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Nationalmannschaft: Berlin guckt zu

Seit 13 Jahren gab es durchgängig mindestens einen Fußball-Berliner, der in der deutschen Nationalmannschaft spielte. Nach dem Abstieg von Hertha BSC in die Zweite Liga ist das nur noch schöne Geschichte.

Berlin - Berlin spielt nicht mehr mit – und das in Berlin. Nicht nur die Bundesliga macht einen Bogen um den Fußball der deutschen Hauptstadt, inzwischen gibt es auch in der deutschen Nationalmannschaft keinen einzigen Spieler mehr, der bei einem Berliner Verein beschäftigt ist. Das mag bitter sein, aber eine Sensation ist es nicht. Mit dem Weggang des langjährigen Kapitäns von Hertha BSC, Arne Friedrich, den es im Sommer zum VfL Wolfsburg zog, verlor die größte deutsche Stadt ihren letzten deutschen Nationalspieler. „Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass wir in der Zweiten Liga spielen“, sagt Herthas Manager Michael Preetz.

Seit dem Aufstieg Herthas in die Bundesliga vor 13 Jahren gab es durchgängig mindestens einen Fußball-Berliner, der im deutschen Nationaldress steckte. Dariusz Wosz war nach langer Zeit wieder der erste deutsche Nationalspieler, den Hertha stellte. Mit der rasanten Entwicklung des Klubs unter Trainer Jürgen Röber bis hinein in die Champions League folgten rasch andere wie der spätere Überraschungs-Vizeweltmeister Marko Rehmer (35 Einsätze zwischen 1998 bis 2003) und Stefan Beinlich (5 Einsätze/1998 - 2000), der Bundesliga-Torschützenkönig Michael Preetz (7/1999 - 2000), Sebastian Deisler (36/2000 bis 2006), Michael Hartmann (4/2003) und Malik Fathi (2/2006). Letzterer ist auch der erste „echte“ Berliner Nationalspieler, der aus Herthas eigenem Nachwuchs kam. Wer mag, darf in die Liste von Herthas Nationalspieler noch Fredi Bobic hinzuzählen, der allerdings schon lange Nationalspieler war (seit 1994), ehe er 2003 zu den Berlinern gewechselt war und noch das eine oder andere Mal für Deutschland (insgesamt 37) zum Einsatz kam.

Auch Dariusz Wosz hatte eine Vorgeschichte. Zwischen 1989 und 1990 bestritt er für die DDR sieben A-Länderspiele. Sein Debüt hatte er als 19-Jähriger in einem Freundschaftsspiel gegen Finnland am 22. März 1989 gegeben. Sein siebtes und letztes Länderspiel war gleichzeitig der Abschied der DDR-Auswahl vom internationalen Fußball. Am 12. September 1990 schlug das Team um Kapitän Matthias Sammer in Brüssel Belgien mit 2:0. Im Februar 1997 feierte Wosz als Spieler des VfL Bochum sein Debüt im Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). In Tel Aviv wurde unter Bundestrainer Berti Vogts Israel mit 1:0 besiegt. Im Jahr 2000 schaffte er den Sprung in den Kader von Vogts’ Nachfolger Erich Ribbeck für die EM in Belgien und den Niederlanden, wurde aber nicht eingesetzt. Das Länderspiel am 15. November 2000 in Kopenhagen gegen Dänemark (1:2-Niederlage) bedeutete für Wosz nach 17 Spielen und einem Treffer den Abschied aus der Nationalelf.

Dariusz Wosz spielte erst für die DDR, dann im gesamtdeutschen Dress.
Dariusz Wosz spielte erst für die DDR, dann im gesamtdeutschen Dress.

© dpa

Dariusz Wosz steht für eine gute, weil effektive Vereinsstrategie, die Herthas damaliger Manager Dieter Hoeneß prägte, allerdings bald darauf auch wieder verließ. Mit Beginn des neuen Jahrtausends setzte Hoeneß verstärkt auf Transfers aus Südamerika, was nicht nur kostspielig war, sondern vielen deutschen Talenten den Weg verbaute. Viele sehen hierin den Grund für die dramatische wirtschaftliche Entwicklung, die der Verein anschließend nahm und zwischenzeitlich in einem Rekordschuldenstand in Höhe von 55 Millionen Euro mündete. Dass Hertha heute keinen deutschen Nationalspieler mehr stellt, kam also in gewisser Weise mit Ansage. Erst als die Mittel für solcherlei Transfers schlicht nicht mehr zur Verfügung standen, setzte der Klub verstärkt auf die Nachwuchsarbeit.

Den kürzesten Weg in das Nationalteam nahm Arne Friedrich. Nach der WM 2002 in Fernost war dieser aus Bielefeld nach Berlin gewechselt. Kurz darauf, am 21. August 2002, debütierte Friedrich im Team des damaligen Bundestrainers Rudi Völler – und das nach nur zwei Bundesligaspielen für die Berliner. Seitdem hat es der inzwischen 31 Jahre alte Verteidiger, der an vier Turnieren teilnahm, auf 79 Einsätze für Deutschland gebracht. Im Gegensatz dazu steckte die Nationalmannschaftskarriere von Michael Preetz lange in der Warteschleife. Der heutige Hertha-Manager musste erst 31 Jahre alt werden, ehe er in die Nationalmannschaft berufen wurde. Als Torjäger führte er in der Winterpause 1998/99 die Bundesliga-Torschützenliste mit elf Treffern an und hatte sich die Berufung in die Auswahl des DFB durchaus verdient. Er nahm an einer umstrittenen Reise im Februar nach Florida teil. Die deutsche Elf, die ohne eine Reihe von Stammspielern angereist war, ging gegen die USA sang- und klanglos 0:3 unter. Drei Tage später erzielte Preetz beim 3:3 in Miami gegen Kolumbien zwei Tore. Das erste dieser Treffer war das 1500. Tor in der deutschen Länderspielgeschichte. Im Sommer des gleichen Jahres nahm ihn Bundestrainer Erich Ribbeck mit zum Confed-Cup nach Mexiko. Nach insgesamt sieben Länderspielen, in denen Preetz drei Tore erzielt hatte, war Schluss.

Alles, was danach kam, waren – mit Ausnahme Sebastian Deislers – mehr oder minder Verlegenheitslösungen. Nachdem Völler Ribbeck als Bundestrainer abgelöst hatte, kam zur allgemeinen Überraschung Herthas umgeschulter Abwehrspieler Michael Hartmann in den Genuss, für Deutschland zu spielen. Vor dem Länderspiel gegen Serbien-Montenegro Ende April 2003 hagelte es Absagen etablierter Nationalspieler. Besonders groß war Völlers Not, was die personelle Besetzung der linken Abwehrseite anbelangte. Einen Tag vor dem Länderspiel ging ein Anruf bei Hertha ein, wonach sich Hartmann schleunigst auf den Weg nach Bremen zur DFB-Auswahl machen solle. Herthas damaliger Pressesprecher überbrachte dem völlig verdutzten Hartmann die Nachricht beim Training. Es sollten drei weitere Einladungen folgen. Das war es dann auch schon. Zumindest kann Hartmann von sich behaupten, als deutscher Nationalspieler nie verloren zu haben. Hartmann folgte dann nur noch Malik Fathi, der es auf zwei Kurzeinsätze brachte.

Malik Fatih war der erste Nationalspieler aus dem Hertha-Nachwuchs.
Malik Fatih war der erste Nationalspieler aus dem Hertha-Nachwuchs.

© dpa

Er debütierte im August 2006 beim 3:0-Sieg über Schweden und wurde noch einmal im Oktober beim 2:0-Sieg über Georgien eingewechselt. Gemessen daran, wie sehr sich Hertha in jenen Jahren rühmen ließ für die eigene Nachwuchsarbeit, ist das ein schwaches Resultat. Nur einer, nur Fathi, hat es als Herthaner zumindest mal in die Nationalelf geschafft. „Es gibt schon noch ein paar Nationalspieler, die zumindest bei Hertha durchgelaufen sind“, sagt Michael Preetz und denkt dabei an die Brüder Jerome und Kevin-Prince Boateng.

Ausgebildet wurden sie tatsächlich in Berlin, bei Tennis Borussia und Hertha BSC, doch den Sprung in die Auswahl schafften sie anderswo. Jerome wurde als Profi des Hamburger SV von Joachim Löw in die deutsche Elf berufen, wo er eine gute WM spielte. Und Kevin Boateng entschied sich als England-Legionär, für das Land seines ghanaischen Vaters zu spielen. In dieser Reihe steht auch Sead Salihovic, der bei Hertha keine Perspektive sah, 2006 nach Hoffenheim wechselte und seit drei Jahren für Bosnien-Herzegowina spielt. „Wir müssen uns nicht schämen, dass wir Spieler ausgebildet haben, die es nicht bei uns durchgängig geschafft haben, Nationalspieler zu werden“, sagt Preetz: „Wir sind stolz, dass sie es woanders dann geschafft haben.“

Michael Preetz richtet seinen Blick nach vorn. „Wir haben jetzt wieder einige Talente im Verein, die Perspektive haben. Aber es verbietet sich für uns, Ansprüche zu stellen. Wir wollen zurück in die Bundesliga, dann fällt es leichter.“ Herthas Manager denkt vor allem an Spieler wie Fanol Perdedaj und Sebastian Neumann, die gerade in die deutsche U-21-Auswahl berufen wurden. Marvin Knoll und Shervin Radjabali-Fardi standen vor zwei Tagen im Team der deutschen U-20-Mannschaft beim 2:0-Sieg über die Schweiz. „Sie werden noch Zeit brauchen“, sagt Preetz, „aber wir wollen eigene Nachwuchsspieler einbinden. Sie sollen sehen, dass junge Spieler bei uns spielen.“ Hertha Manager denkt dabei an Nico Schulz. Der erst 17-Jährige kommt zu regelmäßigen Einsätzen unter Trainer Markus Babbel.

Das vorerst Letzte, was Hertha mit der Nationalmannschaft verband, war eine Geldüberweisung. Der DFB überließ den Berlinern ein hübsches fünfstelliges Sümmchen. Der Grundlagenvertrag zwischen DFB und Deutscher Fußball-Liga (DFL) regelt die Aufwandsentschädigung für Vereine, die Nationalspieler abstellen, eine Art Tageskopfpauschale. Es war die Abstellungsgebühr für den fast schon ewigen Nationalspieler Arne Friedrich.

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