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Australian Open: Kiefer in Melbourne der "böse Bube"

Nicolas Kiefer spielt bei den Australian Open so erfolgreich wie nie. Doch auf dem Weg in sein erstes Grand-Slam-Halbfinale gegen den Schweizer Roger Federer ist er zum «bösen Buben» geworden.

Melbourne - Schon drei Mal wurde der 28-Jährige für seine Ausraster in Melbourne zur Kasse gebeten und um 5000 Euro erleichtert. Als er im Viertelfinale gegen den Franzosen Sebastien Grosjean seinen Schläger übers Netz warf, war er nicht nur bei den Zuschauern der Buhmann, sondern auch der Prügelknabe der australischen Presse. Und das ausgerechnet an dem Tag, als ihn Amnesty International (ai) in der Heimat als Aushängeschild einer Anti-Folter-Kampagne präsentierte. Das ist das andere Gesicht des Tennisprofis aus Hannover.

«Kiefer schreibt das Buch der schmutzigen Siege neu», titelte die Tageszeitung «Herald Sun» am Donnerstag und zeigte, wie das Racket des «unverdienten Siegers» am verdutzten Gegner vorbeisegelt. «Das war sicher nicht nett und nicht gut, aber ich hatte den Punkt schon abgeschrieben», entschuldigte sich Kiefer. Den auch durch etliche Pöbeleien auf dem Platz entstandenen Schaden konnte er damit aber nicht wieder gut machen. «Kiefer, der Gewinner, der allen Respekt verlor», titelte die Tageszeitung «The Age». Dabei hätte der Marathon-Mann nach dem knapp fünfstündigen Kampf zum Glückskind der Rod-Laver-Arena werden können. Wenn dieser Aussetzer nicht gewesen wäre, der «den epischen Erfolg befleckte», wie «The Age» meinte.

Mit einer Entschuldigung beim stinksauren Grosjean dachte Kiefer, den Ärger in Grenzen gehalten zu haben. Doch schon als er in seinem Fünf-Sterne-Hotel im Herzen Melbournes die schmerzenden Füße in einem Kübel mit Eiswasser kühlte und den Fernseher anschaltete, wusste er: Im Knaller-Halbfinale gegen Federer werden die Sympathien wieder nicht auf seiner Seite sein. Dabei hätte er die Unterstützung der Zuschauer bitter nötig. Gegen Federer hat er seit Juli 2002 nicht mehr gewonnen, und der geschwollene Knöchel schmerzt wie die Zehen, die er auf dem Erfolgsweg grün und blau gelaufen hat.

Er brauche diese Konflikte im Spiel und müsse seine Aggressionen raus lassen, sagte Kiefer. Nur so könne er sich in kritischen Situationen puschen und zeigen, wer der Chef im Ring ist. «Wenn man viereinhalb Stunden auf dem Platz steht, dann ist man so angespannt», erklärt er. «Die Emotionen müssen raus.» Dann explodiert der Vulkan.

Privat ist Nicolas Kiefer selten unbeherrscht. Wenn der Fan von Hannover 96 in seiner Heimatstadt soziale Einrichtungen unterstützt - und das nicht nur mit Geld - zeigt er sein anderes Gesicht. Er ist Schirmherr der Organisation «bed by night», die Straßenkindern ein Dach über dem Kopf bietet und Perspektiven für ein würdevolles Leben. Und nun unterstützt er mit den Bundesliga-Fußballern Sergej Barbarez und Hanno Balitsch als «Fotomodell» die ai-Kampagne gegen Folter.

«Als Tennisprofi ist man auf der Sonnenseite des Lebens. Aber man erfährt auf den vielen Reisen auch, was sich Menschen antun», sagte Kiefer im Gespräch mit der dpa, und der Ärger bei den Australian Open war plötzlich unwichtig. «Es ist mir ein Anliegen, auf diese Dinge aufmerksam zu machen. Ich hoffe, die Fotos wecken ein wenig auf.»

Ein Bild zeigt Nicolas Kiefer in einem zerschlissenen grauen Lumpen, der über der Brust aufgerissen ist und den Blick freigibt auf eine klaffende Wunde. Es ist ein grauenhafter Anblick. «Ich habe mich wahnsinnig erschrocken, als ich die Fotos gesehen habe», sagte Kiefer. «Aber sie sollen ja schocken, denn es ist furchtbar, was in der Welt geschieht.» Die Kampagne startet Mitte Februar. (Von Andreas Bellinger, dpa)

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