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Farbe bekennen. Immer öfter protestieren Fußball-Fans (wie hier 2012 in Mainz) gegen Homophobie in deutschen Stadien.Foto: Imago

© imago sportfotodienst

Berliner Verein Vorspiel: Homosexuelle im Fußball: Ganz normale Exoten

Homosexuelle Fußballer: Anderswo wurden sie aus dem Team gemobbt, der Berliner Schwulen- und Lesbensportverein Vorspiel, dessen Fußball-Abteilung in der Freizeitliga der TU spielt, fängt sie auf. Ein Ortstermin.

Ein dunkler Winterabend in Berlin-Weißensee, der Atem dampft, das Flutlicht glänzt auf dem nassen Kunstrasen. Zwölf Männer, die Mützen tief ins Gesicht und die Stutzen hoch über die Jogginghosen gezogen, knallen einen Schuss nach dem anderen auf das Tor, johlen, feuern an, spotten. Ein Feierabendtraining wie viele, bis der Trainer alle Hobbykicker beisammenruft. Einer versucht, den Ball im Laufen mit der Hacke in hohem Bogen über sich selbst zu heben, der Trick misslingt. „Schwuppe! Prinzesschen!“, ruft ein Mitspieler.

Wieder ein homophober Kommentar auf einem Fußballplatz, möchte man meinen, leider keine Seltenheit, auch bei Amateuren. Doch beide Fußballer grinsen sich an, diesen Kommentar nehmen sie sich nicht übel, denn ausgrenzend oder diskriminierend war er sicher nicht gemeint – beide sind schwul, wie alle auf dem Platz.

Hier trainiert die Fußballabteilung des Berliner Schwulen- und Lesbensportvereins Vorspiel.

Schwulsein im Fußball, ob sich daran nun etwas ändert, nachdem sich Thomas Hitzlsperger als erster ehemaliger Nationalspieler dazu bekannt hat? Bei Vorspiel haben sie viele Diskussionen und Erfahrungen hinter sich.

Ein Angreifer rennt einem Ball nach und rammt den Torwart um. „Hey!“, ruft einer, „Ganz normaler Einsatz!“, ein anderer. „So kannst du bei Berolina spielen“, schnauzt Jens Bettin den Angreifer an: „Aber nicht hier!“ Der Kapitän steht heute nur an der Seitenlinie, aber alles hört auf sein Wort. Alle sehen schnell ein, dass die Härte hier Grenzen hat. Vorspiel spielt in der Freizeitliga der TU Berlin, wo grätschen verboten ist. Hier spielt jeder nur zum Spaß – und doch geht es um mehr. Nicht nur weil Vorspiel die ersten fünf Saisonspiele verloren hat und am Wochenende endlich gewinnen will.

„Wir weisen niemanden ab, einige spielen hier zum ersten Mal Fußball“, sagt Bettin, „aber ein paar Jungs sind hier fast verschenkt, die könnten bei anderen Klubs auf höherem Niveau spielen, aber fühlen sich bei uns wohler.“ Wie einige Mitspieler spielt auch Bettin noch in einem zweiten Team, Blau Weiß Berolina, alte Herren. Der 45-Jährige steht offen zu seiner Homosexualität, führt im Zweitverein kein Versteckspiel wie andere bei Vorspiel, die aufpassen, ob sie auf Fotos zu sehen sind und ständig das Internet kontrollieren, um nicht unfreiwillig geoutet zu werden. In den Spielberichten auf der Vorspiel-Homepage stehen daher nur die Vornamen. Aber auch Bettin hat ein paar Jahre gewartet, bevor er sich geoutet hat, sowohl bei Berolina als auch bei dem VfB-Stuttgart-Fanclub, dem er angehört, und dann auch erst auf Nachfragen.

Die Angst vor Zurückweisung ist groß, die Reaktion der anderen die große Unbekannte. „Mein Trainer kam neulich zu mir und fragte: ,Jens, ich hab gehört, du hast da eine andere Ader?’“, berichtet Bettin, der über die Reaktion seines Trainers lachen muss: „Bist trotzdem ein feiner Kerl.“ Das war netter gemeint, als es klang. Der Umgang mit dem Thema ist immer noch mit vielen Unsicherheiten behaftet. „Dabei sage ich selber oft: ,Was für ein schwuler Pass!’“, sagt Bettin, der nicht glaubt, dass jeder bei dem Begriff automatisch Homosexuelle abwerten will. Andere Mitspieler sehen das anders. Die Mannschaft muss sich nicht immer, aber immer wieder Beleidigungen anhören bei Spielen in der TU- Liga, speziell gegen Mannschaften mit hohem Migrantenanteil. Lustigerweise, sagt Bettin, treffe es meistens die wenigen Heterosexuellen im Team. „Mir ist aber auch schon mal in einem hitzigen Zweikampf ,Kanake‘ rausgerutscht, dabei bin ich kein Rassist“, sagt einer aus der Vorspiel-Mannschaft, „aber bei Schlusspfiff ist das vergessen und man gibt sich die Hand.“

Fußball, das ist für viele der Männersport, bei dem man hart im Nehmen sein muss. Eingestehen, dass manche Worte wehtun und nachhallen, ist da immer auch ein Eingeständnis von Schwäche.

Nach dem Training fahren einige Spieler noch in die Stammkneipe, den Sonntagsclub in Prenzlauer Berg. Die Gruppe ist deutlich kleiner als beim Training zuvor. „Ist vielen Tunten wohl zu kalt heute“, sagt Bettin auf dem Weg zum Parkplatz und lacht.

Als die Vorspiel-Kicker den Club betreten, fragen sie an der Theke, ob sie die letzten Minuten eines Fußballspiels auf der Leinwand sehen können. Die anderen Schwulen, Lesben und Transsexuellen im Café und Infozentrum schauen kurz auf, aber heute bittet das Team keiner, im Nebenraum zu schauen. Nicht nur für Hetero-, auch für andere Homosexuelle sind schwule Fußballer oft Exoten. „Wenn ich sage, ich bin Handwerker und Fußballer, wundern sich viele“, sagt Bettin, als er sich mit den anderen auf die Couch setzt und Bier bestellt, „mit Turnen, Volleyball oder Schwimmen würden sich einige leichter tun“.

Trotzdem feine Kerle. Die Spieler des Freizeitklubs Vorspiel nehmen sich nicht allzu ernst und auch die meisten Kommentare zu ihrer Homosexualität gelassen hin.Foto: dpa
Trotzdem feine Kerle. Die Spieler des Freizeitklubs Vorspiel nehmen sich nicht allzu ernst und auch die meisten Kommentare zu ihrer Homosexualität gelassen hin.Foto: dpa

© dpa

Dabei ist Berlin noch tolerant. Die Spieler berichten von Trainingsgästen aus Saarbrücken oder Stuttgart, die nach dem Outing aus dem Verein gemobbt wurden oder gleich gesagt bekamen: „Es ist besser, wenn du nicht mehr kommst.“

Die Vorspiel-Mannschaft tauscht sich viel aus, wenn sie auf Turnieren auf schwule Teams aus ganz Europa trifft. Auch 2015 wollen sie dabei sein, wenn in Hamburg erstmals die Schwulen- und-Lesben-EM stattfindet. Der Münchner Verein Streetboys, der als einziger Homosexuellen-Klub in Deutschland im regulären Ligabetrieb spielt, bringt öfter eine Schwulen-Bundesliga ins Spiel. Es ist eine kleine Parallelwelt abseits des Mainstreamfußballs, von dem die Homosexuellen doch Einbeziehung erhoffen. „Das ist schon zweischneidig“, sagt Alexander von Beyme vom Hamburger Verein Startschuss, der die EM 2015 organisiert. „Aber Vereine und Turniere sind immer auch eine Art Schutzraum, der Selbstvertrauen gibt für das Outing und um sich selbst zu akzeptieren.“

Die Hamburger sind politisch engagiert, suchen die Öffentlichkeit, treten oft auf. Ihr Berliner Pendant Vorspiel ist da zurückhaltender. „Kontakt zum DFB haben wir nicht, aber auch noch nie gesucht“, sagt der Fußball-Vorsitzende Ralf Zimmermann. „Da ist auch vieles nur Lippenbekenntnis.“ Die Berliner Erklärung gegen Homophobie im Juli etwa hatte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach zwar unterschrieben, erschien aber nicht zur offiziellen Vorstellung der Initiative.

Vorspiel überlegt dennoch, sich beim Berliner Fußball-Verband (BFV) anzumelden, um offizielle Spiele austragen zu können, doch die Gedankenspiele endeten bisher schnell an bürokratischen Hürden. „Eine eigene Jugendarbeit ist zum Beispiel utopisch“, sagt Jens Bettin. Schwule würden immer noch oft in die Nähe von Pädophilen gerückt.

Der BFV werde eine Anmeldung von Vorspiel „begrüßen“, sagt Vizepräsident Gerd Liesegang, der wenig Probleme befürchtet, sollte Vorspiel auf Mannschaften treffen, die weniger weltoffen sind als die in der Studentenliga der TU. „Wir müssen an der Basis den Boden für mehr Toleranz bereiten, von unten nach oben.“

Liesegang glaubt ebenso wenig wie die Vorspiel-Kicker, dass ein Outing eines aktiven Profispielers alle Probleme lösen würde. „Da müsste sich schon in jedem Bundesligaklub einer outen“, sagt Bettin, „für einen alleine wäre das ein Spießrutenlauf.“ Andere sehen das anders. „Es würde zumindest mehr Bewusstsein schaffen“, sagt Mitspieler Ronny Volkmann, der als Hertha-Fan meist in der Ostkurve steht und die gutgemeinten Appelle vor Spielbeginn hört. „Die, die sowieso tolerant sind, hören zu, der Rest hört weg oder klopft blöde Sprüche“, sagt der 25-Jährige.

Das eine ist ohnehin, sich Sprüche zu verkneifen, das andere ist echte Toleranz. Die könnte entstehen, wenn mehr hetero- gegen homosexuelle Teams antreten würden, um zu sehen, wie gering die Unterschiede sind. „Aber man kann ja niemanden dazu zwingen“, sagt Volkmann. Ohnehin sind die Vorspiel-Kicker da eher unpolitisch. „Wenn wir eine Botschaft haben, dann: Normalität.“

Auch die setzt sich durch, irgendwann. Die Vorspiel-Kicker erzählen von ihrem vorurteilsbeladenen Platzwart, der sich anfangs dagegen wehrte, dass Schwule auf seinem Rasen kicken sollen. Mittlerweile hat er sich daran gewöhnt, schätzt, dass sie den Platz gut behandeln und kommt auch mal auf ein Schwätzchen vorbei.

Das letzte Spiel vor der Winterpause hat Vorspiel übrigens doch noch gewonnen, 5:0 sogar. Einer von vielen kleinen Siegen.

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