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Mit Plakaten und Trillerpfeifen demonstrieren Eltern und Kinder auf dem Platz an der Körtestraße, im Hintergrund die Wohnhäuser.

© promo

Fußball in Berlin: Wenn der Nachbar kein Fußballfan ist

Viele Fußballplätze in Berlin liegen mitten in Wohngebieten, entsprechend häufig kommt es zu Streit zwischen den Vereinen und genervten Anwohnern. Gerichtsprozesse und eingeschränkte Nutzungszeiten stellen die Klubs dabei vor große Probleme.

Fußball kann laut sein. Das kriegen in Berlin auch einige Bürger zu spüren, die in unmittelbarer Nähe zu einem Sportplatz wohnen, wo Trillerpfeifen und Anfeuerungsrufe zum Alltag gehören. So haben in der Hauptstadt nicht nur Nachtklubs und Lokale mit Anwohnerbeschwerden zu kämpfen, sondern auch zahlreiche Fußballvereine. Das Problem ist dabei, dass die Klubs oft nur einen einzigen Sportplatz zur Verfügung haben, um sämtliche Trainings- und Spieltermine aller Jugend, Erwachsenen- und Seniorenmannschaften unterzubringen, somit sind gerade die Plätze in den dicht bewohnten Stadtgebieten meist voll ausgelastet.

Das Gute ist, dass ein Großteil derjenigen, die einen Fußballplatz in der Nachbarschaft haben, offenbar kein Problem mit dem Lärm haben. Schlecht für die Vereine ist allerdings, dass oft schon ein einziger Anwohner mit Lärmbeschwerden ausreicht, um den Spiel- und Trainingsbetrieb erheblich zu stören. Auf 45 Sportplätzen in Berlin gibt es laut Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußballverbands (BFV), Schwierigkeiten oder es gelten bereits Sonderauflagen für die ansässigen Vereine. Dies betrifft einige Plätze in dicht besiedelten Stadtgebieten, doch auch am Stadtrand und in Gegenden mit Einfamillienhäusern wie z.B. in Frohnau, Mahlsdorf oder an der Halker Zeile in Lichtenrade gab es schon Beschwerden und Einschränkungen der Platznutzung.

Der BFV ist hier auf der Seite der Vereine und versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln. Gerd Liesegang ist mit der Problematik besonders gut vertraut, schließlich war er 20 Jahre lang Jugendleiter beim Kreuzberger Klub SC Berliner Amateure. Auf dem Platz an der Körtestraße, mitten im angesagten Kiez zwischen Südstern und Urbanstraße, hat der Verein schon lange mit Lärmbeschwerden zu tun. 1990 zog ein Anwohner gar vor Gericht und bekam dort Recht, seitdem gelten auf dem Körte-Platz eingeschränkte Nutzungszeiten. Kurioserweise zog der damalige Kläger direkt nach dem Gerichtsprozess weg, was er dem Richter nach Verkündung des Urteils sogar noch ins Gesicht sagte, wie Liesegang sich erinnert. Die strengen Auflagen aber blieben.

Um 20 Uhr geht das Licht aus

Für Liesegang und seinen Nachfolger, Herbert Komnik, ist es seitdem eine schwierige Aufgabe, für alle 22 Jugendmannschaften des Vereins die Trainingszeiten zu koordinieren. „Wir haben kein Geld um unseren Trainern Gehälter zu zahlen, daher arbeiten alle Übungsleiter bei uns ehrenamtlich nebenbei. Da haben die meisten aufgrund ihrer Berufstätigkeit erst nach 18 Uhr Zeit.“ Teilt Komnik mit. Der Platz darf seit dem Gerichtsurteil nur bis 21 Uhr genutzt werden. Die A-Junioren, also die Ältesten, sind deshalb bereits auf den Platz an der Züllichauer Straße ausgewichen, wo auch die Männermannschaften der Berliner Amateure spielen und trainieren. Für die Jüngeren könne dies aber keine Lösung sein, zu dunkel und unheimlich sei vielen der Weg vom Südstern vorbei an Kirche und Friedhof durch die Züllichauer Straße. „Viele Eltern bringen ihre Kinder gerade wegen der guten Lage mitten im Kiez zu uns, wenn wir hier weg müssten, würden wir bestimmt viele Mitglieder verlieren,“ sagt Komnik.

Noch härter betroffen ist der SV Blau-Weiß in Tempelhof, Nachfolgeverein von Blau-Weiß 90, der in den 80er Jahren sogar mal in der ersten Bundesliga spielte. Der heutige Bezirksligist ist mit seinen insgesamt 22 Mannschaften auf der Anlage in der Rathausstraße beheimatet, die unter der Woche bereits um 20 Uhr verlassen werden muss. An Sonntagen, also dann wenn die Punktspiele für einen Großteil der Mannschaften anstehen, muss eine Mittagspause von zwei Stunden eingelegt werden. Auch hier gab es ein entsprechendes Gerichtsurteil, in Gang gesetzt von drei Anwohnern, von denen inzwischen nur noch Einer in dem Eigentums-Wohnhaus am südwestlichen Ende der Anlage wohnt. Dieser habe laut Christian Pinetzki, Leiter des Spielbetriebs bei Blau-Weiß, zeitweise sogar eine Videokamera auf seinem Fensterbrett installiert, was ihm dann aber per Auflage verboten wurde. Ein erneutes Gerichtsverfahren, das die Nutzungsbedingungen eventuell lockern könnte, kann sich der Klub schlicht und einfach nicht leisten.

Städtebauliches Filetstück, Heimstätte des BW Berolina Mitte: Googlemaps-Aufnahme des Platzes mitten in einem Wohnblock an der kleinen Hamburger Straße.
Städtebauliches Filetstück, Heimstätte des BW Berolina Mitte: Googlemaps-Aufnahme des Platzes mitten in einem Wohnblock an der kleinen Hamburger Straße.

© TSP

Im Kernbezirk Mitte gibt es überhaupt nur einen einzigen Sportplatz, was angesichts der hohen Grundstückswerte auch nicht verwundert. Mitten in Wohnhäuser eingebettet zwischen Linien- und Auguststraße liegt der Kunstrasenplatz des BW Berolina Mitte. Die Fenster und Balkons hängen hier zum Teil nur wenige Meter von der Seitenlinie entfernt, doch Beschwerden gibt es dem 1. Vorsitzenden, Thomas Meyer, zufolge kaum. „Eine Anwohnerin hatte mal die Polizei gerufen, doch das ist jetzt schon einige Jahre her“. Meyer weiß sogar von mehreren Anwohnern, dass sie froh sind, den Fußballplatz direkt vor dem Fenster zu haben, schließlich gäbe die freie Fläche viel Licht und sei weniger störend als z.B. eine Straße. Mehr Sorgen hatte der Klub davor, dass der Bezirk sich irgendwann dazu entscheiden könnte, die attraktive Fläche zu veräußern. Vor zehn Jahren hatte man gegen eine mögliche Bebauung demonstriert, inzwischen ist die Sportstätte aber offiziell im Flächennutzungsplan des Bezirks festgeschrieben, auch weil es eben keine angemessene Ausweichstätte in Mitte gibt. „Mittlerweile fühlen wir uns hier sicher und haben einen enormen Mitglieder-Zuwachs. Ich glaube nicht, dass sich da irgendeine Partei an eine Bebauung rantrauen würde.“ zeigt sich Meyer zuversichtlich.

Gemeinsam Lärmen aus Protest

Neue Sorgen tauchen für die Berliner Vereine aber immer wieder auf, vor allem dann, wenn neue, teure Wohnungen in Nähe der Sportanlagen gebaut werden. An der Körtestraße ist Ende der neunziger Jahre ein neues Haus in eine alte Baulücke gesetzt worden, nach zwei Jahren fingen die Beschwerden einer Anwohnerin an. Die empört sich vor allem über die „Wilden“ wie Gerd Liesegang sie nennt, also die Kinder aus der Nachbarschaft, die über den Zaun geklettert kommen, um Fußball zu spielen, wenn die Anlage eigentlich geschlossen ist. Hier musste mitunter schon die Polizei anrücken und den Platz räumen lassen. „Da können wir zwar nichts für“ sagt Jugendleiter Komnik, „letztendlich fällt aber alles auf unseren Verein zurück“. Erst kürzlich sind in den alten Bunker an der Fichtestraße, der nach hinten raus ebenfalls an den Platz angrenzt, neue teure Eigentumswohnungen gesetzt worden. Auch wenn von dieser Seite bisher keine Beschwerden kamen, gibt so etwas erfahrungsgemäß immer Grund zur Vorsicht. „Wir verzichten im Training auf Trillerpfeifen und versuchen auch sonst, so wenig Lärm wie möglich zu erzeugen,“ teilt der Jugendleiter mit.

Einmal im Jahr geht der SC Berliner Amateure aber selbst in die Offensive. Immer im Oktober veranstaltet der Klub den „Körte-Cup“, eine Art Protest-Turnier gegen über-empfindliche Anwohner. Hierzu werden gezielt solche Vereine eingeladen, die ähnliche Probleme haben, wie eben die Leidensgenossen vom SV Blau-Weiß, aber auch Teams von Eintracht Mahlsdorf oder den Kreuzberger Nachbarn von BFC und Eintracht Südring. Neben dem Fußballspielen gibt es hier auch immer eine Protest-Aktion. In diesem Jahr zogen Eltern und Kinder in einem kleinen Demonstrationszug mit selbst gebastelten Transparenten über den Sportplatz. Im Jahr davor wurden Trillerpfeifen verteilt, um dann eine Minute lang, gemeinsam, mal so richtig Krach zu machen, erzählt Komnik „Damit wollten wir den Anwohnern nur mal kurz zeigen, was richtiger Lärm ist.“

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