Toren der mit Abstand erfolgreichste Schütze.

Weil ich mich bemüht habe, immer nur von Spiel zu Spiel zu denken. Das nimmt dir ein wenig von dem Druck. Fußball ist Tagesgeschäft und kein Strategiespiel, in dem du jede Woche alle Optionen für die nächsten Wochen überprüfen musst. Am Ende kannst du auch mal auf die Tabelle gucken, denn Qualität setzt sich durch. So sind wir 1997 als gute Mannschaft verdient aufgestiegen. Und genauso habe ich mich auch bei der jetzigen Mannschaft bis zuletzt geweigert, den Abstieg zu akzeptieren.

Es war für Herthas damaligen Manager Carl-Heinz Rühl nicht leicht, Sie im Frühling 1996 dazu zu überreden, freiwillig vom Erstligisten VfB Stuttgart in die Zweite Liga zu gehen. Vor dem gleichen Problem dürfte Hertha in dieser Saison stehen. Oder sehen Sie den Abstieg als Chance für einen Neuaufbau?

Das klingt ja ganz schön, wenn Sie von einer Chance sprechen, aber ich tue mich schwer damit. Ein Abstieg ist erst einmal ein Abstieg, wo ist da die Chance? Wichtig ist, dass Hertha jetzt Geschlossenheit zeigt.

Das klingt auch schön und sagt wenig.

Nein, das sehe ich anders. Wenn sich die Gremien, also Präsidium, Aufsichtsrat, Geschäftsführung und die Mitglieder allgemein, untereinander nicht einig sind, wie soll man es dann von den Spielern erwarten? Im Normalfall ist es ja so, dass ein Abstieg begleitet wird von Sitzblockaden und Pöbeleien und so. Ich würde mir wünschen, dass es bei Hertha diesmal anders läuft. Ich will kein Eventpublikum, ich will Fans, die auch in schlechten Zeiten zu ihrem Klub stehen, die auch in der Zweiten Liga ins Stadion kommen.

Viel treuer kann das Berliner Publikum kaum noch werden. Obwohl Hertha seit September auf dem letzten Platz steht, ist das Olympiastadion immer noch sehr gut gefüllt.

Die Unterstützung der Fans ist sensationell, auch und gerade in der Ostkurve, wenn man mal von den paar Idioten absieht, die nach dem Spiel gegen Nürnberg auf den Platz gerannt sind. Hoffentlich hat man im Verein erkannt, wer im Stadion die Basis stellt. Bei Hertha sollte man sich mal darüber klar werden, was man sein will. Das mit dem Schicki-Micki-Hauptstadtverein kann es ja wohl nicht sein.

Sondern?

Hertha war immer ein Arbeiterverein, ein Klub der kleinen Leute, auch wenn das nicht jeder Schwabe wahrhaben will. Ich halte nichts von dem Eventpublikum, das man sich bei Hertha offenbar heranziehen wollte.

Das Gespräch führte Sven Goldmann.

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