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Angriff auf Eden Park. Maxine Medard (mit Ball) ist mit Frankreich nur ein Spiel vom Finale in Auckland entfernt. Foto: dpa

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Sport: Bier und Brüderlichkeit

Dank neuem Teamgeist ist Frankreich bei der Rugby-WM wieder ein Kandidat für den Titel

Frankreichs Rugby-Nationalteam eilt der Ruf voraus, bei großen Turnieren im entscheidenden Moment zu überzeugen. Letzten Samstag festigte die Mannschaft diesen Ruf im Viertelfinale der Rugby-WM in Neuseeland. Gegen England gelang den Franzosen fast alles: Voller Enthusiasmus schmissen sie sich in die Angriffe, standen sicher in der Defensive und punkteten schon in der ersten Halbzeit mit zwei Versuchen. Am Ende stand ein 19:12 gegen den Weltmeister von 2003 und WM-Finalisten von 2007 und damit die Qualifikation für das morgige Halbfinale gegen Wales (10 Uhr, live bei Sport 1 plus). „Wir kommen alle in den Himmel“, schallte es nach Spielende gemäß eines französischen Rocksongs durch das Stadion in Auckland. Das Team aber begnügte sich vorerst mit irdischen Freuden und feierte das Weiterkommen mit ein paar Bier in der Kabine.

Wer aber nur im entscheidenden Moment zur Stelle ist, der hat womöglich vorher enttäuscht. Und genau das konnte man bis dato von Frankreichs WM-Auftritt sagen. In den ersten beiden Gruppenspielen gegen Japan und Kanada hatte man standesgemäße Siege erwarten können. Doch die Männer um Kapitän Thierry Dusautoir taten sich gegen die Außenseiter lange schwer. Im dritten und einzigen Vorrunden-Spiel gegen ein Team mit einem großen Namen wurde Frankreich von Neuseeland geradezu gedemütigt. Allerdings kam die Niederlage den Franzosen nicht ungelegen, als Gruppenerster hätte man sich mit vermeintlich stärkeren Gegnern in der K.o.-Runde auseinandersetzen müssen.

Doch nur mit Kalkül ist die Niederlage im abschließenden Gruppenspiel gegen das zweitklassige Team des pazifischen Inselstaats Tonga nicht zu erklären. Auch dank eines erfolgreichen Versuchs von Tongas Flügelstürmer Suka Hufanga, der in Frankreichs fünfter Liga spielt, gewann Tonga 19:14. Für die Rugby-Nation Frankreich eine unglaubliche Peinlichkeit – und zweifellos zusammen mit der historischen Niederlage gegen Italien Anfang des Jahres eines der schlechtesten Spiele unter Trainer Marc Lièvremont. Trotzdem qualifizierte sich Frankreich für die K.o.-Runde – bei zwei Niederlagen in der Gruppenphase war das bisher nur den Fidschi-Inseln 1987 gelungen.

Zu diesem Zeitpunkt befürchteten Beobachter schon ein zweites „Knysna“: einen Eklat wie den der Fußball-Kollegen bei der WM 2010 in Südafrika, als sie in der Stadt Knysna nicht aus dem Mannschaftsbus stiegen und das Training verweigerten. In der Tat mehrten sich die unguten Anzeichen: Nach dem Spiel gegen Tonga karrte Lièvremont drei Kartons Bier in die Mannschaftskabine und wollte eine offene Aussprache – doch seine Spieler verschwanden in der Nacht von Wellington. In der Pressekonferenz tags darauf machte Lièvremont seinem Ärger Luft: Statt miteinander zu reden, unterhielten sich seine Spieler im Hotel nur mit ihren Beratern. Lièvremont persönlich verglich den indiskutablen Auftritt seiner Mannschaft mit „Knysna“, als er sagte: „Auf gewisse Weise sind wir gestern nicht aus dem Bus gestiegen.“

Doch das finale Desaster, das nicht wenige Beobachter für das Viertelfinale gegen England erwartet hatten, blieb aus. Wohl auch, weil das Spiel gegen Tonga zumindest vorübergehend heilend wirkt. Die Franzosen trafen sich später doch noch zur im Rugby verbreiteten Aussprache bei Alkoholkonsum. „Stolz, Ehrgefühl, Aufrichtigkeit, Solidarität“, forderte Lièvremont von seinen Spielern. Seitdem übertreibt es so manch einer mit geschwellter Brust und grimmigem Blick, aber es scheint zu helfen.

Im Halbfinale gegen Wales trifft Frankreich nun auf das bisher erfrischendste Team des Turniers, das zudem die beste Defensive vorweisen kann. In Frankreich ist man gespalten, welches Gesicht das Nationalteam im entscheidenden Moment zeigen wird: Das aus der Vorrunde oder das aus dem Viertelfinale gegen England? Schließlich, und auch dies gehört zu ihrem Ruf, legt Frankreichs Rugby Auswahl selten zwei überzeugende Auftritte hintereinander hin.

Matthias Sander

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