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Hände weg vom Gegner. Niederlagen der Philadelphia 76ers könnten in der kommenden Saison System haben.

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Big Four - Die US-Sport-Kolumne: Mutwillig miserabel: Tanking in der NBA

In der kommenden Woche beginnt die neue Saison in der NBA. Nicht nur der Kampf um den Titel verspricht spannend zu werden. Fast ebenso interessant wird sein, wer am Ende ganz unten steht. Denn einige Teams geben alles dafür, möglichst schlecht abzuschneiden.

Das Rennen wird packend und knapp, die Kontrahenten werden ihr Bestes geben. Am kommenden Dienstag startet die NBA in ihre neue Saison – und eine ganze Reihe von Teams hat sich Großes vorgenommen. An der Spitze strebt Meister Miami Heat den dritten Titel in Folge an, aber auch weiter hinten im Feld der 30 Profiklubs gibt es einige ambitionierte Mannschaften. Allerdings verfolgen die Philadelphia 76ers, Phoenix Suns und andere Teams diese Saison ganz andere Ziele: Sie wollen so viele Spiele verlieren und so miserabel abschneiden wie möglich. 

Natürlich verkündet keiner der Klubs dieses Vorhaben offiziell. In der NBA gibt es aber schon lange die Strategie des "Tankings". Tanking bedeutet, am Ende der Saison möglichst weit hinten zu stehen, um in der anschließenden Draft Lottery die besten Chancen auf die Stars von morgen zu haben. Der Draft im kommenden Sommer gilt als der stärkste seit Jahren, als Hauptgewinn winkt Small Forward Andrew Wiggins. Viele Experten halten den Kanadier für das größte Talent, seit LeBron James vor zehn Jahren direkt von der High School in die NBA wechselte. Für ein ohnehin schon schlechtes Team mit geringem finanziellen Spielraum kann es sich also durchaus lohnen, die kommende Saison abzuschenken. Wer am Ende die schlechteste Bilanz aufweisen kann, hat immerhin eine Chance von 25 Prozent, sich den künftigen Superstar Wiggins zu sichern. Da im Draft 2014 hinter dem dann 19-Jährigen noch ein ganze Reihe viel versprechender Basketballer wartet, bemühen sich gleich mehrere Klubs darum, hundsmiserabel zu sein. 

Unter dem streng reglementierten Gehaltssystem der NBA ist das gar nicht so einfach. Schließlich müssen die Teams mindestens rund 53 Millionen US-Dollar an Spielergehältern ausgeben. Die 76ers nehmen allerdings auch diese Hürde bislang so locker wie schamlos: Zum Saisonstart liegt Philadelphia rund sechs Millionen Dollar unter dem Gehalts-Minimum. Falls die 76ers keine Spieler finden, denen sie das Geld hinterher schmeißen, wird die Summe am Ende der Saison unter den Profis im Kader aufgeteilt. Dass Tim Ohlbrecht selbst unter diesen Umständen keinen Vertrag in Philadelphia bekam, ist besonders bitter für den deutschen Nationalspieler. Vielleicht war er aber auch einfach zu gut, wer weiß. Denn die Qualität eines Spielers spielt bei den 76ers momentan wahrlich keine Rolle. Vor der Saison transferierte Philadelphia All-Star-Spielmacher Jrue Holiday nach New Orleans, ohne dafür eine wirkliche Verstärkung für die aktuelle Spielzeit zurückzubekommen. Basketball-Experte Bill Simmons vom Sender ESPN nennt das Vorhaben der 76ers in dieser Saison das bislang "dreisteste Tanking der NBA-Geschichte". Sein Kollege Zach Lowe erwartet eine Mannschaft, die "terrible by design" ist, also mutwillig miserabel. In 82 Saisonspielen werden Philadelphia kaum mehr als zehn Siege zugetraut, der Rekord der schlechtesten Bilanz aller Zeiten könnte in Gefahr geraten. Diesen hält der Klub bereits, die Saison 1972/73 beendeten die 76ers mit einer Bilanz von 9:73-Siegen. 

Die Konkurrenz im Kampf um die schlechteste Bilanz ist allerdings groß. Auch die Phoenix Suns haben eine ganze Menge unternommen, um mit einem nicht konkurrenzfähigen Team an den Start zu gehen. Selbst Traditionsvereine wie die Boston Celtics oder Los Angeles Lakers werden wohl nicht um jeden Preis nach Siegen streben. Den Celtics fehlt zum Saisonstart ihr mit Abstand bester Spieler Rajon Rondo nach einem Kreuzbandriss, die Lakers müssen nach einem Riss der Achillessehne noch eine ganze Weile auf ihren ewigen Hauptdarsteller Kobe Bryant verzichten. Sollte der Saisonstart für beide Klubs nur mäßig erfolgreich laufen, könnten beide Mannschaften ihren Stars lieber eine ausgedehnte Rekonvaleszenz gönnen, als sie zu einem schnellen Comeback zu drängen.

Auf den neuen NBA-Commissioner David Silver kommt also seine seltsame erste Saison zu. Silver sah sich bereits genötigt, die Taktik des Tankings zu rügen. "Ich denke nicht, dass es funktioniert, so kann man keine Sieger-Tradition aufbauen. Ich habe noch nicht gesehen, dass irgendwer in der Liga damit Erfolg hatte." Diese Aussage kann man als Schutzbehauptung verstehen, immerhin wurschtelten beispielsweise die Seattle Supersonics zwischen 2005 und 2009 so erfolgreich vor sich hin, dass sie sich mit Kevin Durant, Russell Westbrook und James Harden drei Stars sichern konnten, mit denen das Sonics-Nachfolgeteam Oklahoma City Thunder zu einem Titelkandidaten aufstieg. Tanking scheint also doch zu funktionieren. Oder wie eine alte NBA-Weisheit besagt: Nichts ist so schlimm, wie mittelmäßig zu sein.

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