zum Hauptinhalt
Welli ist nicht genug. Manfred Schürholt sitzt seit 29 Jahren im Rollstuhl – die Reiselust des Sportfans dämpft das nicht. „Das Hauptproblem ist, auf Auswärtsfahrten Fans zu finden, die nüchtern genug sind“, sagt er (hier im Wellblechpalast bei den Eisbären).

© promo

Barrierefreiheit für Sportfans: Wenn der Rollstuhlfahrer näher dran ist

Als Fußball- und Eishockeyfan reist Manfred Schürholt durch ganz Deutschland. Und erlebt dabei meist viel Offenheit für Rollstuhlfahrer.

Bahnhof Südkreuz. Fahrstuhl kaputt. Rolltreppe fährt nicht. Also drückt Manfred Schürholt den grünen Knopf für Rollstuhlfahrer, ganz unten auf der SOS-Säule. Es meldet sich eine Stimme. Schürholt schildert dem Bahnmitarbeiter sein Problem. Die Antwort: „Dann nehmen Sie doch die Treppe.“ Heute lacht Manfred Schürholt über die Geschichte: „Das war Realsatire.“ Seit 29 Jahren sitzt er im Rollstuhl.

Die Anekdote, passiert vor einer Auswärtsfahrt zu seinem Lieblingsverein, dem Eishockeyklub Eisbären Berlin, sei aber nicht exemplarisch, sagt Schürholt, der von Geburt an körperlich behindert ist. Seit Jahren reist der junge Mann aus Berlin am Wochenende durch die Republik, um Spiele der Eisbären oder von Borussia Dortmund zu besuchen. „Und insgesamt überwiegen die guten Erfahrungen“, sagt Schürholt. Auch auf den Reisen, und vor allem in den Stadien.

Manchmal habe er den Eindruck, dass ihm in seinem Dasein als Sportfan „etwas zurückgegeben“ werde, was ihm sonst im Alltag fehle. Rollstuhlfahrer zu sein, sei beim Besuch eines Eishockey- oder Fußballspieles „logo, ein Bonus“, sagt er. „Ich komme mit den Leuten im Stadion und auch oft durch die Nähe zum Spielfeld mit den Spielern schneller ins Gespräch.“ Beim BVB etwa habe ihm der Brasilianer Dede vor ein paar Jahren seine Badelatschen geschenkt nach einem Spiel. Oder Christian Ehrhoff, der wie Schürholt aus der Krefelder Region kommt: Den heutigen Starspieler aus der nordamerikanischen National Hockey League habe er schon gekannt, als der noch ein 17 Jahre alter Junge war. „Mit dem Christian habe ich sogar ein paar Bier getrunken.“ Und bei den Eisbären würden sie ihn sowieso kennen. Erst vergangene Saison hat ihm Eisbären-Verteidiger Constantin Braun nach einem Spiel in Iserlohn einen Schläger geschenkt.

In den modernen Arenen ist vieles schon barrierefrei

In der betagten Iserlohner Eishalle müssen die Rollstuhlfahrer durch den Spielertunnel ins Halleninnere. „Da kommt man automatisch mit den Spielern in Kontakt“, erzählt Schürholt. Ein Privileg der Rollis, sagt er. „Kein normaler Latscher darf dahin.“ In den neuen Arenen allerdings sind die Vorteile gegenüber den „Latschern“, wie die Fußgänger unter Rollstuhlfahrern auch genannt werden, überschaubarer. In der Moderne ist alles barrierefrei, da gelangen Menschen ohne Komplikationen an ihren Platz. Besonders gut sei das in Berlin, sagt Schürholt. In der Max-Schmeling-Halle bei den Spielen des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin „ist der große Vorteil, dass man in der letzten Reihe des Unterrangs die ganzen Getränke- und Essensstände genau hinter sich hat“. Und in der Arena am Ostbahnhof, bei Spielen der Eisbären und von Alba Berlin, sind die Wege zum Platz per Fahrstuhl einfach zu überbrücken. Die Halle sei „das Beste, was es in Deutschland gibt“, sagt Schürholt. Die rund 150 Plätze für Rollstuhlfahrer seien bei den Eisbären immer ausgebucht und der Eintritt ist für einen Rollstuhlfahrer plus Begleitung frei.

Freien Eintritt gibt es auch bei Hertha BSC, allerdings gefällt es Schürholt beim 1. FC Union besser, dort sitzen Rollstuhlfahrer direkt am Spielfeld und nicht wie im Olympiastadion in der obersten Reihe im Unterrang. In der Fußball-Bundesliga seien die Standards in den Stadien für Menschen mit körperlicher Behinderung seit Jahren blendend, sagt Schürholt. Nur in Braunschweig, im alten Stadion der Eintracht, habe er vergangene Saison beim Auswärtsspiel von Borussia Dortmund keinen Spaß gehabt. „Da gab es keine behindertengerechten Plätze“, sagt er. „Aber inzwischen haben die das auch in Braunschweig behindertengerecht nachgerüstet.“

Manchmal können Hilfsangebote auch nervig sein

So sehr es Manfred Schürholt manchmal auch als Privileg empfinde, dass ihm die Menschen helfen würden beim Stadionbesuch, so nervig könnten manche Menschen auch sein. „Dafür hat man das Problem, dass sich jeder Betrunkene für dich zuständig fühlt. In der Wolfsburger Eishalle hat mich mal jemand bis auf die Toilette verfolgt, weil er dachte, ich brauche da Hilfe.“ Ein Unsinn sei das mit manchen Latschern. Okay, manchmal bräuchten Rollis auch Hilfe, „weil, sie sind ja auch Fans“. Und Schürholt erzählt die Geschichte von einem neben ihm zuschauenden Rollstuhlfahrer, der wohl zu viel alkoholhaltige Getränke während eines Eisbären-Spiels zu sich genommen hatte. „Der ist besoffen aus seinem Rollstuhl gekippt.“ Schürholt lacht. „Der brauchte natürlich Hilfe.“

Auf Hilfe ist Manfred Schürholt selten im Stadion angewiesen, dafür eher bei der Anreise – wenn etwa der Fahrstuhl ausfällt, so wie am Bahnhof Südkreuz. Dann braucht er die Hilfe anderer Eisbären- oder BVB-Fans, die ihn die Treppe herauf- oder heruntertragen. Vier Mann, zwei an jeder Seite. Das sei nicht ganz so einfach: „Ich fahre zwar auf Auswärtsfahrten nicht im schweren E-Rolli, aber ich bin eben kein Leichtgewicht.“ Manfred Schürholt sagt: „Das Hauptproblem ist, auf so einer Reise Fans zu finden, die nüchtern genug sind.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false