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Legende und Hoffnungsträgerin. Paula Radcliffe soll den englischen Fans den großen nationalen Triumph bei den Olympischen Spielen in London bringen. Foto: AFP

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Sport: Bloß keine Tränen

Nach einigen Enttäuschungen will Paula Radcliffe in Berlin und bei Olympia im Marathon triumphieren

Berlin - Opa und Oma sind auch hier, Raphael und Isla sind also gut versorgt, die Mama kann sich ganz auf den Sport konzentrieren. Raphael, ein Jahr alt, und Isla, vier Jahre alt, wissen noch nicht, dass ihre Mama die populärste Sportlerin von England ist. „Denen ist es egal“, sagt Paula Radcliffe, „ob mein Training gut oder schlecht war. Die wollen mit mir spielen, wenn ich nach Hause komme.“

Raphael und Isla ist es auch völlig egal, ob Mama am Sonntag den Berlin-Marathon gewinnt. Nur der Mama, die gerade in einem Hotel in Berlin steht, ist das nicht egal, sie muss die Olympia-Qualifikationszeit von 2:31 Stunden laufen, sie will vor allem auch sehen, wie gut sie wieder in Form ist. Ihren letzten Marathon hatte sie schließlich 2009 absolviert.

Der BBC ist es auch nicht egal, wie sie läuft. Extra wegen Radcliffe, die 2003 in London die legendäre Weltrekordzeit von 2:15:25 Stunden gelaufen ist, überträgt der britische TV-Sender den Marathon. Die BBC übernimmt auch, mit Sponsoren, den Großteil der sechsstelligen Gage für die 37-Jährige. Zu deren großen Rivalin könnte Irina Mikitenko werden, die 39-Jährige, die mit 2:19:19 Stunden den deutschen Rekord hält.

Raphael und Isla haben vor allem keine Ahnung, dass sie ihrer Mutter jenes Maß an Gelassenheit verschaffen, das die als Selbstschutz dringend benötigt. 2012 finden die Olympischen Spiele in London statt, und Radcliffe verkörpert die ganzen Sehnsüchte und Erwartungen der englischen Fans an den großen symbolischen Triumph der Nation bei diesen Spielen. „Meine Kinder zeigen mir, dass es Wichtigeres gibt als eine olympische Medaille.“

Das bedeutet aber nur, dass sie jetzt nicht mehr so extrem reagieren würde wie 2004. Damals stieg sie bei den Olympischen Spielen in Athen entkräftet aus, heulte bitterlich und traute sich zurück in England nicht mehr aus dem Haus. „Ich habe mich geschämt.“

Wegen Athen zog sie noch 2004 mit ihrem Mann nach Monaco. Die Pyrenäen, ihr Trainingsgebiet seit 1995, sind in der Nähe, außerdem – das sagt sie aber nicht – sind dort die Steuersätze niedrig.

Für Paula Radcliffe sind die Spiele in London „ein Traum“, sie will dort Gold, auch wenn sie das eher verklausuliert erklärt. Mit ihrer linken Hand hat sie den rechten Arm umfasst, der an ihrem spindeldürren Körper herunterhängt, sie steht da wie eine verschüchterte Schülerin, und fast verschämt sagt sie: „Wenn man an eine Medaille denkt, dann, ja dann denkt man auch an eine goldene.“

Sie hat ja auch diese olympische Geschichte, die sie verfolgt und ihren Mythos befördert. 2004 ausgestiegen, weil sie ein Schmerzmittel nicht vertragen hatte, 2008 hatte sie vor Peking eine Zehenverletzung und einen Ermüdungsbruch, eine Spinne biss sie auch noch. Die Marathon-Weltmeisterin von 2005 schleppte sich in Peking regelrecht ins Ziel, auf Rang 23. Und wieder heulte sie.

Die Frau, die je dreimal die Marathonrennen in London und New York gewonnen hat, die vier der fünf schnellsten je gelaufenen Marathon-Zeiten geliefert hatte, die scheiterte bisher immer beim größten sportlichen Auftritt. Jetzt wartet jeder auf die erlösende Vorstellung. Platz zwei in London würde für Fans und Medien schon als Niederlage gelten. Und für Radcliffe selbst vermutlich auch.

Fans und Medien ist es bis jetzt offenbar egal, dass ihr Idol kaum in England ist. Sie nehmen vor allem Anteil an Radcliffes Rennen. Und ihren Tränen. Geheult hat sie zuletzt im Mai, nach einem Zehn-Kilometer-Lauf. Ihr erstes Rennen nach 18 Monaten Wettkampfpause, sie wurde nur Dritte. Und weil das Ganze ausgerechnet in London stattfand, dürften viele Beobachter aufgeschreckt sein. Ist ihre große Zeit etwa vorbei?

Aber Paula Radcliffe gibt Entwarnung. Sie hatte vor dem Start Spritzen wegen Rückenbeschwerden erhalten. Nur, leider, „hatte der Arzt nicht erzählt, dass es einem in den folgenden zwei Wochen erstmal noch schlechter geht“. Dumm gelaufen. Das Rennen in London fand zwölf Tage nach der Behandlung statt.

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