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Schreiend sprachlos. Baltimores Defensivkapitän Ray Lewis gewinnt mit 37 Jahren in seinem letzten Spiel noch einmal die Meisterschaft im US-Football. Foto: AFP

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Baltimore Ravens: Krönung im Konfetti

Die Baltimore Ravens gewinnen den Super Bowl gegen San Francisco – und verabschieden eine Legende.

Wenn dieser Mann nicht seine monströse Uniform und eine Art Kriegsbemalung unter den Augen getragen hätte – man hätte denken können, ein Gott gäbe gerade ein Interview. So groß war die Reporterschar, die sich um Ray Lewis versammelt hatte. Überall hielten sie dem Defensiv-Kapitän der Baltimore Ravens die Mikrofone hin: unter die Nase, an den Hinterkopf, an die Ohren.

Nun hat Ray Lewis in 17 Jahren als Profi-Sportler zahlreiche Interviews gegeben. Jenes am frühen Montagmorgen deutscher Zeit wird jedoch als eines seiner emotionalsten in Erinnerung bleiben. „Ich bin sprachlos“, sagte der 110-Kilo-Koloss mit Tränen in den Augen, „es gibt keinen besseren Weg, als hier als Champion mit diesem Team abzutreten.“ Lewis’ letztes Spiel in der US-amerikanischen National Football League (NFL) – für den 37-Jährigen, der nie den Klub gewechselt hat, endete es mit dem größtmöglichen Triumph, den der US-Sport zu bieten hat: dem Sieg im Super Bowl. Mit 34:31 hatten sich die Baltimore Ravens bei der 47. Auflage des Endspiels gegen die San Francisco 49ers durchgesetzt. Für das Team aus dem Bundesstaat Maryland war es der zweite Super-Bowl-Sieg nach 2001. Die 49ers, das große Team der 80er Jahre, kassierten dagegen bei der sechsten Final-Teilnahme ihrer Klub-Geschichte die erste Niederlage.

So gefühlsduselig der Abend für Ray Lewis auch war – rein sportlich gehörte er einem anderen Spieler. Einem, dem die meisten Experten die ganz großen Würfe nicht zugetraut hatten. Baltimores Quarterback Joe Flacco strafte sie Lügen. Der Spielmacher brachte 22 seiner 33 Passversuche für drei Touchdowns und einen Raumgewinn von 287 Yards an den Mann und wurde nach dem Spiel zum „Most Valuable Player“ ernannt, zum wertvollsten Spieler. Ganz nebenbei egalisierte der 28-Jährige einen Rekord: elf Touchdowns hatte Flacco im Verlauf der Playoffs erzielt, ohne das Ei auch nur einmal zum Gegner zu werfen. Solch einen Wert hatte zuvor nur Joe Montana erreicht, der beste Quarterback der NFL-Geschichte. 1989 war das. Übrigens im Trikot der 49ers.

Montana war einer von mehr als 72 000 Zuschauern, die dem Spektakel im Super Dome von New Orleans beiwohnten. Die Fans im Stadion und hunderte Millionen an den Fernsehbildschirmen weltweit sahen von Beginn an eine dominante Vorstellung der Ravens-Defensive. Die gefürchtete „Read Option“-Taktik, die San Francisco überhaupt ins Endspiel geführt hatte, erzielte nicht die gewünschte Wirkung. Bei dieser Offensiv-Formation entscheidet der Quarterback erst während des Spielzugs, ob er den Ball an seinen Ballträger übergibt, ihn passt – oder sogar selbst mit ihm läuft. Colin Kaepernick, der Quarterback-Emporkömmling der 49ers, traf im Gegensatz zu Flacco eben oft die falschen Entscheidungen. Auch, weil er vom Veteranen-Korps um die Star-Verteidiger Ray Lewis und Ed Reed extrem früh attackiert wurde.

Zur Halbzeit (21:6) zeichnete sich der langweiligste Super Bowl der jüngeren Geschichte ab. Dieser Eindruck verstärkte sich nach dem Kickoff zur zweiten Hälfte, den Jacoby Jones über das gesamte Feld zurück in San Franciscos Endzone trug. 108 Yards – noch so ein Rekord. Die spektakulärste Aktion des Spiels. 28:6 für Baltimore. Die Fans lagen sich bereits in den Armen. Was sollte da noch schiefgehen?

American Football kann bisweilen so wunderbar irrational sein wie sonst wahrscheinlich nur der Fußball. Eine höhere Macht brachte die 49ers zurück ins Spiel. Nach einem Stromausfall, der das Spiel für 36 Minuten unterbrechen sollte, startete San Francisco eine ähnlich furiose Aufholjagd wie im Halbfinale, als die Kalifornier einen 17-Punkte-Halbzeit-Rückstand noch in einen Sieg verwandelt hatten. Jetzt fand auch Kaepernick seinen Rhythmus, die 49ers verkürzten auf 20:28, im letzten Viertel dann auf 29:31.

An der Seitenlinie hüpften die Brüder Jim und John Harbaugh aufgeregt auf und ab. Jim, der Coach der 49ers, raufte sich die Haare. Er wollte Punkte sehen. Sein älterer Bruder John, der Cheftrainer der Ravens, wollte genau das verhindern. Zwei Punkte gelangen den 49ers zwar noch, dann lief die Uhr aus. Wenig später trafen sich die Brüder auf dem Spielfeld. Was er seinem jüngeren Bruder gesagt habe, wurde John Harbaugh später gefragt. „Dass ich ihn liebe“, antwortete der siegreiche Coach. So viel Pathos musste sein.

Derweil löste sich Ray Lewis aus der Reportertraube. Die Kabine rief. Er hatte sein letztes Interview gegeben.

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