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Sport: Besser als die Stars

Der unerwartete Aufstieg des Biathleten Rösch

Berlin - Um 23 Uhr stellte Michael Rösch sein Handy ab, sein Zimmerkollege Jörn Wollschläger im Ruhpoldinger Mannschaftshotel der deutschen Biathleten war genervt von dem ständigen Klingeln. Gestern meldeten sich auf der Fahrt nach Antholz in Südtirol, wo am Donnerstag der nächste Weltcup beginnt, wieder ununterbrochen Gratulanten. Röschs 24-Stunden-Bilanz nach seinem ersten Weltcupsieg: „80 SMS, hundert Anrufe, dreimal musste ich den Akku von meinem Handy aufladen“. Mit Spezi stieß der 22-Jährige auf seinen Erfolg an und versucht zu begreifen, dass er Dritter im Gesamtweltcup ist – die vergangene Saison beendete er an Position 49. „Das geht alles ziemlich schnell“, sagt er erstaunt.

Das große Talent des mehrfachen Juniorenweltmeisters war unbestritten, doch in den vergangenen zwei Monaten hat er die Stars nicht nur herausgefordert, sondern mehrmals besiegt: Zu dem Sieg vom Sonntag kommen zwei zweite und zwei dritte Plätze. Rösch hat aber durchaus eine Erklärung für seine für Laien wundersame Leistungssteigerung. Hartes Training mit dem Skiroller die Alpenpässe hoch habe sich ausgezahlt. Und er kann das Training im Wettkampf im Gegensatz zum Vorjahr auch umsetzen. „Ich bin ein Kampfschwein“, sagt er flapsig, „mein Vater war auch so, der hat bis zum letzten Meter gekämpft.“ Eberhard Rösch gewann für die DDR dreimal Olympia-Gold mit der Staffel. Daheim in Altenberg im Erzgebirge liegen im Wohnzimmerregal die Olympiamedaillen, „da schiele ich immer mal hin“. Die Olympiaqualifikation – zu Saisonbeginn ein Traum – hat er längst geschafft. Im Massenstartrennen von Turin ist ihm wegen seiner Weltcupplatzierung der Start so gut wie sicher, vielleicht darf er sogar in der Staffel ran.

Als Rösch in Ruhpolding im Verfolgungsrennen in einem packenden Endspurt den Franzosen Raphael Poiree um eine Zehntelsekunde schlägt, ist sein Vater als Organisationschef beim Europacup in Altenberg im Einsatz. Über Funk vermittelt Röschs Bruder, der vor dem Fernseher mitzittert, dem Vater die Zwischenstände. Als der Sohn zur Hälfte des Rennens immer noch an zweiter Stelle liegt, rennt Eberhard Rösch zum Fernseher. Nach der dritten von vier Schießübungen fällt Michael Rösch auf den vierten Platz zurück, 29,5 Sekunden hinter Poiree. Dieser verfehlt beim letzten Schießen eine Scheibe, muss in die Strafrunde. Der junge Deutsche hingegen schießt schnell und fehlerfrei. Am Anstieg mobilisiert er die letzten Kräfte, zieht an Poiree vorbei. „Die letzte Runde war brutal, so viele Sterne habe ich noch nie gesehen“, sagt er. Mit letzter Kraft rettet er sich ins Ziel. Die Wettkampfrichter warten auf das Zielfoto, „aber ich habe gewusst, dass ich gewonnen habe. Raphael hat mir sofort gratuliert.“ Schon am Vortag hätte er siegen können, wäre er am Schießstand nicht über seine Skistöcke gestolpert. Er wurde Zweiter.

Dass auch wieder schlechtere Tage kommen werden, ist Rösch bewusst, aber er sagt selbstbewusst: „So eine Form verliert man nicht so schnell.“ Antrainiert hat er sich seine Kondition auch in Altenberg, wo er in einer Clique junger Biathleten in kürzester Zeit zum Vorbild geworden ist. Am Stützpunkt Oberhof könnte er sich mit Sven Fischer und Alexander Wolf, dem Zweiten und Fünften im Gesamtweltcup, messen. Doch Michael Rösch sagt: „Man sieht ja, dass es auch so geht.“

Helen Ruwald

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