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Sport: Böse sollst du sein

In den USA leben Sport-Stars mit lädiertem Ruf ganz gut – jüngstes Beispiel ist Kobe Bryant

New York. Kobe Bryant ist der etwas andere Basketballstar. Der 24-jährige Spieler von den Los Angeles Lakers aus der amerikanischen Profiliga NBA erfüllt so gar nicht die gängigen Klischees vom Ghetto-Kid, dessen Karriere einst auf einem der staubigen Hinterhöfe begonnen hat. Der eloquente, junge Mann mit dem großen Talent ist in Europa zur Schule gegangen, spricht fließend italienisch, ist verheiratet und hat eine sechs Monate alte Tochter. Ein Bilderbuch-Amerikaner - oder doch nicht? Seit ein paar Tagen sieht sich Bryant des Vorwurfs der sexuellen Nötigung ausgesetzt. Am 30. Juni soll er in einem Hotel in Cordillera im US-Bundesstaat Colorado eine Frau belästigt haben.

Seit Tagen sind die Zeitungen voll, keine Nachrichtensendung im Fernsehen wird ohne den neuesten Stand der Ermittlungen, ausgestrahlt. Allerorten werden bereits Analysen angestellt, was die Affäre für Kobe Bryants Marktwert, seine sportliche Zukunft, das Ansehen der NBA und des Profisports allgemein in Nordamerika bedeutet.

Sexuelle Belästigung ist ein dehnbarer Begriff in der US- Rechtssprechung. Der Begriff kann alles bedeuten, von unsittlicher Berührung bis Vergewaltigung. Hinzu kommt, dass die Aussagen des im Fall Bryant zuständigen Staatsanwalt Mark Hurlbert eher nebulös sind. „Solche Fälle sind oft sehr komplex und bedürfen einer dauerhaften Prüfung“, sagt Hurlbert. Jedenfalls hatte der Sheriff von Eagle County - der Distrikt in dem das Hotel von Bryant liegt – nach Befragung von Zeugen einen Haftbefehl gegen Bryant erlassen. Der Basketballer stellte sich am 4. Juli; Bryant konnte schließlich gegen 25 000 Dollar Kaution gehen.

Anschuldigungen dieser Art sind in den USA keine Seltenheit. Mike Tyson wurde mehrfach damit konfrontiert in den letzten Jahren – mal waren sie berechtigt, mal unberechtigt. 1997 behauptete eine Frau, von zwei Footballspielern der Dallas Cowboys misshandelt worden zu sein; sie gab später zu, dass sie gelogen hatte.

Irritierend ist am Fall Bryant nicht das Delikt, sondern der Angeklagte. Mit 24 Jahren hat Bryant schon drei Titel gewonnen, war fünfmal nominiert für das All Star Team, und laut einer Umfrage unter Teenagern wird er als Vorbild nur von Lehrern und Eltern übertroffen. Nike verpflichtete Bryant kürzlich für 45 Millionen Dollar, weitere Sponsoren sind Coca Cola und McDonalds. Paul Swangard, ein Marketingexperte der University of Oregon, sagt: „Mit 100 Stundenkilometern war er auf dem Highway unterwegs und plötzlich kommt eine Kurve.“

Die Liste derer, die das Image ihrer Sportart demoliert haben, ist lang. Der Footballspieler Ray Lewis zum Beispiel stand wegen Mordverdachts vor Gericht; sein Kollege Ray Carruth wurde verurteilt, weil er einen Killer auf seine schwangere Freundin angesetzt hatte. Baseballspieler, die ihre Frauen verprügeln, gehören in den USA zur Tagesordnung. Erst am Dienstag wurde bekannt, dass sich der russische Eishockeyspieler Roman Liaschenko, Reservist der New York Rangers, während seines Urlaubs in der Türkei erhängt hat. Vor elf Jahren erschütterte der Drogentod des erst 27-jährigen John Kordic von den Quebec Nordiques die National Hockey League. Und wenn es um die NBA geht, weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Vielleicht bei der Klage von Starspieler Karl Malone, dass zwei Drittel seiner Kollegen Drogen nehmen würden? Malone scheint nicht so falsch zu liegen, erst am Dienstag wurde ein NBA-Spieler mit 40 Gramm Marihuana erwischt.

Autogramme für die Richter

Die Stars werden trotz ihrer Vergehen bevorzugt behandelt. Selbst Richter haben sich von Athleten nach deren Freispruch schon Autogramme geben lassen. Der amerikanische Profisport scheint sich mit den Manieren seiner Helden abgefunden zu haben, ja er schlägt mitunter sogar Profit daraus. Alan Iverson vom Basketballteam Philadelphia 76ers wird gerade wegen seines Hangs zu außergewöhnlichem Freizeitverhalten – zuletzt jagte er bewaffnet seine nackte Frau aus dem Haus – von einem Sportschuhhersteller gut bezahlt. Die Kids in den Ghettos kaufen seine Sneakers. Sportartikelhersteller Reebok warb einmal mit Basketballer Latrell Sprewell, der seinen Trainer gewürgt hatte, auf einem Poster. Der Slogan auf dem Bild lautete: „Ich bin der amerikanische Traum.“ Eine Werbung mit dem Widerspruch – Sprewell ist sozusagen der amerikanische Albtraum oder das Gegenteil von dem, was Bryant bislang verkörperte.

Sollten sich jedoch die Vorwürfe gegen Kobe Bryant erhärten und der Saubermann des amerikanischen Profisports verurteilt werden, wird interessant sein, wie die Öffentlichkeit damit umgeht. Dass Bryants Reputation leiden könnte, daran glaubt der Manager eines NBA-Teams, der anonym bleiben will, allerdings nicht: „Michael Jordan hat doch auch immer noch hohes Ansehen, obwohl bekannt wurde, dass er eine Geliebte hatte.“

Wer weiß, vielleicht profitiert Bryant sogar von seinem lädierten Image – so makaber das auch sein mag: Denn gerade die Glaubwürdigkeit der Straße hat Bryant bislang gefehlt, Bryant war den Kids einfach nicht böse genug – weshalb Sportartikelhersteller Adidas auch unlängst mangels üppiger Umsätze einen Werbevertrag mit dem Basketballstar auflöste.

Gerhard Waldherr

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