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Sport: Besorgt und müde

Der FC Arsenal hat einen miserablen Saisonstart hinter sich

Als Thomas Doll Trainer des Hamburger SV wurde, musste er sich von einem lang gehegten Wunsch verabschieden: Er hatte immer nach London gewollt, um ein Praktikum bei Arsenals Trainer Arsène Wenger zu machen. „Ich würde mich wahnsinnig gerne mal mit ihm austauschen“, hat Doll vor knapp zwei Jahren erzählt; vor allem hätte er wissen wollen, „wie man es schafft, über Jahre hinweg so unglaublich erfolgreich zu sein“.

Eine gute Frage. Ob dem Franzosen auf die Schnelle eine gute Antwort einfallen würde? Heute tritt Wenger mit seinem Team in der Gruppenphase der Champions League in der Hamburger AOL-Arena an (20 Uhr 45, live auf Premiere), und die Lage in Nordlondon ist längst nicht mehr so rosig wie im Herbst 2004. Arsenal hatte die Liga im Sommer zuvor mit fantastischem Offensivfußball gewonnen, war 49 Spiele in Folge unbesiegt, bis zu einem 0:2 bei Manchester United. Wenger sprach danach von einem „psychologischen Knacks“ für seine sensible Truppe. Und tatsächlich haben die „Gunners“ seitdem national nie wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Der FC Chelsea wurde zwei Mal Meister, Arsenal zuletzt im Mai nur Vierter – schlechter hat Wenger in seiner knapp zehnjährigen Amtszeit in London nie abgeschnitten. Andererseits war die abgelaufene Saison aber seine mit Abstand beste in Europa – erst im Finale der Champions League scheiterte Arsenal beim 1:2 gegen den FC Barcelona.

Der Triumph im Europapokal lässt weiter auf sich warten, und mit ihm die letzte Bestätigung von Wengers Genie. In der Premier League kann er mittlerweile mit Enttäuschungen besser umgehen, es werden ja auch nicht weniger. Arsenal macht im neuen Emirates Stadion bisher genau dort weiter, wo der Klub im alten Highbury-Stadion aufgehört hat: Man spielt relativ zügig und ansehnlich nach vorne, schießt zu wenig Tore und steht hinten nicht sicher. „Wir töten die Gegner nicht“, hat Stürmerstar Thierry Henry erkannt, der gegen den HSV mit einer Fußverletzung ausfällt; Wenger gab zu, „besorgt“ zu sein. Die Folgen der Weltmeisterschaft belasten die müden Kicker auch hier; zudem wurde der junge Kader nicht entscheidend verstärkt – abgesehen von Tomas Rosicky. Der Tscheche braucht aber noch Zeit, um sich in der harten Liga zu arrangieren. Das Gleiche gilt für Julio Baptista, einen wuchtigen und torgefährlichen Brasilianer, der im Tausch gegen den in London nie glücklich gewordenen Spanier José Antonio Reyes von Real Madrid ausgeliehen wurde.

Wengers sportliche Omnipotenz hat ihn zumindest phasenweise seine puristischen Ideen verwirklichen lassen, sie hat aber auch einen entscheidenden Nachteil. Ihm fehlt zum Beispiel ein fähiger Sportdirektor wie Dietmar Beiersdorfer, der Jahr für Jahr versierte Verteidiger ausfindig macht. Nach dem Abschied der letzten englischen Stammspieler Sol Campbell und Ashley Cole aus der Viererkette kam zwar der Innenverteidiger William Gallas von Chelsea, doch der Franzose muss nun auf der linken Seite aushelfen.

Zwei mickrige Punkte stehen nach drei Partien zu Buche, das ist der schlechteste Saisonstart von Arsenal in der Geschichte der Premier League. Dem Trainer bleibt kaum etwas anderes übrig, als auf eine Taktik zurückzugreifen, die er verabscheut. Es muss gemauert werden bei Arsenal: Ein vergleichsweise defensives 4-5-1-System brachte Stabilität und Erfolg in Europa; es dürfte auch heute gegen Hamburg wieder zum Tragen kommen. Ein bisschen Pragmatismus, das weiß auch Doll, der verhinderte Praktikant, kann einem Idealisten nicht schaden.

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