zum Hauptinhalt

Borussia Dortmund gegen Bayern München: Der letzte Mann

Borussia Dortmund gegen Bayern München. Leidenschaft gegen Kommerz. So wollen es die Dortmunder gern interpretiert haben. Die Bayern sprechen lieber von Adel gegen Emporkömmling. Es ist ein Duell der Systeme – auch, was die Torhüter betrifft.

Der Rasen war heilig und das Trikot rot. Roman Weidenfeller mochte es nicht tauschen mit dem Kollegen der gegnerischen Mannschaft, obwohl das doch sonst so üblich ist unter Fußballprofis. Aber nicht auf diesem von Fußballmythen geweihten Rasen im Wembleystadion und nicht nach diesem Spiel, das am Dienstag ein ganz besonderes war, nämlich sein erstes im Dienst der Nationalmannschaft. Da wächst einem das Trikot ans Herz, auch wenn es so rot leuchtet wie das vom FC Bayern München.

Weidenfeller steht auf der anderen, der schwarz-gelben Seite. und heute wird er es wieder mit den Roten als Gegner zu tun haben. Vier Tage nach dem feierlichen Eins-zunull-Sieg der Deutschen in Wembley treffen in der Bundesliga die beiden besten Mannschaften Europas aufeinander. Die Finalisten der Champions League. Es ist ein Duell, das die deutschen Fußballfans bewegt wie kein zweites. Borussia Dortmund gegen Bayern München. Leidenschaft gegen Kommerz, so wollen es die Dortmunder gern interpretiert haben. Die Bayern sprechen lieber von Adel gegen Emporkömmling. Es ist ein Duell der Systeme, auch und besonders, was die beiden Torhüter betrifft. Roman Weidenfeller gegen Manuel Neuer.

Roman Weidenfeller und Manuel Neuer: Die Torhüter stehen für unterschiedliche Spielergenerationen

Beide entstammen der Gattung Torhüter, aber sie gehören unterschiedlichen Arten an. Und sie stehen für verschiedene Spielergenerationen, wobei es in der Nationalmannschaft zu der kuriosen Situation kommt, dass der Ältere den Jüngeren herausfordert. Roman Weidenfeller ist 33 Jahre alt und Manuel Neuer 27.

Auch Neuer wäre in London gern dabei gewesen. Ein paar Tage vorher hat er noch mitgeholfen, das Eins-zu-eins beim deutschen Angstgegner Italien zu erkämpfen. Der Münchner hat sich nicht ganz freiwillig in die Heimat verabschiedet zu ein paar freien Tagen, er hätte sie lieber im Kreis der Nationalmannschaft verbracht. Einer wie Neuer will immer spielen. Wenn es in einem Benefizspiel mit dem FC Bayern gegen eine Fanklubauswahl geht, erst recht aber mit der Nationalmannschaft im Klassiker gegen England, „gerade im Hinblick auf die WM sind solche Spiele gegen attraktive Gegner viel wert“, sagte er.

Der Bundestrainer Joachim Löw aber hat dieses Spiel dem so lange ignorierten Rivalen aus Dortmund überantwortet. Um aber erst gar kein Missverständnis aufkommen zu lassen, war das leuchtend rote Trikot des Debütanten mit der Nummer 22 beflockt. „Manuel Neuer ist die unangefochtene Nummer eins“, erzählte Joachim Löw immer wieder. „Wir waren nicht auf der Suche nach einem Torhüter, wir sind es auch nicht.“

Dortmund gegen Bayern ist auch das Duell Neuer gegen Weidenfeller

Nicht gesucht und doch gefunden. Weidenfeller müsste dem Bundestrainer demnach zugelaufen sein. Jahrelang hatte der ihn beharrlich ignoriert. Dann doch noch eingeladen. „Roman Weidenfeller hat sich die Nominierung irgendwie verdient“, sagte Löw und dass er sich noch einmal ein eigenes Bild machen wollte, mit Weidenfeller sprechen, seine Denkweise kennenlernen. Denn unausgesprochen steht immer noch die Frage im Raum: Taugt Weidenfeller überhaupt zur Nummer zwei oder drei? Würde er das Reservistendasein bei der WM wirklich ohne Murren ertragen?

Früher hat er das nicht.

Im Sommer 2002 wechselte Weidenfeller als junges Talent vom 1. FC Kaiserslautern zu Borussia Dortmund – er war als Ersatzmann hinter dem Nationaltorhüter Jens Lehmann vorgesehen. Aber das hat Weidenfeller schon damals ein bisschen anders gesehen. „Natürlich bin ich besser als Lehmann, ich muss nur mal die Möglichkeit bekommen, es zu zeigen“, verkündete er. Als „echte Nervensäge“ hat Lehmann seinen Ersatzmann erlebt, „vom Ehrgeiz zerfressen“. So hat er es in seiner Autobiografie beschrieben.

Gleich bei einer der ersten Begegnungen stellte Lehmann irritiert fest, dass sich Weidenfeller seinen Trainingsoverall angezogen hatte. Selbst nach freundlicher Intervention des rechtmäßigen Besitzers weigerte er sich, ihn wieder auszuziehen. „Oh, der Junge ist aber ein Pflegefall“, dachte Lehmann. Anschließend redete er ein Dreivierteljahr kein einziges Wort mit ihm, kein „Hallo“, kein „Guten Morgen“, nichts.

Jens Lehmann ist so etwas wie die kürzeste Verbindung zwischen den beiden. Manuel Neuer stammt aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Buer. Von dort sind es nur ein paar Kilometer zum Stadion der Schalker im benachbarten Ortsteil Erle. Zu den Spielen im alten Parkstadion ist Neuer als Kind meistens früher erschienen, um sich einen günstigen Platz in der Nordkurve zu sichern. Er wollte sein Idol Lehmann schon beim Aufwärmen beobachten. Als Lehmann schließlich nach einer kurzen Zwischenstation beim AC Mailand zu Schalkes Erzfeind Dortmund wechselte, war das für Neuer keine leichte Situation. Bei den Revierderbys wurde der BVB-Torhüter ausgepfiffen und als Verräter beschimpft. Manuel Neuer aber, ein durchaus fanatischer Schalkefan, hielt sich bedeckt: „Er war ja zu der Zeit mein heimliches Vorbild.“

Ein moderner Torwart ist der erste Aufbauspieler

Manuel Neuer hat sich stets an Lehmanns offensiver Interpretation des Torwartspiels orientiert. Dieser ist in Deutschland immer ein wenig im Schatten von Oliver Kahn geblieben, dessen Paraden irgendwie spektakulärer wirkten. Aber Lehmann hatte sich darauf spezialisiert, gar nicht auf Paraden angewiesen zu sein. Er hat das Spiel gelesen wie ein Schachspieler, Situationen erahnt, die noch drei oder vier Züge entfernt waren, Bälle abgelaufen, weil er nicht auf der Linie stehen blieb wie der Reaktionstorhüter Kahn. Seit Lehmann gehören Torhüter nicht mehr zu einer Spezies, deren Einfluss sich reduziert auf drei, vier Situationen, in denen sie bloß nichts falsch machen dürfen. Ein moderner Torhüter ist der erste Aufbauspieler seiner Mannschaft, er fängt gegnerische Angriffe ab und leitet eigene ein. Dafür braucht es neben strategischer Begabung auch eine exzellente eigene Balltechnik.

Den Moment, in dem Lehmanns offensives Torwartspiel seine extremste Zuspitzung erfuhr, hat Manuel Neuer mit elf Jahren auf einer Autobahnraststätte erlebt. Auf dem Weg in den Weihnachtsurlaub hat Familie Neuer damals einen Zwischenstopp eingelegt, um sich im Fernsehen das Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 anzusehen. Im Dezember 1997 war das. Dortmund führte kurz vor Schluss 2:1, als es eine letzte Ecke für die Schalker gab. Torhüter Jens Lehmann lief in den Dortmunder Strafraum, er bekam den Ball genau auf den Kopf und erzielte den Ausgleich.

Überraschenderweise äußert sich Lehmann heute freundlicher über Weidenfeller als über Neuer, dessen Torwartspiel ihm eigentlich näher sein müsste. Vielleicht spürt er auf eine Art, die er nicht unterdrücken kann, dass Neuer längst weiter ist, als er je war. Dass die Revolution im Torwartspiel nicht mehr in erster Linie mit seinem Namen verbunden wird, sondern mit dem Neuers. Er kommt noch weiter aus dem Tor, er wirft die Bälle noch präziser, schießt sie noch schärfer. Hinzu kommt seine unglaubliche Präsenz. Mit 1,93 Meter wird seine Körpergröße angegeben, aber wenn Neuer seine Extremitäten ausfährt wie ein Handballtorhüter, dann wirkt er … unbezwingbar!

Weidenfeller war lange kein Kandidat für Löw

Auch Roman Weidenfeller hat um sich herum eine Aura der Unbezwingbarkeit aufgebaut, aber er füllt sie anders aus. Der Dortmunder aus dem Westerwald ist durch die Schule des Kaiserslauterers Gerald Ehrmann gegangen, der den Kampfnamen Tarzan trägt und Torhüter nach seinem Abbild formt. Körperliche Auseinandersetzungen mit Weidenfeller können eine sehr schmerzhafte Angelegenheit sein. Kein Stürmer begibt sich gern in ein direktes Duell mit ihm, erst recht nicht in der Luft.

Mit den Füßen ist er weniger begabt. Weidenfeller zählt nicht zum Kreis der Torhüter, die im Training auch mal als Feldspieler eine gute Figur abgeben können. Er ist einer wie früher Oliver Kahn, einer von denen, die den Ball mit großer Wucht möglichst weit nach vorn dreschen, gern auch mit einer Streuung über die gesamte Breite des Platzes. Vor allem deshalb war er lange Zeit kein Kandidat für die Nationalmannschaft. Joachim Löw liebt das schnelle Spiel, und das beginnt für ihn schon ganz hinten.

Dafür stehen die Dortmunder, mit ihrer Aggressivität und ihren frühen Angriffen, mit denen sie jeden Gegner über den Platz hetzen. Manuel Neuer würde perfekt passen zu diesem Fußballentwurf, und wahrscheinlich hätte der Dortmunder Trainer Jürgen Klopp ihn auch lieber in seiner Mannschaft, aber sagen würde er das natürlich nie. Stattdessen haben sie in Dortmund immer sehr empfindlich reagiert auf die Nichtberücksichtigung ihrer Nummer eins in der Nationalmannschaft.

Auch die zweiter Viererkette von Dortmund fällt aus

Jetzt gab der Bundestrainer ihm das so lange geforderte Länderspiel, und zwar nicht irgendeins gegen Kasachstan oder Malta, sondern den Klassiker gegen England. Statistisch gesehen war dieses späte Debüt in der Nationalmannschaft eine gelungene Sache, denn Weidenfeller hielt sein Tor sauber, und das gelingt nicht jedem Debütanten. Manuel Neuer kassierte bei seinem ersten Einsatz einst zwei Tore gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und Oliver Kahn eins gegen die Schweiz. Aber es zeigten sich trotzdem wieder die alten Schwächen. Bei jedem Rückpass wirkte Weidenfeller ein wenig unsicher, und einmal, kurz vor Schluss, versprang ihm der Ball, er bolzte ihn eher ungelenk Richtung Seitenlinie, wie man es früher von Kahn kannte und noch nie bei Neuer gesehen hat. Ansonsten hatte Weidenfeller nur mit der Kälte zu kämpfen und kein bisschen mit den Gegnern. Ein einziger Ball kam auf sein Tor, der prallte gegen den Pfosten. „Torwartspezifisch war heute nicht allzu viel“, hat Weidenfeller später erzählt.

Das wird am heutigen Samstag ein wenig anders aussehen, wenn die angriffslustigen Bayern kommen. Weil sich am Dienstag in Wembley auch die zweite Hälfte der Dortmunder Viererkette verletzte, darf Roman Weidenfeller in „seinem“ Westfalenstadion hinter einer komplett neu formierten Abwehr auf genug Arbeit im klassisch torwartspezifischen Sinne hoffen. Und was den modernen Part mit den Füßen angeht, hat sein alter Widersacher Jens Lehmann am Dienstag einen schönen Satz gesagt: „Modernes Torwartspiel besteht immer noch darin, dass man hinten keinen reinlässt.“

Der Bundestrainer sieht das bekanntlich anders.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false