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Bastian Schweinsteiger nach seinem Tor gegen die Ukraine.

© dpa

Tor gegen die Ukraine: Bastian Schweinsteiger - atemlos in Lille

Die Personalie Bastian Schweinsteiger war die umstrittenste vor der EM. Sein 2:0 gegen die Ukraine war eine Erlösung – doch die Frage nach der Fitness bleibt.

Am Ende war es wieder einmal Manuel Neuer, der die Situation bereinigte. Der Torhüter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erwies sich als unüberwindliches Hindernis, nachdem die beiden Verteidiger Benedikt Höwedes und Jerome Boateng sich einfach hatten überlaufen lassen. Sie hatten vergeblich versucht, Bastian Schweinsteiger in seinem Sprint die Seitenlinie entlang zu stoppen, schafften es genauso wenig wie die komplette Ersatzbank, samt Trainerstab und medizinischer Abteilung. Schweinsteiger lief immer weiter, mal mit geballter Faust, mal mit ausgebreiteten Armen, und erst Neuer packte so beherzt zu, dass es kein Entrinnen mehr gab. Wahrscheinlich war das ganz gut so, sonst wäre Schweinsteiger ewig weiter gesprintet. Und das bei seinem Fitnesszustand! Selbst beim Interview ein paar Minuten später bekannte er, „noch ein bisschen außer Atem“ zu sein.

Ach, wie schön kann Fußball sein. Als Schweinsteiger sich kurz vor Schluss des Spiels gegen die Ukraine von der Ersatzbank kommend der Seitenlinie näherte, machte sich unter den deutschen Zuschauern in Lille freudige Erregung breit. So ähnlich war es auch vor zwei Jahren gewesen, als Schweinsteiger in der Endphase des WM-Finales gegen Argentinien ebenfalls an der Seitenlinie auftauchte. Die Zuschauer jubelten, weil er nach elendig langer Behandlungspause nicht ausgewechselt werden musste. Das Spiel im Maracana, der aufopferungsvolle Kampf gegen den Schmerz, hat das öffentliche Bild von Bastian Schweinsteiger entscheidend geprägt. Nur so ist zu erklären, warum seine Einwechslung die deutschen Fans in Lille regelrecht in Ekstase versetzte. „Fußballgott!“, riefen sie.

„Es tut einfach gut, wenn die Menschen so reagieren“, sagte Schweinsteiger unmittelbar nach dem Schlusspfiff. „Es sind nicht alle so, leider. Die vergessen oftmals was.“ Vermutlich waren damit jene Menschen gemeint, die eine Stunde später im Untergeschoss des Stadions vor allem auf ihn warteten. Schweinsteiger hatte die Daumen hinter die Riemen seines Rucksacks geklemmt und strebte mit gesenktem Blick dem Ausgang entgegen. „Herr Schweinsteiger!“, riefen die Journalisten. Schweinsteiger schaute einmal kurz auf, hob abwehrend seine rechte Hand und ging weiter, ohne ein Wort zu sagen.

Warum reden, wenn man die besten Antworten immer noch auf dem Platz geben kann? „Das mit Basti ist eine super Geschichte“, sagte Thomas Müller. „Wahnsinn.“ Gegen die Ukraine wurde Schweinsteiger in der 90. Minute eingewechselt, kurz darauf wuchtete Schweinsteiger den Ball nach einem Konter aus der eigenen Hälfte heraus, nach langem Anlauf und auf perfekte Vorarbeit von Mesut Özil mit seinem rechten Fuß zum 2:0-Endstand in den Torwinkel. „Der Ball war gar nicht so einfach“, sagte Schweinsteiger. Spötter meinten, so dynamisch hätten sie Schweinsteiger schon lange nicht mehr erlebt. „Da hat man gesehen, dass er richtig fit ist“, sagte Manuel Neuer. „Das wollte er dem Trainer, glaube ich, auch noch mal zeigen.“

Es war Schweinsteigers 24. Tor für die Nationalelf

Dabei muss Schweinsteiger den Bundestrainer noch am wenigsten überzeugen, eher die kritische Öffentlichkeit, die bis zuletzt gezweifelt hat, ob der bald 32-Jährige nach einer Saison voller Verletzungen noch einmal in turniertaugliche Form kommen würde. Für Manchester United hat er im März zuletzt gespielt; vor einer Woche, im Test gegen Ungarn, kehrte er Mitte der zweiten Halbzeit auf den Platz zurück, und am Sonntag gegen die Ukraine kam er zu seinem 116. Einsatz für die Nationalelf. „Es freut mich natürlich sehr, dass er nach all der Schufterei so ein tolles Comeback feiert“, sagte Bundestrainer Löw. „Das gibt ihm und uns allen ein bisschen Auftrieb.“

Man sollte sich allerdings nicht der Illusion hingeben, dass Schweinsteiger schon wieder in der Verfassung ist, das Spiel der deutschen Mannschaft zu lenken wie in früheren Zeiten. Für 90 Minuten reicht die Kraft nicht, das hat er selbst zugegeben. Aber er kann seinem Team zumindest momentweise helfen. So wie in Lille. Die Deutschen hatten die Angelegenheit in der zweiten Halbzeit zwar weitgehend unter Kontrolle, der Vorsprung aber war so knapp, dass eine einzige gelungene Aktion der Ukrainer die Nationalmannschaft noch um ihren Lohn hätte bringen können. Schweinsteiger sollte helfen, den Sieg über die Runden zu retten. Das tat er, wenn auch anders, als Löw das geplant hatte.

„Er sollte für Ruhe sorgen, für Ordnung, damit wir die zweiten Bälle gewinnen“, sagte der Bundestrainer. Stattdessen sprintete Schweinsteiger mit nach vorne und erzielte sein 24. Länderspieltor, das erste seit fünf Jahren. „Unglaublich, dass es so etwas gibt“, sagte er, „das kann man sich nur wünschen.“

Löw lobt seine Persönlichkeit

Die Statistik wies am Ende eine Passquote von hundert Prozent für ihn aus, was nicht allzu viel besagte, weil Schweinsteiger in knapp vier Minuten nur einen Pass spielte. Aber genau diese Sicherheit am Ball, den Blick fürs große Ganze, eine gewisse Uneitelkeit, erhofft sich Löw immer noch von seinem Kapitän. Es war exakt das, was den Deutschen in der ersten Halbzeit gefehlt hatte, gerade in der letzten Viertelstunde. „Er bringt die Ordnung in unser Spiel, die wir brauchen. Er weiß genau, wann man das Tempo ein bisschen rausnehmen muss, steht auch sehr gut in der Achse“, sagte Neuer über Schweinsteiger. „Die Abstände sind, wenn er im Spiel ist, sehr kurz. Wir können dann besser eingreifen, gerade wenn wir mal den Ball verloren haben.“

Ein solches Spiel ist allerdings extrem laufintensiv und damit körperlich höchst anstrengend. Inwieweit Schweinsteiger dazu in der Lage ist, gerade in einem Turnier mit vielen Spielen in kurzer Zeit – das ist immer noch die entscheidende Frage. „Mit seiner Persönlichkeit kann er der Mannschaft viel geben“, glaubt Joachim Löw. „Da ist Bastian Schweinsteiger Gold wert.“

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