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Sport: Ballett im Boxring

Nach Klitschkos Sieg über Ibragimow wartet das Schwergewichtsboxen weiter auf Imageverbesserung

So hatten sich die 14 000 Fans im Madison Square Garden in New York das alles nicht vorgestellt. Der „Kampf des Jahrhunderts“ sollte das Duell zwischen den Boxweltmeistern Wladimir Klitschko aus der Ukraine und dem Russen Sultan Ibragimow werden, nach langem einmal wieder ein WM-Kampf, bei dem zwei gleichwertige Gegner mit voller Wucht aufeinander los gehen und am Ende der stärkste Mann der Welt triumphiert. Doch stattdessen bekamen die Zuschauer in der berühmten New Yorker Arena, darunter viele russische und ukrainische Einwanderer, zwölf Runden lang einen zaghaften Tanz geboten, bei dem der körperlich und taktisch überlegene Klitschko schließlich nach Punkten gewann.

„Ich wollte eigentlich kein Ballett sehen“, sagte ein ungehaltener Fan, nachdem Klitschko und Ibragimow unter anhaltenden Pfeifkonzerten in den Katakomben verschwunden waren. Klitschko hatte sich nach langem Studium der Kämpfe Ibragimows eine Strategie zurechtgelegt, mit der er den vergleichsweise kleinen, wuseligen und impulsiven Mann aus Rostow möglichst effizient abfertigen konnte. Mit seiner langen Linken hielt Klitschko seinen Gegner auf Distanz und brachte seine gefürchtete Rechte nur zum Einsatz, wenn er damit absolut kein Risiko einging. „Sie müssen verstehen“, sagte Klitschko fast entschuldigend, „wenn ich aus zu großer Entfernung meine Rechte gebracht hätte, dann hätte ich meine Balance verloren, und darauf wartet doch einer wie Ibragimow nur.“

Das Publikum wartete allerdings auch auf einen solchen Augenblick. Vergeblich. „Wir haben getan, was wir tun mussten“, sagte Klitschkos Trainer Emanuel Steward nach dem Kampf. „Und das ist eben nicht immer schön.“

Vielleicht hätte Klitschko aber doch ein wenig mehr tun sollen. Mehr Aktion hatte auch der letzte unumstrittene Weltmeister im Schwergewicht, Lennox Lewis, erwartet, der als Kommentator für den Sender HBO am Ring saß. „Wladimir hat gut verteidigt. Aber offensiv hätte man gerne mehr gesehen“, sagte Lewis. Die Vereinigung der Weltmeistertitel von Klitschko (IBF) und Ibragimow (WBO) sollte vor allem dazu dienen, der Königsklasse im Boxen ihren verlorenen Glanz und ihr zumindest in den USA rapide schwindendes Publikum zurückzubringen. Zu beidem war diese Vorstellung jedoch nicht geeignet. „Wir brauchen ganz schnell einen wirklich guten Kampf, damit wir diesen Kampf vergessen können“, sagte Lewis.

Ein wirklich großer Kampf zwischen zwei gleichwertigen und gleichermaßen motivierten Champions steht jedoch auch in mittelbarer Zukunft nicht an. Zwar verkündete ein kaum erschöpfter Klitschko in New York, dass er „so bald wie möglich wieder in den Ring möchte, am liebsten wieder gegen einen anderen Weltmeister“.

Ein solcher Kampf ist jedoch erst einmal nicht zu erwarten. Sollte Klitschko die Titel beider Verbände behalten, müsste er sich den Pflichtherausforderern stellen. Bei der WBO ist das der Amerikaner Tony Thompson, bei der IBF ist das Alexander Powetkin. Wie Klitschkos Manager Tom Loeffler bestätigte, stehe erst einmal eine Pflichtverteidigung gegen den Russen Powetkin an. Ein weiterer Vereinigungskampf mit dem Weltmeister des Verbandes WBC kommt nicht in Frage, weil Klitschkos Bruder Witali in diesem Verband Ambitionen hat. Und dem Comeback von Witali Klitschko nach dessen Rückenverletzung möchte Wladimir nicht in die Quere kommen.

Ein weiterer Titel-Vereinigungskampf böte sich am ehesten mit der WBA an. Dort ist derzeit der Usbeke Ruslan Tschagajew Titelträger. Allerdings muss dieser seinen WM-Gürtel zunächst gegen Pflichtherausforderer Nikolai Walujew (Russland) verteidigen.

Nach Meinung vieler Boxexperten braucht das Schwergewicht in Amerika einen wirklich großen Kampf. „Wenig glanzvolle Vorstellungen machen unseren Sport kaputt“, sagt im Madison Square Garden der Boxexperte und Buchautor Thomas Hauser. Der Kampf von Samstagnacht gegen Ibragimow sei zwar nicht ganz so unattraktiv gewesen wie andere Klitschko-Auftritte, aber was heißt das schon? „Vorangebracht hat dieses Duell das Schwergewichtsboxen nicht.“

Sebastian Moll[New York]

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