zum Hauptinhalt

Sport: Berlin und andere Verlierer

Neben dem Olympiastadion haben auch die Arenen in Schalke, Leipzig und Lautern erhebliche Mängel

Berlin Es ist ein Schreckensszenario der Fußball-WM: Schon ein Gerücht genügt, dass Zuschauer in einem Stadion aus Angst in Richtung Spielfeld drängen, schubsen und stolpern, dass Panik entsteht. In vier Stadien der WM 2006 könnte das „verheerende Folgen“ haben. Zu diesem Urteil kommt der am Dienstag veröffentlichte Sicherheitstest der zwölf Spielstätten durch die Stiftung Warentest. Die Stadien in Berlin, Leipzig, Gelsenkirchen und Kaiserslautern hätten „erhebliche Mängel“, urteilten die Tester.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte vor Hysterie. Die Stadien seien nach modernsten Normen gebaut oder renoviert worden. Schäuble ergänzte aber, dass die Hinweise ernst genommen würden. Auch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) versicherte, die Koalition werde das Machbare unternehmen, „damit alle, die in die Stadien gehen, sicher sein können, dass sie keine Angst haben müssen“. Der Sportausschuss des Bundestages will in der kommenden Woche über die Arenen beraten. „Es erschüttert mich, dass gerade die vorrangig öffentlich finanzierten Stadien in Leipzig und Berlin schlechte Noten bekamen“, sagte der Vorsitzende des Sportausschusses Peter Danckert (SPD).

Das WM-Organisationskomitee wies die Kritik dagegen zurück. Organisationschef Franz Beckenbauer attackierte die Tester in der „Bild“-Zeitung: „Die Stiftung Warentest kennt sich vielleicht mit Gesichtscreme, Olivenöl und Staubsaugern aus. Dabei sollen sie bleiben.“ Hubertus Primus von Stiftung Warentest nannte Beckenbauers Aussage „wenig professionell“. Das Institut habe viele Sicherheitsprüfungen durchgeführt, etwa auf Bahnhöfen, und auch Stadien kontrolliert. Primus drückte sich diplomatisch aus: Wer den Ausbruch einer Panik während eines WM-Spiels für unwahrscheinlich halte, werde hoffentlich Recht behalten.

Die letzte schwere Panik in einem deutschen Stadion ereignete sich 1977. Vor einem Bundesligaspiel im Hamburger Volksparkstadion stürzten Hunderte Fans die Treppen auf der Westribüne hinunter. Ein Mann starb, es gab 15 Verletzte. Auslöser einer Sicherheitsdebatte in Europa war die Katastrophe 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion. Damals kamen nach einer von englischen Hooligans ausgelösten Massenflucht 39 Menschen ums Leben, 400 wurden verletzt. Als Konsequenz in Deutschland führte Stiftung Warentest ihren ersten Stadiontest durch – mit alarmierenden Ergebnissen. Tsp

Olympiastadion Berlin Einmal „mangelhaft“ und dreimal „ausreichend“ – die Stiftung Warentest zählt das Olympiastadion zu den Stadien mit „erheblichen Mängeln“. Das überrascht, schließlich war die Stätte der Olympischen Spiele 1936 zwischen 2002 und 2004 für 242 Millionen Euro renoviert worden – vorrangig aus Bundesmitteln. Als besonders gefährlich stuften die Tester den 2,70 Meter tiefen Graben ein, der das Spielfeld umschließt. Zusammen mit fehlenden Rettungstoren erzeuge dies ein „hohes Staudruckrisiko“. Das Problem: Der Graben steht unter Denkmalschutz und kann nicht zugeschüttet werden. Lange Ausgangstreppen, ungünstige Fluchtwege und hohe Stufen im Oberrang wurden ebenso bemängelt wie die brennbaren Materialien und eine fehlende Sprinkleranlage in den Logen. „Sehr gut“ fanden die Tester, dass es kaum lose Gegenstände gibt, die missbraucht werden könnten.

Frankenstadion 17 Monate dauerte der Umbau des Frankenstadions, bis April vergangenen Jahres waren 56 Millionen Euro verbaut. Der Lohn: die Noten „gut“ bis „befriedigend“ im Test. Für den Evakuierungsfall scheint man in Nürnberg gut gerüstet zu sein, vor allem dank der zahlreichen Rettungstore, obwohl der Höhenunterschied zwischen dem unteren Rang und dem Spielfeld 2,40 Meter beträgt. Auch in den übrigen Kategorien fanden die Tester nur „geringe Mängel“.

Arena auf Schalke Nach der Eröffnung im August 2001 stufte eine Uefa-Kommission die Arena in die höchste Kategorie ein. Die Stiftung Warentest fand im so genannten Fünf-Sterne-Stadion dagegen „erhebliche Mängel“. Beim Staudruck vergaben sie sogar die schlechteste Note im Test: 5,4 – mangelhaft. Die Tester begründen dies mit fehlenden Rettungstoren, der Fallhöhe von 3,40 Metern zwischen unterem Rang und Spielfeld, dem fehlenden Rundlauf und der hohen Zuschauerdichte.

Zentralstadion Im 116 Millionen Euro teuren, vorrangig mit Bundesmitteln finanzierten Stadion in Leipzig können sich die Zuschauer nach Ansicht der Tester „im Notfall ebenfalls kaum auf das Spielfeld retten. Sie müssten dafür eine 90 Zentimeter hohe Betonmauer überklettern und dann 3,40 Meter tief springen“. Weil es zudem zu viele brennbare Materialien gebe und die Rettungswege für die Feuerwehr etwas lang seien, heißt das Gesamturteil der Tester: „Erhebliche Mängel“.

Fritz-Walter-Stadion Erst im Dezember hatten Risse in der Dachkonstruktion die Betreiber aufgeschreckt. Nun erhält das Stadion in Kaiserslautern Besorgnis erregende Noten. Urteil: „Erhebliche Mängel“. Beim Brandschutz schneidet kein Stadion schlechter ab. Besonders kritisiert werden die Holzverkleidung im oberen Bereich der Nordtribüne und fehlende Brandmelder. Die schlechteste Note gibt es auch bei der „Vermeidung von Bewaffnung“: für lose Gullydeckel, Biertische und Abfallcontainer.

Allianz-Arena Während des Baus machte die 340 Millionen Euro teure Heimstätte von Bayern und 1860 München wegen eines Schmiergeldskandals von sich reden: Karl-Heinz Wildmoser Junior sitzt deshalb viereinhalb Jahre im Gefängnis. Die Allianz-Arena gilt ihren Betreibern als modernstes Stadion Europas. Allerdings fanden die Tester „geringe Mängel“: zu schmale Rettungstore, einen „teilweise unübersichtlichen Fluchtweg“ und zu viele brennbare Materialien.

AOL-Arena Das für 97 Millionen Euro neu gebaute Hamburger Stadion verfügt „nur in Teilbereichen über Rettungstore, die während der Inspektion zudem nicht zu öffnen waren“. Zwar erzielte die AOL-Arena in den anderen Bereichen bessere Ergebnisse, gehört aber zu den Stadien mit „deutlichen Mängeln“. Die Betreiber haben der Stiftung Warentest gegenüber bereits Verbesserungen bei der Stolpersicherheit angekündigt. Zudem sollen mögliche Wurfgegenstände befestigt werden.

Rheinenergiestadion In vier Stadien fanden die Tester nur „geringe Mängel“ – die Kölner Arena zählt dazu. Lobende Worte gab es für „ausreichende Fluchtmöglichkeiten“ und den breiten Rundlauf. Allerdings scheint es auch in der für 120 Millionen Euro umgebauten Arena vor der WM noch Verbesserungsbedarf zu geben. Dazu zählen die Rettungstore (es gibt nur zwei seitliche), die langen und zum Teil schmalen Treppen sowie das erhöhte Stolperrisiko.

Commerzbank-Arena Erst im Oktober 2005 wurde der Neubau in Frankfurt endgültig fertig gestellt – die Tester sehen Nachholbedarf und kommen zum Gesamturteil: „Deutliche Mängel“. Lange oder fehlende Niedergänge, der komplizierte Verlauf des Fluchtwegs und die ungünstige Gestaltung der Drehkreuze und Ausgangstore fielen den Testern ins Auge. Die Note „gut“ erhält das 188 Millionen Euro teure Stadion dagegen dafür, dass Randalierer kaum lose Gegenstände finden würden.

Gottlieb-Daimler-Stadion Auch in Stuttgart fanden die Tester insgesamt „deutliche Mängel“. Lobend wird die Zahl der Rettungstore bei allen Tribünen erwähnt. Die seien allerdings zu schmal und farblich nicht gekennzeichnet. Zudem wurden die „teilweise ungünstige“ Führung der Fluchtwege von den Logen aus sowie zu viele brennbare Materialien bemängelt. Der letzte Bauabschnitt für die WM begann im Januar 2004 und soll in diesem Monat abgeschlossen werden.

AWD-Arena Das alte Niedersachsenstadion in Hannover wurde zwischen März 2003 und Dezember 2004 für 64 Millionen Euro umgebaut. Jetzt wird es für „ausreichende Fluchtmöglichkeiten“ gelobt, obwohl ein unterer Rundlauf fehlt. Auch in allen anderen Bereichen erhält das Stadion die Note „gut“. Geringe Mängel, etwas der steile Anfahrtsweg für die Feuerwehr und die Markierung der Fluchtwege, sind nach Ansicht der Tester aber auch hier noch zu verbessern.

Westfalenstadion Über 45 Millionen Euro kosteten Umbau und Modernisierung des Dortmunder Stadions. Die Stiftung Warentest kritisiert vor allem viele brennbare Materialien im Stadion. Dass es bei der WM keine Rettungstore zum Spielfeld geben wird und lediglich zwei Seitenausgänge als Druckventil dienen könnten, wird ebenfalls angemahnt. Für die Einordnung in die Kategorie „deutliche Mängel“ sprachen auch die tiefen Treppenstufen (bis zu 23 Zentimeter) – eine Stolpergefahr.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false